Bilder aus Kriegsgebieten können überfordern. Sie zeigen kaum Vorstellbares: Menschen, die alles verlieren, Tote, Verstümmelte, zerstörte Gebäude. Kriegsbilder zeigen, dass die größten Ängste real werden können. Und weil fast immer irgendwo Menschen leiden, reißt der Bildstrom nie ab – und beim Betrachter stellen sich Gewöhnungseffekte ein. Abdullah Karam hat erlebt, was kein Bild transportieren kann. Der Krieg in Syrien, die Angst um die Familie, die Flucht: Es sind Erfahrungen, die der Syrer niemandem wünscht. Geteilt hat er sie trotzdem: mit Hilfe des Karlsruher Computerspiele-Entwicklers Georg Hobmeier hat der 21-Jährige seine Erlebnisse in ein Computerspiel einfließen lassen.
«Es hilft mir, mich zu erinnern, was ich durchgemacht habe. Dadurch, dass ich meine Geschichte teile, fühle ich mich stärker», sagt er. Bislang gibt es nur eine Demoversion. Das erste komplette Kapitel soll im Oktober erscheinen.
Ausbildung als Illustrator
«Ich habe Abdullah in Salzburg bei einer Theaterveranstaltung kennengelernt», erinnert sich Hobmeier an das erste Treffen. Über ein Projekt, in dessen Rahmen Österreicher Geflüchtete bei sich aufnahmen, war Karam bei einem Bekannten des Karlsruher Entwicklers in Wien untergekommen. «Er war gerade ein paar Wochen hier, total begeistert von der Situation in Wien – und hatte seine Grafiken im Gepäck.»
Die Idee, ein Computerspiel aus Karams Flucht zu machen, sei deshalb schnell gereift. Probleme machte zunächst Karams Flüchtlingsstatus. «Wir konnten ihn anfangs nicht bezahlen, das war legal nicht möglich», sagt Hobmeier. Heute, drei Jahre nach seiner Flucht, wird Karam in der Computerspielefirma Causa Creations ganz offiziell zum Illustrator ausgebildet.
Ein wenig wie Zelda
Aus der Vogelperspektive lässt sich Karam im Spiel «Path Out» (auf Deutsch in etwa: Fluchtweg) durch das vom Krieg gezeichnete Syrien steuern. Die Gefahr ist allgegenwärtig: Der Boden ist vermint, es gibt Nachbarn, die Berichte an die Regierung schreiben.
Trotz des ernsten Hintergrunds erinnert das Spiel am ehesten an Fantasierollenspiele wie «Zelda», in dem der japanische Videospiel-Hersteller Nintendo seit 1986 den Helden «Link» in Dutzenden Auflagen auf die Reise durch eine Fantasiewelt schickt.
Realität im Spiel
Der Krieg in «Path Out» ist verfremdet. Das liegt nicht nur an der Retro-Grafik mit 16-Bit-Optik, wie sie Spielen der 90er Jahre zu eigen wahr: Der Krieg zeigt sich im Kleinen, nicht an martialischen Schlachtenbildern. «Ich habe diesen Baum mein ganzes Leben gekannt. Jetzt ist er tot», sagt Karam im Spiel, als er an einem verbrannten Baum vorbeikommt.
Dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, wird immer dann klar, wenn der echte Karam in kurzen Erklärvideos am Bildschirmrand auftaucht. «Durch das Video bricht die Realität ins Spiel ein», sagt Hobmeier. Manchmal erkläre Karam, wo sich das Game von der Realität unterscheide. An anderen Stellen kommentiert er augenzwinkernd kulturelle Stereotype, wie die Frage, warum im Spiel statt eines Autos ein Kamel vor seinem Haus in Syrien «parkt», wie er sagt.
Flucht als Inspiration
Karams Flucht beginnt, als sein Bruder bei einer Demonstration gegen Präsident Baschar al-Assad in einen Schusswechsel gerät. Die Familie drängt ihn zur Flucht.
«Die Situation von Flüchtlingen zu verstehen, ist der Hauptzweck», sagt Karam. Darf man Szene-Größen wie dem Hamburger Spieleentwickler «Poki» glauben, dann kann Karams Plan aufgehen. Der 39-Jährige sieht Computerspiele als Weiterentwicklung von Literatur, weil Spieler – anders als Leser – den Ausgang der Geschichten selbst beeinflussen können. Und weil die Geschichten so ein Stück weit zu eigenen Erlebnissen werden, können sie Wissen, Verständnis und Empathie schaffen. Unter Eltern Ego-Shooter-affiner Kinder dürfte die Sicht umstritten sein. Karam käme sie jedoch entgegen.
Der Syrer ist indessen nicht der Einzige, der seine Grenzerfahrungen auf der Flucht mit der Öffentlichkeit teilt. Aufsehen erregte Anfang August auch Rania Mustafa Ali. Angeregt vom norwegischen Regisseur Anders Hammer drehte die 20-Jährige auf Ihrer Flucht aus dem syrischen Kobane nach Wien einen Film, den der britische «Guardian» veröffentlichte. Weltweit griffen Medien die Geschichte auf.
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