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Luxemburg„Médecins du monde“ hat im vergangenen Jahr 1.391 Menschen unterstützt

Luxemburg / „Médecins du monde“ hat im vergangenen Jahr 1.391 Menschen unterstützt
Seit der Pandemie nutzt der Luxemburger Zweig der internationalen Organisation „Médecins du monde“ nicht mehr nur die Räumlichkeiten unter der Nummer 5 in der Escher rue d’Audun (links), sondern auch die im Gebäude nebenan Foto: Editpress/Tania Feller

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Wer in Luxemburg medizinisch versorgt werden muss und aus den verschiedensten Gründen keine Krankenversicherung hat, kann sich an „Médecins du monde“ wenden – unter anderem in Esch und im hauptstädtischen Viertel Bonneweg. Der gemeinnützige Verein hat kürzlich den Jahresbericht zum vergangenem Jahr präsentiert. Das Gespräch darüber mit Generaldirektorin Sylvie Martin zeigt: Die Pandemie hat die Arbeit der Freiwilligen verändert, aber auch offengelegt, wo es noch Handlungsbedarf gibt.

Tageblatt: Im Jahresbericht zu 2021 ist zu lesen, dass im vergangenen Jahr 1.391 Menschen in Not zu „Médecins du monde“ (MdM) in Luxemburg gekommen sind – im Vergleich zu 771 im Vorjahr. Sylvie Martin, wie kommt es zu diesem erheblichen Anstieg?

Sylvie Martin: Quasi die doppelte Anzahl an Menschen hat sich im letzten Jahr an uns gewandt und das hat uns dann doch etwas überrascht. Man muss aber dazu wissen, dass es 2020 mit 771 auch etwas weniger waren als gewohnt. Das lag an der Pandemie und daran, dass es in dem Jahr insgesamt weniger Bewegung gab. Im Jahr zuvor, also 2019, kamen noch 884 zu uns. Letztes Jahr dann gab es durch die Impfung neue Bedürfnisse. Denn um geimpft zu werden und das Zertifikat mit QR-Code zu bekommen, wird man zuerst nach der Matrikelnummer gefragt. 

Und die haben Betroffene, die zu MdM kommen, oft nicht. Sie sind also nicht krankenversichert.

Die Pandemie hat laut der Generaldirektorin von „Médecins du monde“ in Luxemburg, Sylvie Martin, deutlich gemacht, dass immer noch viele keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben
Die Pandemie hat laut der Generaldirektorin von „Médecins du monde“ in Luxemburg, Sylvie Martin, deutlich gemacht, dass immer noch viele keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben Foto: Editpress/Tania Feller

Zu uns kommen Menschen, die in Luxemburg leben und medizinische Probleme haben. Meist haben sie keine Papiere, arbeiten nicht und zahlen deshalb nicht in die Gesundheitskasse (CNS) ein. Manche haben keine Erlaubnis, um einer Tätigkeit nachzugehen. Oder sie tun das zwar, aber der Vorgesetzte hat sie nie angemeldet. Betroffene stammen in der Regel zu etwa 60 Prozent aus europäischen Ländern und zu rund 31 Prozent sind es Frauen. Man muss bedenken: Viele kommen erst zu uns, wenn der Schmerz nicht mehr auszuhalten ist. Das ist alarmierend. Denn es sind also mehr Menschen betroffen, als jene, die wir sehen. 

Wie sieht die Situation dieser Menschen aus? 

Die meisten leben unter schrecklichen Bedingungen und haben keine Unterkunft. Sie kommen beispielsweise nach Luxemburg, weil sie vor schrecklichen Dramen in ihrer Heimat flüchten mussten. Und hier Arbeit finden wollen. Oft aber ist das ein Teufelskreis: Ohne Wohnsitz ist es schwer, eine Stelle zu finden. Von denen, die zu uns kommen, haben nur 10 Prozent einen eigenen Wohnsitz. Viele kommen bei Familie oder Freunden unter. Das ist eine Prekarität, die man nicht unbedingt sieht – versteckte Armut. Und man braucht eben auch eine offizielle Adresse, um eine Karte von der CNS zu bekommen.

Sie erwähnen Familie oder den Freundeskreis und doch kann man im Jahresbericht von MdM Luxemburg zu 2021 lesen, dass fast jede dritte Person niemanden hat, auf den sie sich verlassen kann. 

Als Erklärung dazu: Wer zum ersten Mal zu uns kommt, führt zuerst ein Gespräch mit unserem „Service social“. Dabei wollen wir mehr über die Situation der Betroffenen erfahren und herausfinden, warum jemand zu uns kommt. Vielleicht hat die Person einen Wohnsitz und kann an das zuständige Sozialamt weiterorientiert werden. Bei diesen Unterhaltungen fragen wir auch, ob die Menschen jemanden haben, der sie unterstützt. Dabei zeigt sich: Viele haben ihre Freunde verloren oder sind alleine hergekommen. Die Kinder von Migranten sind oft noch in der Heimat. Vielleicht kennen sie hier auch Leute, aber das sind keine, die ihnen in einer schwierigen Situation beistehen. 

Fachpersonal aus unter anderem den Bereichen Medizin und Psychologie kümmert sich auf freiwilliger Basis darum, dass auch Menschen ohne Krankenversicherung medizinisch versorgt werden
Fachpersonal aus unter anderem den Bereichen Medizin und Psychologie kümmert sich auf freiwilliger Basis darum, dass auch Menschen ohne Krankenversicherung medizinisch versorgt werden Foto: Editpress/Tania Feller

Und so sorgen laut Jahresbericht 144 vorwiegend freiwillige Helferinnen und Helfer dafür, dass die Menschen Zugang zur medizinischen Versorgung erhalten. Wie konnte MdM während der Pandemie helfen – Sie haben vorhin die Impfungen angesprochen?

In 2021 haben wir 600 Menschen geimpft und 750 weiteren dabei geholfen, über uns als Vermittlungsorganisation eine vorübergehende Matrikelnummer für die Impfung zu bekommen. Sodass die Menschen in den Impfzentren vorbeigehen konnten. Wir haben festgestellt, dass im vergangenem Jahr viel mehr Angehörige der asiatischen Gemeinschaft zu uns kamen. Viele von ihnen gehen in Luxemburg einer Schwarzarbeit nach, wollten sich impfen lassen und konnten das ohne Matrikelnummer nicht tun.

Arbeitende im illegalen Bereich, Personen ohne festen Wohnsitz – wurden sie während Corona einfach vergessen?

Zu Beginn der Pandemie, ja. Zu uns kamen viele ohne Masken – sie konnten diese ja nicht nach Hause zugestellt bekommen. Auch konnten sie sich beispielsweise nicht einfach daheim isolieren. Aber das ist den Autoritäten schnell bewusst geworden. Eine Arbeitsgruppe wurde auf die Beine gestellt, mit den Akteuren, die im Großherzogtum viel mit gefährdeten Personen arbeiten. Uns wurde dann ja auch der Impfstoff zur Verfügung gestellt. Schon eine nationale Kampagne zur Grippeimpfung in 2020 – während derer wir kostenlose Impfdosen bekamen – hat gezeigt: Eine nationale Maßnahme vom Staat kann etwas bewirken. Es gibt Wege, es existieren Lösungen, damit alle versorgt werden können. 

Die Organisation

„Médecins du monde“ ist eine internationale Organisation, die unter anderem in Luxemburg gefährdete Menschen medizinisch versorgt und im Großherzogtum auch unter dem Namen „Dokteren vun der Welt“ bekannt ist. Insgesamt 144 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vorwiegend Fachpersonal aus dem Gesundheitswesen – kümmern sich in ihrer Freizeit um die medizinische Versorgung von Patientinnen sowie Patienten, die aus verschiedenen Gründen keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Die Hilfsorganisation finanziert sich zum Großteil durch Spenden. Mehr Informationen dazu und zur allgemeinnützigen Vereinigung gibt es unter medecinsdumonde.lu.

Gibt es Lehren, die man aus den vergangenen zwei Jahren ziehen kann? Wo besteht Handlungsbedarf?

Eines hat die Pandemie deutlich gemacht: Niemand kann mehr sagen, dass in Luxemburg alle eine Karte der CNS besitzen. Viele haben keine Krankenversicherung. Umso mehr freuen wir uns deshalb über das Pilotprojekt zur „Couverture universelle des soins de santé“ (CUSS), das seit April im Großherzogtum lebenden Personen ohne Einkommen, offizielle Adresse und Sozialhilfe dennoch Zugang zur Gesundheitsversorgung gibt. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Da wir uns zum Großteil durch Spenden finanzieren, haben wir nicht die Mittel wie ein Krankenhaus. Jetzt aber haben Patienten mit dringenden, medizinischen Problemen endlich Zugang zum Gesundheitssystem. Universell heißt: für alle. Denn alle haben das Recht auf eine gute Gesundheit. 

Ein anderes Thema am Ende: Die Arbeit von MdM wurde kürzlich in der zweiten Staffel der luxemburgischen Serie „Capitani“ bei Netflix thematisiert. Krankenschwester Jeanne Capitani versorgt in der Geschichte Lucky Onu, der keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hat. Sieht der Alltag bei der Hilfsorganisation in etwa so aus, wie es im Fernsehen dargestellt wird?

Uns war es wichtig, dass unsere Art und Weise zu arbeiten richtig abgebildet wird – nach dem Prinzip, dass eine Person versorgt wird, die nicht einfach so zum Arzt gehen kann. Das ist den Machern gelungen. Nur sind unsere Lokale in Wahrheit nicht so groß (lacht). Angesichts der geltenden Sicherheitsbedingungen und der steigenden Nachfrage hat die Gemeinde Esch uns aber während der Pandemie in 2020 ein weiteres Gebäude hier in der rue d’Audun zur Verfügung gestellt – was eine große Hilfe war. Und im Frühjahr 2023 ziehen wir dann innerhalb von Esch in größere Räumlichkeiten gegenüber dem Friedensgericht. Wir hoffen, bald auch in der Hauptstadt eine andere Lösung zu finden.