Wenn der Ehrgeiz zum Verhängnis wird: Bob Jungels blickt auf seinen Giro d’Italia zurück

Wenn der Ehrgeiz zum Verhängnis wird: Bob Jungels blickt auf seinen Giro d’Italia zurück

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Bob Jungels beendet seinen dritten Giro auf Rang 33. Das entspricht nicht den Ambitionen des 26-Jährigen, der mindestens einen Platz in den Top Ten angestrebt hatte. Körperlich und mental war der Quick-Step-Profi nicht auf der Höhe. Im Tageblatt-Interview geht der Luxemburger auf seine harte Zeit bei der diesjährigen Italien-Rundfahrt ein.

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Laurent Neiertz

Tageblatt: Der diesjährige Giro d’Italia verlief nicht so, wie Sie es sich vorgestellt hatten …

Bob Jungels: Ich bin einfach froh, dass ich es jetzt hinter mir habe. Das Zeitfahren lief zwar ordentlich, doch ich habe relativ schnell bemerkt, dass mir Energie fehlen würde.

Wie schwer war es für Sie, jeden Tag wieder zu starten, obwohl man weiß, dass der Körper nicht mitmachen würde? Wie haben Sie das mental verkraftet?

Ich weiß nicht, ob man mir das absieht, aber ich hatte wirklich große Schwierigkeiten damit. Nach der ersten Etappe, als ich nicht mit den Besten mithalten konnte, habe ich mich hinten in den Bus gesetzt und erst einmal zehn Minuten lang geweint. Ich habe zwar nur zwei Minuten verloren, aber sofort gemerkt, dass ich körperlich und mental nicht auf der Höhe bin. Das spürt man einfach.

Die nächsten Tage waren sehr schwer für mich. Oft fuhr ich allein und hatte deswegen unseren sportlichen Leiter hinter uns, der versuchte, mich zu pushen. Doch es war nicht einfach. Man versucht, so gut es geht, sich noch einmal aufzurappeln. Allein aus Respekt vor dem ganzen Team will man nicht aufgeben. Es waren nämlich viele Momente dabei, in den ich einfach nur in den Flieger steigen und nach Hause wollte. Aber ich wollte die Mannschaft nicht im Stich lassen. Ich bin schließlich als Kapitän zum Giro gekommen.

In welchen Punkten müssen Sie sich in Zukunft verbessern?

Ich muss versuchen, in den kommenden Jahren etwas kürzerzutreten. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich im letzten Jahr alles über meinen Körper erfahren hätte und wissen würde, was er alles leisten kann. Aber mein Ehrgeiz wird mir manchmal zum Verhängnis. Vielleicht habe ich körperlich die vielen Flandern-Klassiker, an denen ich teilgenommen habe, ein wenig unterschätzt. Mental hat das auch Energie gekostet.

Ich habe zwar die Theorie befolgt und die nötigen Pausen eingelegt, doch ich glaube, dass ich jetzt an meine Grenzen gestoßen bin. Ich muss wohl auch ehrlich zu mir selbst sein und mir eingestehen, wenn ein so schwerer Giro wie dieses Jahr auf dem Programm steht, dann wird es für mich sehr schwer, ein tolles Ergebnis einzufahren. Die vielen Berge der ersten Kategorien kommen mir gar nicht entgegen. Vom Gewicht her kann ich nicht viel mehr abnehmen, als dies jetzt der Fall ist. Mehr kann ich diesbezüglich nicht machen.

War die erste Rennhälfte der Saison vielleicht etwas zu intensiv für Sie?

Eigentlich habe ich dieses Jahr an weniger Rennen teilgenommen als in den Jahren zuvor. In der Vergangenheit habe ich meistens an einem Höhenlagertraining teilgenommen, dann die Ardennen-Klassiker, die Tour de Romandie und auch noch den Giro bestritten. In diesen Jahren wurde ich Sechster und Achter in der Gesamtwertung. Diesmal bin ich gleich bei der Kolumbien-Rundfahrt stark in die Saison gestartet. Aber bei der „Dwars door Vlaanderen“ und der Flandern-Rundfahrt habe ich gemerkt, dass die Batterien so langsam, aber sicher leer wurden. In der Folge konnte ich mich zwar körperlich gut erholen, aber aus mentaler Sicht war ich wohl nie an dem Punkt, an dem ich sein müsste, um eine solch große Rundfahrt bestreiten zu können. An solchen Aspekten muss ich in Zukunft arbeiten, um wieder die Grand Tours in Angriff zu nehmen.

Das bleibt aber schon ein Ziel von Ihnen, weiterhin an den großen Rundfahrten als Klassementfahrer teilnehmen zu können?

Ich habe es ja schon zweimal bewiesen, dass ich eine gute Platzierung herausschlagen kann. Körperlich kommt mir nämlich eine dreiwöchige Rundfahrt entgegen. Jetzt hat es einmal nicht geklappt. Ich darf den Kopf dann nicht gleich hängen lassen.

Wie würden Sie – abgesehen von Ihrer Leistung – den diesjährigen Giro beschreiben?

Eine große Rundfahrt zu bestreiten, ist nie ein Zuckerschlecken. Aber dieses Jahr war besonders hart. Allein schon 3.546,8 km mussten überwunden werden. Die Wetterbedingungen spielten auch nicht immer mit. Einige Etappen würde ich sogar als grenzwertig einstufen. Ich nehme nur das Teilstück vom Samstag als Beispiel. Diese Etappe war besonders anspruchsvoll. Eine solche Etappe wäre eher am Ende der zweiten Rennwoche oder am Anfang der dritten angebracht gewesen. Aber jeder Radfahrer musste dadurch.

Wie sieht Ihr weiteres Programm aus?

Jetzt steht erst mal eine Pause an. Nächste Woche geht es mit meiner Freundin in den Urlaub. Ich will einfach die Zeit ein wenig genießen können. Das Handy bleibt dann wohl auch zu Hause. Ich brauche diese Auszeit unbedingt. Danach werde ich sehen, wann ich wieder ins Renngeschehen eingreifen werde.

Eigentlich habe ich mir vorgenommen, einen guten Saisonabschluss hinzulegen. Es ist aber gut möglich, dass ich diesen Sommer etwas ruhiger angehen und an keinem Rennen teilnehmen werde. Gegen Ende der Saison stehen nämlich schöne Rennen auf dem Programm. Ich denke hierbei nur an die Lombardei-Rundfahrt, die sicherlich meinen Fähigkeiten entgegenkommen würde.

de Schmatt
5. Juni 2019 - 12.50

Gross und weise ist, wer sich seiner Grenzen bewusst ist und sich seine Schwächen eingestehen kann. Nur dann sind Fortschritte möglich.