Aber ist die EU wirklich mehr als ein besserer Handelsblock? Um dies zu beantworten, sollten wir die beiden letzten Male betrachten, als die Europäer vor einer Scheidung standen: die griechische Schuldenkrise und der Brexit. Beide werfen ein Licht auf die gegensätzliche Kräfte, die auf dem Kontinent um die Vorherrschaft kämpfen. Im Falle Griechenlands spielte die EU die Rolle der bösen Unterdrückerin, die mit einer Trennung droht, um einem Mitgliedstaat Zugeständnisse abzupressen. Im britischen Fall war Brüssel der Held, der einen Akt des Vertrags stoisch ertrug und für die Grundsätze des Multilateralismus und der Offenheit eintrat. Welche dieser Episoden fängt den wahren Kern der EU besser ein?
Philosophie der „Hauswirtschaft“
Manchmal scheint sich Europa von einer Philosophie der „Hauswirtschaft“ leiten zu lassen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel berief sich auf das Bild der sparsamen schwäbischen Hausfrau, um ihre harte Position in der griechischen Krise zu rechtfertigen, und die Politik, auf die sich die EU damals einigte, hatte ungefähr dieselbe wissenschaftliche Grundlage wie ein Ammenmärchen.
Wir erinnern uns: Griechenlands Schuldendilemma gehört zu einer Reihe rasant fallender Dominosteine. Nach der weltweiten Finanzkrise von 2008 konnte Griechenland seinen Schuldenberg nicht länger unter den Teppich kehren und bat die EU und den Internationalen Währungsfonds, den Kreditgeber letzter Instanz, um Hilfe. Auch wenn niemand abstreitet, dass die griechischen Staatsfinanzen ein Fiasko waren, glauben doch viele, dass es ein Fehler der „Troika“ (Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und IWF) war, das Land lieber für frühere Fehler büßen zu lassen, anstatt das Fundament für eine bessere wirtschaftliche Zukunft zu legen.
Sie bestand darauf, das Rettungspaket für Griechenland mit harten Sparmaßnahmen zu verknüpfen, zu denen Haushaltskürzungen, Steuererhöhungen, Zwangsprivatisierungen und zahlreiche unternehmerfreundliche Reformen gehörten. Wie Yanis Varoufakis, der damalige griechische Finanzminister, es ausdrückte, hat die Troika Griechenland einem „fiskalischen Waterboarding“ unterzogen, weil sie auf Sühne statt auf Erholung fixiert war. Dadurch wirkte die EU wie ein rachsüchtiger Tyrann, der eine bemitleidenswerte Bevölkerung mit unnötigem Schmerz und Leid überzieht. Mit der Weigerung, Griechenland einen Teil seiner Schulden zu erlassen, schien sie dem darwinschen Argument zu folgen, demzufolge Europa stärker wird, wenn seine wirtschaftlich schwächsten Glieder eliminiert werden (ein Ergebnis, das nur mit knapper Mühe vermieden werden konnte).
Unter denjenigen, die sich am lautesten für dieses Vorgehen aussprachen, war Deutschland, obwohl das Land besser als jeder andere wissen müsste, was passieren kann, wenn eine ganze Nation öffentlich gedemütigt wird. Die EU griff die deutschen Argumente auf und setzte, ungeachtet aller „soften“ Erwägungen, wie der abzusehenden Verelendung der griechischen Bevölkerung, eine strenge fiskalische Disziplin durch.
Opfer der eigenen Hybris
Beim Brexit dagegen wurde das Vereinigte Königreich Opfer seiner eigenen Hybris als zweitgrößter Volkswirtschaft der EU. Eine knappe Mehrheit der Briten verweigerte sich der wirtschaftlichen Logik, die für einen Verbleib in der EU sprach, und konzentrierte sich stattdessen auf die Probleme, die angeblich durch Einwanderung verursacht wurden (zu wenige Grundschulplätze und Arzttermine). Für die Anhänger der Leave-Kampagne rechtfertigte der Nutzen des freizügigen Handels nicht die subjektiven Kosten der freizügigen Migration innerhalb der EU.
Als Großbritannien Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union aktivierte und das Scheidungsverfahren einleitete, schloss sich die EU enger zusammen. Anders gesagt, war die Haltung der EU das genaue Gegenteil ihrer Position in der Griechenlandkrise. Nach 2016 blieb sie ihrer ursprünglichen Aufgabe, ehemaligen Feinden Friede und Wohlstand zu bringen, treu und erwies sich nachträglich des Friedensnobelpreises würdig, der ihr 2012 verliehen worden war.
Die Tatsache, dass Europa Griechenland so bereitwillig leiden ließ und die Stimmen seiner Menschen ignorierte, hatte opportunistischen Euroskeptikern in Großbritannien jedoch durchaus Auftrieb gegeben. Warum sollte sich das Vereinigte Königreich für ein Projekt begeistern, das zulässt, dass die Starken die Schwachen so brutal behandeln? Die traurigen Erfahrungen der Briten mit eigenen Sparmaßnahmen nach 2010 spielten beim Erfolg des Brexit-Referendums ohne jede Frage eine große Rolle.
Das europäische Projekt ist einzigartig, weil es das ehrgeizige Ziel verfolgt, auf der Grundlage der „Idee von Europa“ Völker und Länder auf ganz neue Weise miteinander zu verbinden. Auf ihre Weise zeigen die griechischen und britischen Erfahrungen, dass dieser Idee mehr zugrunde liegen muss als die reine Logik von Geben und Nehmen. Frühere Experimente mit harten Sparmaßnahmen in den 1930ern haben Europa letztlich auseinandergerissen. Wenn die EU nochmals 30 Jahre überdauern will, muss sie sich ein für alle Mal entscheiden, ob sie für Sparpolitik oder für Solidarität stehen will. Eine Entscheidung, die auch die zunehmend scharf geführte Debatte über die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Reform ihrer Haushaltsregeln prägt. Wenn sie sich für Ersteres entscheidet, werden sich all jene bestätigt fühlen, die das europäische Projekt schon immer für nichts als eine Vernunftehe gehalten haben.
*Antara Haldar ist Honorarprofessorin für Empirische Rechtswissenschaft an der University of Cambridge. Zurzeit hat sie außerdem eine Gastprofessur an der Harvard University inne und ist leitende Wissenschaftlerin eines vom Europäischen Forschungsrat finanzierten Projekts zum Thema Recht und Kognition.
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@Arm
Dies sind Verfehlungen einzelner Personen, wie sie in jedem Staat vorkommen.
Was hat dies im Kontext zu den Errungenschaften und Leistungen der EU zu tun?
was ist denn mit den korrupten Europaparlament abgeordneten geworden? Die sitzen bestimmt in den Ferien, denn man hört Nix mehr von den.
Da die Briten nicht mehr bremsen, geht's voran, nur noch Polen und Ungarn rausschmeißen und wie sind golden.
Wie haben die Länder und Menschen der EU all die Jahre von den Errungenschaften leben und profitieren können, eine richtige Erfolgsgeschichte war da entstanden.
Auch Fehler wurden und werden weiterhin passieren, Kritik ist durchaus erlaubt.
Doch diejenigen die sich hier im Lande die EU ins Pfefferland wünschen, sollten sich ernsthaft fragen, warum Luxemburg heute ein so stabiles Land geworden ist. Nach der Stahlkrise in den 1970er Jahren erfolgte der Um- und Aubau zur heutigen Erfolgsgeschichte, die ohne den freien Binnenmarkt der EU so nicht stattgefunden hätte.
Es lohnt sich auf dieses Gebilde acht zu geben.
Die Ukraine wird Europa nicht retten, eher dessen Untergang beschleunigen!....