Insgesamt 24.190 Waggons mit Exportgütern warten darauf, die ukrainische Westgrenze zu überqueren. Das geht aus Daten der staatlichen Eisenbahngesellschaft hervor, die bisher nicht veröffentlicht wurden und die die Nachrichtenagentur Reuters jetzt auswerten konnte.
Da durch die russische Invasion die Südküste des Landes mit den wichtigsten Häfen blockiert ist, hat die Ukraine große Schwierigkeiten, ihre Güter auszuführen. Kiew sucht deshalb nach alternativen Routen auf dem Landweg. Allerdings wird dies durch logistische Herausforderungen und bürokratische Hürden behindert, wie Industrievertreter und Rohstoffhändler beklagen.
10.320 Waggons – also etwa die Hälfte der Gesamtzahl – warten an einem Knotenpunkt in der Nähe des Dorfes Izov, sagt Walerij Tkatschow von der staatlichen Eisenbahngesellschaft Ukrsalisnyzja. Der wichtigste Eisenbahngrenzübergang nach Polen liegt etwa 130 Kilometer nördlich von Lwiw und gilt als Tor zum polnischen Seehafen Danzig.
Ein Hauptproblem ist die schiere Menge an Gütern, die umgeleitet werden muss. Dafür fehlen Waggons und Personal, sagen Insider aus Wirtschaft und Regierung. Die Ukraine, einer der größten Getreideexporteure der Welt, hat vor dem Krieg 98 Prozent des Korns über das Schwarze Meer exportiert. Nur ein Bruchteil der Ausfuhren wurde mit der Bahn befördert, auch weil die Transportkosten hier höher sind als auf dem Seeweg.
Warnung vor Ernährungskrise
Verschärft werden die Schwierigkeiten durch logistische Probleme wie die unterschiedlichen Spurweiten der Gleise in der Ukraine und in Nachbarländern wie Polen – ein Erbe aus der Zeit, als die Ukraine noch Teil der Sowjetunion war. Zudem spielen Sicherheitsaspekte eine Rolle: Während der Westen des Landes von den schlimmsten Kämpfen bislang verschont geblieben ist, gab es in der Nähe von Lwiw Raketeneinschläge. Die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze sind entsprechend streng.
Länder wie China, Ägypten, die Türkei und Indonesien, die auf die Einfuhr ukrainischen Getreides angewiesen sind, müssen nun alternative Lieferquellen finden. Sonst drohen Engpässe bei Nahrungsmitteln, wie Hilfsorganisationen warnen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar hat deshalb die Sorge um die weltweite Nahrungsmittelsicherheit verstärkt. Zugleich sind die Preise für Getreide, Düngemittel und Treibstoffe weltweit in die Höhe geschossen. Weizen etwa hat sich seitdem um mehr als ein Viertel auf rund 360 Euro pro Tonne verteuert. Der Ölpreis war vorübergehend um etwa 40 Prozent gestiegen.
Die Ukraine ist auf die Erlöse aus dem Exportgeschäft angewiesen. Ihre Getreideausfuhren sind ein Eckpfeiler der heimische Wirtschaft. Sie summierten sich 2021 auf 12,2 Milliarden Dollar, was fast ein Fünftel der gesamten Exporte entspricht. „Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt werden keine Nahrungsmittel erhalten, wenn die russische Blockade der ukrainischen Häfen nicht bald aufgehoben wird“, warnt das Landwirtschaftsministerium.
Dabei hatten die ukrainischen Landwirte 2021 Rekordernten eingefahren. Auch dank günstiger Witterungsbedingungen kamen mehr als 100 Millionen Tonnen Getreide, Hülsenfrüchte und Ölsaaten zusammen. Die Bauern fürchten nun einen Einbruch ihrer Weizenerträge um mindestens die Hälfte. Nach US-Angaben haben russische Streitkräfte wiederholt Getreidelager in der Ostukraine angegriffen. „Während Putins Krieg weitergeht, wird immer mehr ukrainisches Ackerland durch russische Panzer, Granaten und Landminen zerstört, was zu einer viel längerfristigen Nahrungsmittelkrise führen kann“, warnt ein US-Beamter. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, Minen im Schwarzen Meer zu legen und so die Handelsschifffahrt zu gefährden. Die Ukraine und Russland sind wichtige Weizenexporteure, auf die zusammen etwa ein Drittel der weltweiten Ausfuhren entfallen – fast die gesamte Ernte wird durch das Schwarze Meer befördert.
Das Problem mit der Spurweite
Für die Weiterfahrt der Waggons ist das Schienennetz entscheidend. Das in der Ukraine ist auf die russische Spurweite von etwa 1,5 Metern normiert. Das sind etwa 10 Zentimeter mehr als die in den meisten europäischen Ländern verwendete Breite. Deshalb muss das Bahnpersonal die Waggons mit Wagenhebern hochheben und die Fahrgestelle manuell an die polnischen Gleise anpassen, sagt Tkatschow. Alternativ können sie etwa den Weizen entladen und in die polnischen Waggons umfüllen – ein Prozess, der bis zu einer halben Stunde pro Waggon dauern kann.
Derzeit überqueren bis zu 500 Waggons pro Tag die Grenze bei Izov, sagt Tkatschow. Die Staatsbahn arbeite daran, die Kapazität für den Grenzübergang nach Polen, Rumänien, Ungarn und in die Slowakei binnen drei Monaten auf 1.100 Getreidewagen pro Tag zu erhöhen – eine Steigerung um fast das Zehnfache gegenüber dem Stand vom März. Das Unternehmen stellt neue Mitarbeiter ein und kauft Ausrüstung, um die Umstellung der Schienenfahrgestelle zu unterstützen. „Wir arbeiten daran, den Prozess zu beschleunigen, indem wir die Anzahl und Dauer der Wagenkontrollen sowie die Menge an Papierkram reduzieren“, sagt Tkatschow.
Vom Rückstau betroffen ist unter anderem die Astarta Holding NV, ein Nahrungsmittel-Hersteller aus der Ukraine. Astarta will im April 25.000 Tonnen Mais an europäische Kunden liefern. Die Eisenbahnbehörden hätten dafür aber noch kein grünes Licht gegeben, sagt Astarta-Direktorin Julia Bereschchenko. Das Unternehmen hat derzeit nach eigenen Angaben etwa 150.000 Tonnen Getreide in seinen Silos, vor allem Mais. Dabei sind die Lagerhäuser in dieser Jahreszeit eigentlich fast leer.
Regierungsdaten zufolge wurden im März etwa 1,4 Millionen Tonnen Mais und Weizen exportiert. Das entspricht etwa einem Viertel des Februar-Wertes und ist ein Rückgang von rund drei Millionen Tonnen im Vergleich zum März 2021. In dieser Statistik enthalten ist auch Getreide, das auf Schiffe verladen wurde und nun in blockierten Häfen festsitzt, sagt der stellvertretende Landwirtschaftsminister Taras Vysotskiy.
Analysten zufolge könnte die Ukraine, die seit Beginn der Saison im Juli 2021 bis zur Invasion Ende Februar 43 Millionen Tonnen Getreide exportiert hat, in den nächsten drei Monaten aufgrund logistischer Schwierigkeiten nur etwa eine Million Tonnen ausführen. Vor dem Krieg ging die Regierung davon aus, dass die Ausfuhren 65 Millionen Tonnen erreichen könnten.
Rohstoffhändler wie Cargill suchen nach allen Möglichkeiten, Lebensmittel aus dem Land zu bringen. Aber es gibt keine einfache Lösung, sagt eine Insider. Kiew führt etwa Gespräche mit Rumänien über die Verschiffung seiner Agrarprodukte über den dortigen Schwarzmeerhafen Constanta. Dies würde bedeuten, dass das Getreide mit der Bahn zu den Frachthäfen an der Donau transportiert und dann auf Lastkähne verladen werden müsste, die dann nach Constanta fahren, sagen Branchenkenner. In dem rumänischen Hafen wiederum müssten die Körner dann auf große Schiffe umgeladen werden, um sie in die Welt zu verschiffen. Der gesamte Prozess ist komplex und damit sehr kostspielig. Nach Angaben von APK-Inform, einem ukrainischen Beratungsunternehmen für die Landwirtschaft, belaufen sich die Kosten für die Lieferung ukrainischen Getreides zum rumänischen Hafen Constanta auf 120 bis 150 Euro (133 bis 166 Dollar) pro Tonne. Vor dem Krieg zahlten die Händler für den Transport zu den ukrainischen Schwarzmeerhäfen etwa 20 bis 40 Dollar pro Tonne.
„Nur ein Tropfen auf den heißen Stein“
Hoffnungen auf eine schnelle Wiedereröffnung dieser Route wurden zuletzt enttäuscht: Am Sonntag schlugen nach Angaben lokaler Behörden russische Raketen am Hafen von Mykolaiv ein und trafen auch Öleinrichtungen in der Nähe des Drehkreuzes Odessa am Schwarzen Meer. Russland hatte erklärt, seine Raketen hätten eine Ölraffinerie und drei Treibstofflager in der Nähe Odessas zerstört.
Die ukrainische Regierung macht sich aber auch Sorgen um die heimische Versorgung mit Lebensmitteln – obwohl sie nach eigenen Angaben eigentlich über Vorräte für drei Jahre verfügt. Im März wurde vorsorglich die Ausfuhr von Roggen, Hafer, Hirse, Buchweizen, Salz, Zucker, Fleisch und Vieh ausgesetzt. Zugleich wurden Ausfuhrlizenzen für Weizen eingeführt. Die Regierung betont jedoch, die freie Ausfuhr von Mais und Sonnenblumenöl zu erlauben.
Selbst wenn es dem Land gelänge, seine Exportkapazitäten von 700.000 auf eine Million Tonnen pro Monat auf dem Schienenweg und über die Donau zu steigern, wäre dies nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, zeigt sich der Manager eines der wichtigsten im Land tätigen ausländischen Rohstoffhändler pessimistisch: „Wir erreichen vielleicht 10 bis 15 Prozent der Kapazität, die eigentlich benötigt wird“, sagt er. „Ich glaube, die Risiken für die Wirtschaft sind enorm.“
...und inzwischen hat so eine Bande Bekloppter eine ganze Ladung,ca.1500t.,Weizen auf die Gleise geschüttet!Geschehen in Frankreich!