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Warschau spielt den Streit mit der EU herunter

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Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki zeigte sich optimistisch: „Wir haben unseren guten Willen gezeigt, und mehrere Gesetze abgeändert“, sagte er am Dienstag vor der Anhörung Polens zur umstrittenen Justizreform im EU-Rat.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger

Warschau wollte dort erneut sein „Weißbuch“ vorstellen und nun auch im Plenum erläutern, weshalb die größtenteils schon vollzogenen Reformen den Rechtsstaat nicht gefährden würden. Die EU-Kommission hat die bisherigen Korrekturen der in Polen alleine regierenden rechtspopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) allerdings als „bloß kosmetisch“ kritisiert und sich zu einem weiteren Dialog über substanziellere Gesetzesänderungen bereit erklärt.

Dies wird in Warschau als Etappensieg gewertet. Die Regierung sieht sich in ihrem Katz-und-Maus-Spiel mit Brüssel bestätigt, zumal sie die für die PiS zentralen und machterweiternden Reformschritte bereits größtenteils umgesetzt hat. Auch geben sich Spitzenvertreter der PiS-Regierung überzeugt, dass die Kommission mit ihrer Sicht im EU-Rat die nötige Vier-Fünftel-Mehrheit für den nächsten Schritt im EU-Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 7 nicht zusammenkriegt. Neben Ungarn zählen auch die Slowaken, Tschechen, drei Baltenstaaten und Rumänien zu möglichen Verbündeten Warschaus. Selbst Großbritannien könnte die Kaczynski-Regierung unterstützen, heißt es in Warschauer Diplomatenkreisen.

Während sich Jaroslaw Kaczynskis Minister zurückhaltend und EU-freundlich geben, lassen indes Äußerungen rechter Spitzenpolitiker tief blicken. Die Anhörung Polens im EU-Rat habe einzig zum Ziel die polnische Verhandlungsposition bei den anstehenden Budget- und Migrationsverhandlungen zu schwächen, erklärte der gescheiterte EU-Ratspräsidentenkandidat Jacek Sariusz-Wolski in einem Interview mit dem PiS-freundlichen Nachrichtenportal wpolityce.pl. „Es geht einzig darum, den Ruf Polens zu schädigen“, behauptete Sariusz-Wolski.

Schuld an allem sei Donald Tusk, der seine hervorragenden Brüsseler Verbindungen spielen lasse, sagte Kaczynskis Vize-Justizminister Patryk Jaki. „In Brüssel warten alle nur auf einen Regierungswechsel in Polen“, begründete Jaki. „Für manche EU-Bürokraten herrscht eben nur dann Demokratie, wenn die liberale Bürgerplattform regiert“, behauptete der PiS-Politiker.

„Es gibt überhaupt keine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit“, sagte Marek Suski. „Zudem ist klar, dass die EU-Kommission ihre Kompetenzen überschreitet“, fügte Morawieckis Kanzleichef sicherheitshalber noch an.

Mögliche Zugeständnisse

Die oppositionelle, linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza hat gestern jedoch vorsorglich bereits vier mögliche weitere Zugeständnisse geortet, die die Herrschaft der PiS über die polnische Justiz nicht gefährden würde, sich jedoch in Brüssel gut verkaufen ließen. So könnten am 3. Juli 16 von neuerdings 120 Höchstrichtern nicht in den vorzeitigen Ruhestand geschickt und die von Brüssel sehr kritisierte mögliche Neubeurteilung längst abgeschlossener Rechtsfälle noch einmal eingeschränkt werden.
Im Verfassungsgericht könnten drei noch im Sommer 2015 unter der liberalen Regierung vom Parlament bestimmte Richter ihren Sitz einnehmen, ohne damit die PiS-Mehrheit des Gremiums zu gefährden.

Die PiS hat dort mittlerweile so viel Übergewicht, dass auch drei aufgrund ihres liberalen Weltbildes freigestellte Verfassungsrichter erneut zu Fällen zugelassen werden könnten. Das alles, schreibt die Zeitung, würde Brüssel bestimmt freuen und die PiS-Macht über beide Gerichte keineswegs brechen. Das einzige Problem sei die eiserne Wählerschaft der Kaczynski-Partei, die jeden noch so kleinen Kompromiss als „Kniefall vor Brüssel“ kritisieren würde.

Die Kommission für Bürgerrechte, Gerechtigkeit und Innenpolitik des EU-Parlaments hat Anfang der Woche übrigens empfohlen, auch gegen Ungarn ein Verfahren nach Artikel 7 des Lissabonner Vertrages zu eröffnen. Über den Antrag soll im Herbst abgestimmt werden. Polens Kaczynski-Regierung stützt ihre Einschätzungen des Verhandlungsspielraums mit der EU immer wieder auf ungarische Erfahrungswerte. Dort ist seit 2010 der EU-skeptische Viktor Orban, Kaczynskis politisches Vorbild, Premierminister.