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Von der Friedensikone zur Hassfigur

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Durch die Rohingya-Krise gerät Aung San Suu Kyi immer stärker in die Kritik. Die Friedensnobelpreisträgerin versucht nicht einmal, für die unterdrückte Minderheit in Myanmar einzustehen.

Wer vom singenden Aktivisten und U2-Sänger Bono mit einem Lied geadelt wurde, von dem sollte man sicher sein können, dass er auf der richtigen Seite steht. In dem Song «Walk On» besingt Bono die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Wer das Lied nach Myanmar schmuggelte, konnte mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Heute sind die Dinge komplizierter: Aus der einstigen Oppositionellen ist nach ihrem Wahlsieg 2015 selbst eine mächtige Politikerin geworden — und sie macht sich immer stärker mit jenen gemein, die sie einst unterdrückten.

Hunderttausende auf der Flucht

An der Grenze zwischen Myanmar und Bangladesch spielt sich in diesen Tagen eine Tragödie ab. Nach einem Angriff militanter Rohingya, einer muslimischen Minderheit im buddhistischen Myanmar, sind die Streitkräfte im westlichen Bundesstaat Rakhine zu einer schonungslosen Gegenoffensive übergegangen. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass seither rund 300.000 Menschen ins Nachbarland geflohen sind. In den Lagern ist längst kein Platz mehr: Viele Flüchtlinge schlafen an Straßenrändern oder auf Feldern. Sie berichten von angezündeten Dörfern und Soldaten, die Jagd auf Zivilisten machen. Satellitenbilder zeigen, dass ganze Dörfer verwüstet wurden.

Suu Kyi kann nicht direkt für die Gewalt verantwortlich gemacht werden. Auch wenn sie mehrere Ministerposten kontrolliert und De-facto-Regierungschefin ist, bleibt ihre Macht in Myanmar doch begrenzt. Das Militär, das per Verfassung weiterhin ein Viertel des Parlaments kontrolliert, hat in vielen Bereichen freie Hand.

Suu Kyi verteidigt die Armee

Bisher hat Suu Kyi die Gewalt gegen die Rohingya in Myanmar nicht einmal kritisiert. Sie folgt der Argumentation des Militärs, dass sich der massive Kampfeinsatz ausschließlich gegen Aufständische richte. Nichtregierungsorganisationen und Medien warf sie vor, mit ihrer Unterstützung für die Rohingya den Terroristen zu dienen. Zur Verbesserung der Lage der Rohingya bewirkte sie in ihrer nun rund anderthalbjährigen Amtszeit kaum etwas.

Im Ausland wächst nun die Kritik an der einstigen Friedensikone: Einst spielte sie in einer Liga mit Nelson Mandela und Mahatma Gandhi. Jetzt wird sie in der globalen Wahrnehmung aus der Riege der großen Freiheitskämpfer hinauskatapultiert.

Schweigen – ein zu hoher Preis

Andere Friedensnobelpreisträger gehen auf Distanz. «Meine liebe Schwester, wenn der politische Preis deines Aufstiegs in das höchste Amt in Myanmar Schweigen ist, dann ist dieser Preis eindeutig zu hoch”, schreibt der südafrikanische Geistliche und Menschenrechtsaktivist Desmond Tutu.

Die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai fordert: «Ich habe wiederholt die tragische und schändliche Behandlung der Rohingya verurteilt. Ich warte immer noch darauf, dass meine Friedensnobelpreis-Kollegin Aung San Suu Kyi das auch tut.» Und der frühere Direktor des norwegischen Nobel-Instituts, Geir Lundestad, sagte: «Ich bin sehr enttäuscht von ihrer Haltung.»

Hunderttausende haben eine Online-Petition unterschrieben, damit ihr der Friedensnobelpreis wieder aberkannt wird. «Was ist falsch daran, ein Muslim zu sein, Suu Kyi?», fragen sie. «Lehren uns Demokratie und Menschenrechte nicht, Unterschiede im Glauben zu respektieren?»

Sie ist jetzt Politikerin

Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die aufgeklärte Suu Kyi tatsächlich einen Groll gegen Muslime hat. Ihr Schweigen hat Kalkül: Weite Teile der myanmarischen Gesellschaft hegen Ressentiments gegen Muslime. Es gibt mächtige, von buddhistischen Mönchen angeführte anti-islamische Gruppen. Wer in Myanmar Muslime verteidigt, der macht sich schnell unbeliebt. Und Suu Kyi ist keine Freiheitskämpferin mehr. Sie ist jetzt Politikerin und braucht Wählerstimmen.

Frederic Spohr