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Verlassen in der Wüste – Wie ein Flüchtling nach Agadez kam

Verlassen in der Wüste – Wie ein Flüchtling nach Agadez kam

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Eine Frau schreit pausenlos. Sie wedelt mit den Armen, wirkt außer sich. Dass es sich nicht um einen kleinen Streit oder einen nur allzu menschlichen Wutausbruch handelt, zeigt sich nach fünf Minuten. Sie schreit immer noch. Aus Verzweiflung, aus Frustration. Wie sich später herausstellen wird, sorgt sie sich um ihre Gesundheit und die ihrer Kinder (siehe Kasten).

Im Transitzentrum in Agadez, Niger, ticken die Uhren anders. Es ist kein Internierungslager wie in Libyen, das einem Gefängnis gleicht, aber auch kein Flüchtlingscamp, wie man sie aus Europa kennt. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) errichtet solche Zentren, um den Tausenden Menschen, die in Afrika auf der Durchreise sind, zu helfen – aber auch, um sie für eine sinnvolle Migration zu sensibilisieren, was eigentlich heißt, sie davon abzuhalten. Alleine 2016 wurden 120.000 Migranten durch Agadez geschleust. Das Transitzentrum nimmt jedoch keine Menschen auf, die auf der Durchreise Richtung Europa sind, sondern vielmehr welche, die in ihre Heimatstaaten zurückwollen.

Agadez wird auch «Schmugglerhauptstadt Afrikas» genannt. Dass dies keine Übertreibung ist, zeigt sich beim Blick auf die Bewohner des Transitzentrums. Einer von ihnen ist Christian Mavouzny (Foto unten). Er sitzt mit 728 weiteren Migranten in Agadez. Entgegen rechtspopulistischen Sirenengesängen schaffen die meisten derjenigen, die in Afrika ihre Heimatländer verlassen, es alleine aus finanziellen Gründen gar nicht bis nach Europa, sondern nur bis in die umliegenden Nachbarstaaten. So erging es auch Christian Mavouzny.

Die Magenverstimmung

Im Transitzentrum in Agadez haben die Frauen einen eigenen Korridor. Allerdings stellen sie nur einen Bruchteil der aktuell 728 Einwohner dar, blickt man sich ein wenig um. Eine von ihnen wehrt sich jedoch mit all ihrer Kraft und schreit aus Wut und Verzweiflung. Mal in gebrochenem Englisch, mal auf Französisch. Nachdem sie sich in den Frauenkorridor zurückgezogen hat, kann man sie wieder ansprechen. Die Mutter von zwei Kindern stammt aus Liberia. «Wir können das Essen hier nicht essen. Jeder von uns hat eine Magenverstimmung. Alle mussten gestern Abend auf die Toilette rennen. Auch heute essen wir und alles kommt einfach wieder raus.» Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, ist aufgebracht. «Das Essen ist unhygienisch. Wir müssen einfach auf die Toilette. Ich bin mit meinen beiden Kindern hier. Wissen Sie, was eine Toilette ist?» Die Frau echauffiert sich, sie ist am Ende mit den Nerven. Eine zweite Frau stößt dazu. «Verstehst du kein Französisch?» Sie wirkt verzweifelt. Ihr Gesicht ist von einer Krankheit teilweise entstellt. Sie sieht, dass ihr Gegenüber ihr nichts Böses will, sondern nur auf die Missstände aufmerksam machen will. «Tut mir leid. Was die Frau hier sagen will, ist, dass das Essen ein Albtraum ist.»

Tageblatt: Woher kommst du?
Mavouzny: Ich stamme aus Kamerun. Ich wollte nach Algerien. Die Reise war allerdings schwierig.

Weshalb?
Man hat mir keine Wahl gelassen. Wir sind in einem Wagen mitgenommen worden.

Wohin?
Wir haben die Wüste durchquert. Bis wir irgendwann in Agadez waren. Es war nicht einfach.

Was hast du unterwegs erlebt?
Kämpfe und Sklaverei. Ich hatte Glück, dass es nicht schlimmer wurde.

Du wurdest von Schleppern mitgenommen?
Ja, der Mann, der uns durch die Wüste bringen sollte, hat uns einfach ausgesetzt.

Weshalb?
Kurz bevor wir ankommen sollten, kam eine Polizeipatrouille. Der Schlepper geriet in Panik. Er hat uns einfach in der Wüste aus dem Auto geworfen.

Und dann?
Geflohen. Er ist einfach geflohen. Ohne uns. In der Wüste.

Haben sie ihn geschnappt?
Nein, er war bereits weit weg.

Wie lange seid ihr durch die Wüste gezogen?
Wir waren zum Glück fast am Ziel. Wir sind nur zwei Tage durch die Wüste gelaufen.

«Nur» zwei Tage? Ohne Hilfe?
Ja, wir hatten kein GPS oder sonst etwas. Wir sind orientierungslos durch die Wüste gezogen.

Und dann?
Wir sind in einem kleinen Dorf angekommen. Das war unsere Rettung. Allerdings hat niemand Französisch gesprochen.

War das dein erster Versuch, in ein anderes Land auszuwandern?
Ja, wir haben das zum ersten Mal gemacht. Wir haben viel gelernt.

Was zum Beispiel?
Unser ganzes Gepäck war im Wagen des Schmugglers. Alles. Wir hatten nichts mehr. Kein Ausweis, keine Unterlagen. Nichts.

Wie seid ihr im Zwischenlager der Internationalen Organisation für Migration gelandet?
Es ist uns gelungen, im Dorf Kontakt mit der IOM aufzunehmen. Wir wurden registriert und dann ins Zentrum nach Agadez gebracht.

Musstest du dem Schlepper viel zahlen?
Ja, weil ich keine Erfahrung hatte. Wer das regelmäßig tut oder versucht, wird nicht so leicht über den Tisch gezogen. Meine Familie hat mir geholfen, die Fahrt zu bezahlen. Unser ganzes Geld ist weg.

Was machst du jetzt?
Ich will zurück nach Kamerun. Der Kampf geht weiter. Wir haben es in unserem Land nicht einfach. Ich komme aus einer ziemlich gewalttätigen Gegend, in der viele Menschen getötet werden.

Hast du noch Familie in Kamerun?
Meine Mutter ist bereits tot, mein Vater sehr alt. Ich habe eine Tante in Europa.

Wo lebst du, wenn du zurückkehrst?
Ich habe vor meiner Flucht in einer Mietwohnung gelebt. Ich muss schauen, wo ich hingehe. Ich habe kein Haus. Ich bin ein junger Mann, der versucht, sein Leben zu bestreiten.

Welche Perspektive hast du?
Ich werde versuchen, so schnell wie möglich irgendeine Arbeit zu finden.

Wo hast du früher gearbeitet?
Bei einem chinesischen Unternehmen als Handwerker. Ich habe aber quasi nichts verdient. Meine Tante hat mir bereits damals geholfen.

Wie viel hast du genau verdient?
Es war eine Schande. Ich habe knapp 45.000 westafrikanische Francs (rund 60 Euro, Anm. d. Red.) pro Monat verdient. Wie soll jemand wie ich sein Leben mit solch einem Gehalt meistern? Damit kriegst du vielleicht ein Zimmer.

Was kostet ein Zimmer?
10.000 Francs (rund 16 Euro, Anm. d. Red.). Aber ein Zimmer, in das du ein Tier einsperrst. Und dann hast du noch nicht gegessen, getrunken oder andere Rechnungen bezahlt.

Wie schwer ist es, um einen anständigen Job in Kamerun zu kriegen?
Kennst du den Spruch «Geld zieht Geld an»? Das sagt viel über unsere Wirtschaft aus. Du musst immer jemanden kennen, der jemanden kennt.