Der Stillhaltekommissar war ein Reichskommissar zur Gleichschaltung oder Liquidation von juristischen Personen während des Nationalsozialismus in Gebieten, die vom Deutschen Reich annektiert waren. Obwohl der Stillhaltekommissar dem Gauleiter unterstellt war und dieser ihn mit weitreichenden Befugnissen ausstattete, handelte es sich nicht um eine NS-Verwaltung im eigentlichen Sinne. Der Stillhaltekommissar und sein etwa 20-köpfiges Team hätten im Auftrag der NSDAP-Parteizentrale gearbeitet, unterstrich Marc Schoentgen.
Erstmals kam der Stillhaltekommissar im besetzten Österreich 1938 zum Einsatz, später dann in Böhmen und Mähren, im Sudetenland und ab dem 28. August 1940 in Luxemburg. Auch das Elsass und Lothringen unterstanden der luxemburgischen Stiko.
Der Stillhaltekommissar für das Organisationswesen in Luxemburg war eines der wichtigsten Instrumente der NS-Diktatur im Großherzogtum. Die nur wenig bekannte Institution arbeitete mehr oder weniger im Hintergrund, verfügte aber über alle Vereine, ihre Besitztümer und Finanzen.
Der Stillhaltekommissar Franz Schmidt entschied über die Zukunft der Vereine. Parteien, Gewerkschaften, Arbeiterbewegungen, Sterbekassen, aber auch karitativ sowie religiös orientierte Vereinigungen, Stiftungen und Ligen wurden von Anfang an vom Kommissar aufgelöst. Das Vermögen der aufgelösten Organisationen, dazu gehörten auch Gebäude, wurden an die NSDAP und ihr nahestehende Organisationen transferiert. Verschiedene Gewerkschaften etwa wurden der Deutschen Arbeitsfront, einem Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, angegliedert. Jugendvereine etwa durften weiterhin bestehen, sie wurden jedoch der Nazi-Ideologie der Hitlerjugend unterstellt.
Insgesamt beschlagnahmte der Stillhaltekommissar Vermögen in Höhe von sechs Millionen Reichsmark. Auch Klöster wurden in Nazi-Besitz überführt, in Clerf musste die Abtei einer Adolf-Hitler-Schule weichen.
70 Prozent der Vereine aufgelöst
Jedoch wurde noch lange nicht jeder Verein aufgelöst, wie Marc Schoentgen erläuterte. Denn Musikgesellschaften, Chöre, Sport- und Freizeitvereine oder gar die Kleintierzüchtervereine waren für das NS-Regime von Wichtigkeit. Sie wurden vom Kommissar freigestellt, durften also weiterhin bestehen. Das große Aber: Sie mussten sich der Nazi-Ideologie unterwerfen. Fortan durfte also ein Musikverein nur noch vom NS-Regime auserwählte Lieder, meist Propaganda, spielen.
Sogar Briefmarkensammlervereine waren erwünscht und für das NS-Regime nützlich. Der Luxemburger Landesverband musste den Namen „Deutscher Briefmarkensammlerbund Luxemburgs“ annehmen und war gezwungen, die ihm zugestellten Mustersatzungen (Statuten) anzunehmen. Dies galt übrigens auch für alle andere Vereine, die weiter existieren durften, sie mussten die Mustersatzungen der Nazis annehmen.
Wie wirkten sich die Verordnungen des Stillhaltekommissars auf das alltägliche Vereinswesen aus? Ganz unterschiedlich, wie der Historiker betont. In einer Vielzahl von Musikvereinen waren es die Mitglieder, die sich freiwillig zurückgezogen haben, so Schoentgen. Sie haben die Mitgliedsbeiträge eingestellt, Proben und Konzerte boykottiert. Andere Vereine etwa unterstellten sich mehr oder weniger freiwillig dem Regime der Besatzer, um ihre Aktivitäten fortsetzen zu können, wie aus Marc Schoentgens Nachforschungen hervorgeht.
Im Staatsarchiv befinden sich um die 4.000 Vereinsakten des Stillhaltekommissars. Aus den Nachforschungen von Marc Schoentgen geht hervor, dass fast 70 Prozent der Luxemburger Vereine vom NS-Regime aufgelöst wurden.
Guten Tag Herr Schoentgen,
ab 1933 wurde der (weltweit agierende) Sozialverband der Katholiken vom unfehlbaren päpstlichen "Luxemburger Wort" gezwungen, sich der Naziideologie nicht nur zu unterwerfen, sondern sich mit ihr zu identifizieren.
"Die NSDAP hat große Erfolge erzielt. Wir müssen ihr behilflich sein, weiterhin Erfolge zu erzielen. Denn wenn sie zugrunde geht, gehen auch wir mit zugrunde. Das darf nicht sein. Deshalb müssen wir mit aller Kraft eingreifen."
(Luxemburger Wort, 24.04.1933)
"Der Nazismus (…) ist eine Kultur, in der alles auf die Macht als höchstem Wert ausgerichtet ist, und die immer wieder Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen als lästige Überbleibsel einer dekadenten Demokratie schlecht macht." (…)
"Kulturen sind ziemlich wasserdicht."
(Kurt LEWIN, Sozialpsychologe, Der Sonderfall Deutschland, 1943)
MfG
Robert Hottua