Kürzlich wurden in Mulhouse zwei junge Frauen von einem Mann angegriffen, der ihnen das Tragen eines Rocks übelnahm. Leider kein Einzelfall.
Vor etwa zwei Wochen sorgte das Thema „Kleiderordnung“ im Diekircher „Kolléisch“ für Aufregung. Dort wurde zwar niemand verprügelt, doch das Grundproblem ist das Gleiche: Irgendjemand versucht, anderen seine eigene Vorstellung einer „angemessenen“ Kleidung aufzuzwingen.
Es scheint so, dass die Tendenz des „vestimentären Liberalismus“, wie er seit den 1960ern herrschte, von immer mehr Menschen abgelehnt wird. Vor 50 Jahren war die Hippiebewegung auf ihrem Höhepunkt. Ihre Lebensphilosophie – die Rebellion gegen bürgerliche Konventionen – drückten die Hippies u.a. durch ihren Kleidungsstil aus: Frauen trugen z.B. – oh Schreck! – durchsichtige Blusen. Ob es nun lange Haare, Tattoos oder kurze Röcke sind: Es hat kaum eine Generation gegeben, die die Älteren nicht wegen ihres Erscheinungsbildes ärgerten.
Mädchen bräuchten einen Dresscode, weil sie sich ihrer Wirkung auf das andere Geschlecht nicht bewusst seien, hieß es in Diekirch. Kaum zu glauben, dass dies 2020 behauptet wird. Eine Aussage, die man eher in einer Kirchenpredigt erwarten würde.
Die eigentliche Frage, wie sie in einem Artikel (s. „T“ vom 29.9.2020) aufgeworfen wurde, lautet: Braucht es 2020 überhaupt noch eine Kleiderordnung? Die DP-Politikerin Jana Degrott wird in dem Artikel zitiert: Anstatt Mädchen öffentlich wegen zu kurzer Kleider zu verurteilen, sollte man Lehrern und Studenten beibringen, den weiblichen Körper nicht übermäßig zu sexualisieren. Recht hat sie, denn es ist nicht die Kleidung, die eine Tat verursacht, sondern ganz alleine der Täter. Analog dazu bräuchte sonst jeder Dieb nur zu sagen: „Es ist nicht meine Schuld, Gelegenheit macht halt Diebe.“
Laut Befürwortern einer Kleiderordnung müssen bloß die Gelegenheiten verboten werden, in diesem Fall die „provozierende“ Kleidung. Einen zu kurzen Rock und nackte Beine mit dem Argument zu verbieten, sie könnten provozieren, kommt einer Entschuldigung eventueller Straftaten gegen die Rockträgerin gleich. „Kein Wunder, so wie du dich anziehst.“ Das Opfer einer sexuellen Aggression wird wegen seiner Kleiderwahl schuldig gesprochen. Die Frauen müssen vor sich selbst geschützt werden, lautet die Argumentation. Eine Kleiderordnung würde die Wahrscheinlichkeit von Übergriffen vermindern.
Für die Gegner einer Kleiderordnung ist sie allerdings schlicht ein Eingriff in die persönlichen Rechte auf Selbstentfaltung.
Die Antwort auf die Frage, ob es heutzutage eine Kleiderordnung braucht, lautet nein. Moden kommen und gehen, und dazu gehört auch, mehr oder weniger Haut zeigen. Falls eine bestimmte Kleiderwahl wirklich zum öffentlichen Ärgernis führen sollte, gibt es entsprechende Regelungen im Strafgesetz. Aber vorher sollte in den wohl bestimmt eher seltenen Extremfällen das direkte Gespräch gesucht werden, anstatt auf Verbote zu setzen.
Falls nackte Haut schockiert, liegt der Affront im Auge des Betrachters. Also einfach Augen zu, das Herbstwetter wird die Gemüter eh abkühlen, und bis zum nächsten Sommer hat sich die Mode vielleicht wieder geändert.
Schéckt se op den FKK Strand, do gëtt ët keng Kleederuerdnung! Mir hu vläicht Suergeen an dësem Land.
Das dürfte doch wohl mittlerweile bekannt sein, dass jeder nur Rechte hat , tun und lassen möchte was er will. Pflichten und Unterordnung , Respekt und Rücksicht snd schon längst passé. Eine Kleidungskultur - man schaue sich nur um - gibt es seit langem nicht mehr. Angesagt sind eher Geschmacklosigkeit und ein allgemeines " laisser aller " . Soll doch jeder nach seiner Façon glücklich werden.
Ausgezeichneter Artikel Herr Molinaro. Ihrer Argumentation stimme ich zu 100% zu!
Das Unterichtsministerium sollte zeitnah alle Schulen anweisen diese unsinnigen Dresscodes abzurufen.
Dieser Artikel trifft genau meine eigene Meinung zum Thema.
Viele mühsam errungenen Fortschritte im Bereich Emanzipation der Frau drohen wieder verloren zu gehen. Über die Ursachen dafür will ich hier nicht spekulieren. Etwas Nachdenken dürfte jedem klar machen, woran es liegt