Steigende Preise, hohe Kreditzinsen, zunehmende Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit sowie ein gestiegenes Armutsrisiko – die Serie der negativen Nachrichten reißt nicht ab. Zur mäßigen aktuellen Wirtschaftstätigkeit kommt der Anstieg der Staatsschulden. Trotzdem werden, wie in vielen Ländern seit Jahrzehnten üblich, von einem Großteil des politischen Spektrums die altbekannten neoliberalen Rezepte angepriesen. Dazu gehören das ewige Mantra der Steuersenkung für Reiche und Großkonzerne, die Deregulierung von Wirtschaft und Arbeitsrechten, Lohnreduzierungen und die Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Und es passt auch dazu, dass der wirtschaftsliberal-konservative CSV-Spitzenkandidat Luc Frieden noch vor der Ferienzeit mit seinen Schlagworten à la „weniger Steuern für jeden“ und „mehr Netto vom Brutto“ in den Vorwahlkampf zog und mit dem Gassenhauer des Wachstumscredos Anspruch auf den Sommerhit des Superwahljahres erhob. Dessen Refrain lautet: „Eine wachsende Wirtschaft ist das A und O des Lebens.“ Das Ganze wird kredenzt mit einer Soundcollage aus „qualitativ“, „inklusiv“ und „intelligent“ – und wie könnte es anders sein: mit „nachhaltig“. Frei nach der saarländischen Sängerin Nicole: „ein bisschen Klimaschutz“. Das klingt eher nach Evergreen und ist gegen einstige Sommerhits wie „Macarena“ und „Lambada“, „Sunshine Reggae“ und „Sun of Jamaica“ nicht wettbewerbsfähig.
Doch nicht nur die einstigen christsozialen Leadsänger des politischen Spektrums mitsamt Abgeordnetenchor, sondern auch die liberalen Backstreet Boys and Girls, zurzeit noch Bandleader in der Gambia-Combo, geben seit jeher gerne den Ton zur Hintergrundmusik der alten Chicagoer Schule an. „déi gréng“ hingegen nehmen vielleicht noch gelegentlich Anleihen beim Vienna Vegetable Orchestra, scheppern aber längst nicht mehr im Ton-Steine-Scherben-Rhythmus der linken Gesellschaftskritik, sondern turnen vorwiegend als Liberale mit grünem Gewissen pragmatisch durchs Regierungsprogramm. Und bei der LSAP gilt: Am besten sind die Sozialisten, wenn sie den Grundton von sozialer Gerechtigkeit, Emanzipation und Gleichheitsanspruch treffen – es bleibt zu hoffen, dass ein Vorschlag wie die Vier-Tage-Woche mit 36 Arbeitsstunden kein One-Hit-Wonder bleibt und „like ice in the sunshine“ schmilzt.
Die alte Leier hilft nicht gegen Armutsrisiko und soziale Ungleichheit. Statt struktureller Maßnahmen gibt es „selektive Sozialpolitik“ bzw. „soziale Selektivität“, das heißt Almosen statt Umverteilen. Das ist eher die weiche „Charity“-Seite des Neoliberalismus, die andere (dunkle) ist ein eher angespanntes Verhältnis zur Demokratie, wie der Politologe Thomas Biebricher analysiert. Die Gesellschaften in den westlichen Demokratien sind jedenfalls gespalten wie nie zuvor. Auf die Spitze getrieben wurde dies während der US-Präsidentschaft von Donald Trump, doch die „staatsbürgerlichen Probleme haben nicht mit Trump angefangen“, konstatiert der Harvard-Philosoph Michael J. Sandel in der Neuausgabe seines Standardwerks „Das Unbehagen in der Demokratie“: „Die Trennung zwischen Gewinnern und Verlierern hat sich jahrzehntelang vertieft – sie hat unsere Politik vergiftet und uns auseinandergebracht.“ Die Verlierer wurden nicht entschädigt – und „die Gewinner nutzten ihre Beute, um sich an höherer Stelle Einfluss zu erkaufen und ihre Gewinne zu konsolidieren (…) Der Staat hörte auf, als Gegengewicht zu konzentrierter wirtschaftlicher Macht zu wirken“, schreibt Sandel. Der ungebremste Kapitalismus spaltet also nicht nur die Gesellschaft – sondern schadet der Demokratie.
Diktatur des Proletariats, das war aber auch nix.
In der Diktatur des Kapitals gibt es keine Demokratie!