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LiteraturTschechischer Schriftsteller Milan Kundera mit 94 Jahren gestorben

Literatur / Tschechischer Schriftsteller Milan Kundera mit 94 Jahren gestorben
Porträt Milan Kundera Foto: Editpress-Archiv

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„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ machte ihn weltberühmt, nun ist der tschechische Schriftsteller Milan Kundera im Alter von 94 Jahren gestorben. Wie die Milan-Kundera-Bibliothek in seinem Geburtsort Brünn (Brno) und sein Verlag Gallimard am Mittwoch mitteilten, starb Kundera am Dienstag nach langer Krankheit in seiner Pariser Wohnung. Seit 1975 hatte er in Frankreich im Exil gelebt und dort auch seinen später verfilmten Erfolgsroman geschrieben.

Das 1984 veröffentlichte Buch „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ handelt von einer Ménage à trois vor dem Hintergrund des Prager Frühlings 1968 und machte Kundera mit einem Schlag international bekannt. Später wurde der Roman mit den Filmstars Daniel Day-Lewis und Juliette Binoche verfilmt.

Kundera veröffentlichte über die Jahrzehnte zahlreiche weitere Erzählungen und Romane, die zu großen Erfolgen wurden, darunter der Erzählband „Das Buch der lächerlichen Liebe“ aus den 60er-Jahren, der Roman „Die Unsterblichkeit“ (1990) oder „Die Unwissenheit“ (2000). Seine Bücher wurden in etwa 50 Sprachen übersetzt.

Der tschechische Regierungschef Petr Fiala erklärte, Kundera habe mit seinen Werken „ganze Generationen von Lesern auf allen Kontinenten“ angesprochen. Der Leiter der erst dieses Jahr in Brünn eröffneten Kundera-Bibliothek, Tomas Kubicek, sagte im tschechischen Fernsehen: „Nicht nur die tschechische Literatur, sondern auch die Weltliteratur hat einen der größten zeitgenössischen Autoren und auch einen der meistübersetzten Autoren verloren.“

Schweigeminute in Straßburg

„Unermessliche Trauer“, kommentierte die französische Kulturministerin Rima Abdul Malak Kunderas Tod im Onlinedienst Twitter. „Im Laufe der Seiten hat er uns dabei geholfen, zu entdecken, wer wir sind, einen Weg in der Absurdität der Welt zu finden.“ Die Abgeordneten im Europaparlament in Straßburg legten eine Schweigeminute zum Gedenken an Kundera ein.

Kundera kam am 1. April 1929 in Brünn als Sohn des bekannten Pianisten Ludvik Kundera zur Welt. Mit dem Schreiben begann er bereits in der Schulzeit. Zunächst studierte er in Prag Musik und Literatur, wechselte aber nach kurzer Zeit zu Regie und Drehbuch. Wie viele andere Intellektuelle trat Kundera 1948 mit hehren Idealen in die Kommunistische Partei ein.

Seinen ersten internationalen Erfolg als Autor landete Kundera 1962 mit dem Drama „Die Schlüsselbesitzer“, das mit dem Staatspreis der Tschechoslowakei ausgezeichnet wurde. 1967 erschien sein erster Roman „Der Scherz“, der als literarische Abrechnung mit der stalinistischen Phase in der CSSR interpretiert wurde.

Kundera zählte als Reformkommunist zu den Akteuren des Prager Frühlings, einer Liberalisierungs- und Demokratisierungsbewegung in der Tschechoslowakei, die von der sowjetischen Armee niedergeschlagen wurde. 1970 schloss die in der damaligen CSSR herrschende Kommunistische Partei Kundera aus, kurze Zeit später wurde er mit einem Publikationsverbot belegt.

1975 erhielt Kundera ein Ausreisevisum und siedelte mit seiner Frau Vera, einer bekannten Fernsehmoderatorin, nach Frankreich über. 1979 wurde ihm die tschechische Staatsbürgerschaft aberkannt. In seiner neuen Heimat Paris schrieb er „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, in Tschechien erschien der Erfolgsroman erst 2006.

1981 nahm Kundera die französische Staatsbürgerschaft an. Nach seiner Emigration verfasste er mehrere Romane auf Französisch. Erst 2019 erhielt Kundera die tschechische Staatsbürgerschaft zurück.

Kunderas Umgang mit dem kommunistischen Regime in seiner Heimat war umstritten. Ihm wurde vorgeworfen, nach seiner Auswanderung die in der Heimat zurückgebliebenen Dissidenten im Stich gelassen zu haben.

Tschechische Politiker würdigen Kundera

Tschechische Politiker haben mit Trauer auf den Tod des Romanautors und Essayisten Milan Kundera reagiert. Er habe mit seinem Werk ganze Generationen von Lesern auf allen Kontinenten erreicht und Weltruhm erlangt, schrieb der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala am Mittwoch bei Twitter.

Obwohl Kundera sein Land in den 1970er-Jahren aus politischen Gründen habe verlassen müssen, sei er seiner Geburtsstadt Brünn (Brno) doch immer eng verbunden geblieben. Kundera war nach Angaben der Mährischen Landesbibliothek in Brünn am Dienstag im Alter von 94 Jahren in Paris gestorben. Ex-Ministerpräsident Andrej Babis, der sich um die Rückgabe der tschechischen Staatsbürgerschaft an Kundera verdient gemacht hatte, erinnerte sich an eine Begegnung in Paris vor einigen Jahren: „Ich habe ihn als einen großartigen Menschen kennengelernt, der die Tschechische Republik mit seinem Werk wie kein anderer berühmt gemacht hat“, sagte er der Agentur CTK.

Die Weltliteratur habe einen ihrer markantesten Gegenwartsautoren verloren, merkte der tschechische Kulturminister Martin Baxa an: „Sein Nachdenken über die Grundwerte der europäischen Kultur, sein Interesse am Einzelnen, sein Beitrag zur Geschichte des Romans sind und bleiben unübersehbar.“ (dpa)

2008 erhob ein tschechischer Historiker den Vorwurf, Kundera habe 1950 einen jungen Oppositionellen an die kommunistische Geheimpolizei verraten und dieser habe 14 Jahre lang Zwangsarbeit verrichten müssen. Der Schriftsteller wies die Vorwürfe als „grobe Lügen“ zurück.

In den Medien äußerte Kundera sich bereits seit Mitte der 80er-Jahre nicht mehr. Er wollte, dass über ihn nur im Zusammenhang mit seinen Werken berichtet würde, und führte ein zurückgezogenes Leben im Zentrum von Paris.

Kundera wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur (1988), dem Literaturpreis der „Académie française“ (2001) und dem Tschechischen Staatspreis für Literatur (2007). Auch als Anwärter für den Literatur-Nobelpreis war er gehandelt worden.