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GroßbritannienTrotz schwerer Schlappen bei Nachwahlen in England macht sich Premier Sunak Mut

Großbritannien / Trotz schwerer Schlappen bei Nachwahlen in England macht sich Premier Sunak Mut
Premierminister Rishi Sunak (M.) sitzt mit dem frisch gewählten Tory-Politiker Steve Tuckwell (r.) in einem Café in Ruislip, wo dieser den Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip des früheren Premiers Boris Johnson verteidigen konnte Foto: AFP/Carl Court

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Rishi Sunak machte gute Miene zum bösen Spiel. Tags zuvor hatte seine konservative Partei bei Nachwahlen schon wieder zwei Unterhausmandate in England eingebüßt. Der Tory-Wähleranteil lag so niedrig, dass Demoskopen der Opposition einen Erdrutschsieg vorhersagen.

Doch der britische Premierminister klammerte sich am Freitag an die einzige gute Nachricht des Tages: Trotz erheblicher Stimmenverluste konnten die Torys den nordwestlichen Londoner Wahlkreis Uxbridge, Sitz seines Vorgängers Boris Johnson, halten. Die nächste Wahl sei „keineswegs beschlossene Sache“, machte Sunak sich selbst und seinen Leuten Mut: „Wir machen weiter, wir liefern Substanz.“

Ausnahmsweise erhielt der 43-Jährige diesmal Unterstützung vom Ex-Premier. Normalerweise stänkert Johnson in seiner hochbezahlten Zeitungskolumne gegen den Nachfolger, sein Mandatsverzicht stürzte die Torys im Juni tagelang ins Chaos, im Wahlkampf ließ er sich kein einziges Mal blicken. Diesmal aber gratulierte der gerade zum mindestens achten Mal Vater gewordene 59-Jährige dem neuen Abgeordneten Steve Tuckwell artig zum „fantastischen“ Sieg und beteuerte: „Er zeigt, dass die Konservativen in London und im ganzen Land gewinnen können.“

Das sah Professor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität, einer der einflussreichsten Wahlanalysten des Landes, auf der BBC ganz anders. Dem Durchschnitt der Meinungsumfragen zufolge habe der Stimmanteil der Torys zuletzt um 18 Punkte unter ihrem Ergebnis von 2019 gelegen, als sie 43 Prozent der abgegebenen Stimmen holten. „Bei den drei Nachwahlen hingegen waren es 21 Punkte“ – noch weniger Menschen machten ihr Kreuz bei der Regierungspartei, als der Trend suggerierte. Zusätzlich gebe es auch noch eine andere „schlechte Nachricht“ für die Torys, glaubt Curtice: „Die Leute stimmen sehr genau taktisch ab.“

Starmer erfreut über „historischen Sieg“

Tatsächlich ist dies eine wichtige Voraussetzung für den Machtwechsel auf der Insel. Wegen des Mehrheitswahlrechts müssen die Briten in vielen Bezirken ihre parteipolitische Priorität vergessen und den jeweils bestplatzierten Oppositionskandidaten unterstützen. Genau dieses taktische Wahlverhalten ließ sich bei den zwei anderen Urnengängen wie schon bei früheren Nachwahlen beobachten. Im nordenglischen Selby versammelten sich die Tory-Gegner hinter dem erst 25-jährigen Labour-Kandidaten Keith Maher, dem zukünftigen „Parlamentsbaby“, wie der oder die jüngste Abgeordnete liebevoll genannt wird; in Somerton und Frome (Grafschaft Somerset in Englands Westen) hievten frühere Labour-Wähler die Liberaldemokratin Sarah Dyke ins Unterhaus.

Deren Parteichef Edward Davey sprach begeistert von einem „spektakulären Sieg“. Freilich hat die kleinere landesweite Oppositionspartei in jüngster Zeit stetig Boden wiedergutgemacht, den die Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der Konservativen (2010-15) gekostet hatte. Dazu gehörte auch der Wahlkreis Somerton und Frome. Zudem hatte sich der konservative Mandatsträger wegen eines Sex- und Drogenskandals monatelang nicht mehr im Wahlkreis blicken lassen.

Zorn auf die Person des Zurückgetretenen mag auch für die Menschen in Selby und Ainsty eine Rolle gespielt haben. Dort hatte der Tory Nigel Adams in Johnsons Windschatten den Bettel hingeschmissen, weil ihm die zuständige Berufungskommission einen Sitz im Oberhaus verweigerte. Der „historischen Sieg“ für seine Partei sei ein gutes Omen, freute sich Oppositionsführer Keir Starmer: Labour werde dem Land „seine Hoffnung, seinen Optimismus und seine Zukunft“ zurückgeben.

Unpopuläre Gebühr für alte Autos

Allerdings dürfte die unerwartete Niederlage in Uxbridge den Strategen der alten Arbeiterpartei auch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Die Kampagne dort war von Labour zunächst als Referendum über Johnsons Fehlverhalten, vor allem die Lockdown-Partys in der Downing Street, angelegt worden. Nach einer Woche aber stellte sich heraus: Der Ex-Premier bleibt bei den Leuten vor Ort populär, anders als eine neue Gebühr auf alte Autos mit schlechten Abgaswerten, die der Labour-Bürgermeister Sadiq Khan demnächst auch in den Londoner Außenbezirken erhebt.

Dem Erfolg der Tory-Strategie, diese Ulez genannte Initiative in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu rücken, war der knappe Sieg geschuldet, glauben parteiübergreifend die Beobachter. Khan werde Ulez nun „gewiss entschärfen“, sagt John Goodman von der Website „Conservative Home“ voraus. Das Ergebnis sei „desaströs“ für Umweltpolitiker jeder Couleur „und damit auch für die Klimapolitik des Landes“, pflichtet ihm Stephen Bush von der Financial Times bei. Labour hat erst kürzlich ein geplantes Öko-Investitionsprogramm von 28 Milliarden Pfund verschoben; Sunaks Regierung muss sich von Fachleuten vorhalten lassen, den Abbau von Emissionen neuerdings zu langsam anzugehen.