1996-2003: Zwischen Paranoia und Ironie
Die „Mission Impossible“-Filme sind eine Reihe amerikanischer Action-Spionagefilme, die auf der gleichnamigen Fernsehserie von Bruce Geller aus dem Jahr 1966 basieren, die im deutschsprachigen Raum eher bekannt ist unter dem Titel „Kobra, übernehmen Sie“. Dass die Serie damit gerade mal vier Jahre älter ist als der bekannteste britische Agent im Dienste seiner Majestät, James Bond, der mit „Dr. No“ 1961 sein Kinodebüt gab, verwundert bei näherem Hinsehen nicht. Tatsächlich verdankte sich die Konjunktur der Agententhriller der Sechzigerjahre zuvorderst dem außerordentlichen Erfolg von „James Bond“. Die Nähe zur Bond-Reihe war für die „Mission Impossible“-Filme immer schon überaus bedeutsam, doch die Linie an Einflüssen lässt sich freilich bis zu Alfred Hitchcock zurückverfolgen, dessen innovative Einfälle für den Spionagefilm überaus weitreichenden Ausmaßes waren.1)
Dass die Bezüge zu Alfred Hitchcock für die Reihe nahezu vorbestimmt waren, dürfte sich bereits angedeutet haben, als die Besetzung des Regiepostens für den ersten Film auf Brian De Palma fiel, dessen Filmografie mit Werken wie „Obsession“ (1976), „Dressed To Kill“ (1980) oder noch „Body Double“ (1984) direkte Hitchcock-Übernahmen, ja geradezu Remakes der Filme Hitchcocks sind. Von Hitchcock übernimmt er in erster Linie die stilgebenden Gestaltungsmittel zur Schaffung von suspense: Brian De Palmas „Mission Impossible“ (1996) ist wohl noch am ehesten als klassischer Agentenfilm zu sehen, dem die Zeichen des Kalten Krieges noch leise anhaften.
Eine Stimmung der paranoiden Existenzgefährdung durch Verwirrspiele wird da spürbar, verkantete Kameraeinstellungen betonen latent die Instabilität von Systemen, die von Maulwürfen unterwandert werden, Identitäten in der Folge keine verlässlichen Größen mehr sind in einer Welt, die aus den Fugen ist. Dafür steht allein schon die markanteste Konstante der Reihe: der beliebige Identitätswechsel durch aufgesetzte Gummimasken. „Mission Impossible“ oszilliert so zwischen dem Zynismus früherer Spionagethriller, der wahnhaften Färbung, etwa „The Spy Who Came in From The Cold“ (1965), und der selbstparodistischen, ironischen Situationskomik, die sich in spektakulären Actionszenen erschöpft. Spätestens wenn sich Tom Cruise an einem Seil hängend in einen Hochsicherheitstresor begibt – ein direkter Verweis auf Jules Dassins „Topkapi“ (1964) – ist das faszinierend mit anzusehen, nur allzu ernst nehmen konnte das bereits 1996 freilich niemand mehr. Dieser unverhohlenen Selbstironie wurde in der Folge – und besonders nach den Terroranschlägen des 11. September – versucht entgegenzuwirken, der Aufstieg seines Stars Tom Cruise war damit vorgeschrieben.
Mit „Mission Impossible II“ (2002) von John Woo ist es zum Erkennungszeichen der Franchise geworden, die Handlung entlang spektakulärer Actionszenen zu strukturieren, weniger anhand einer plausiblen, auf den Gesetzen der Logik basierenden Erzählung. Woos Film über eine Rekapitulation der Handlung um einen tödlichen Virus, der die Menschheit gefährden könnte, zusammenzufassen, läuft in die Leere, vielmehr war sein Fortsetzungsfilm der Versuch der Auflösung einer kausallogischen, auf Verknüpfung basierten Erzählweise und sie in reinste kinetische Energie zu überführen, ja ganz darin aufgehen zu lassen. Es war insbesondere dieser zweite Eintrag, der den unabdingbaren Status des Schauspielers für die Reihe festigte – Woo schuf für Cruise eine Bühne, auf der er mit seiner reinen körperlichen Präsenz wirken konnte.
J.J. Abrams fand mit „Mission Impossible III“ dann wieder eine Erzählweise, die sich der kinetischen Energie Woos weiterhin sehr verpflichtet sah, doch – in erwartungsgemäßer Post-9/11-Manier – ohne das exzessive Moment und die überbordende Ironie auskam. Sein Film war merklich unerbittlicher und desillusionierter als die vorherigen Teile und setzte einen verletzten, gemarterten Helden in Szene, über den die Action wirksam wurde. Neben seiner Mission, die sogenannte „Hasenpfote“ ausfindig zu machen – ein im Film nie näher bestimmtes Objekt, ja der hitchcocksche MacGuffin par excellence –, fokussierte „Mission Impossible III“ am stärksten die Liebesbeziehung zwischen Hunt und Julia (Michelle Williams), die nicht sein darf. Es ist Hunts Verzicht auf den persönlichen Rückzug ins Private, der den geregelten Gang der Welt ermöglicht, seine Aufopferung steht für das Heil der gesamten Welt – ein narrativer Faden, der in den Folgefilmen immer wieder aufgegriffen wird, gleichsam als Erinnerungsmoment für das große Opfer, das dieser selbstlose Held für die Weltsicherheit aufbringt.
Diese Selbstlosigkeit bei gleichzeitiger Undefiniertheit sind es, die die Wesensmerkmale dieses Ethan Hunt ausmachen: Da, wo James Bond in der vehementen Zementierung seiner Existenzberechtigung sehr eigenwillig und mitunter im Alleingang agiert oder wo Jason Bourne, der von Matt Damon interpretierte Agent aus gleichnamiger Reihe (2002-2016), ebenfalls auf sich selbst gestellt, primär nach seiner Identität sucht, da verhält es sich anders bei Ethan Hunt: Er bespielt einen Raum, den seine beiden Homologen in der „Bond“- und „Bourne“-Reihe nicht so sehr ausfüllen, als ein charismatischer Teamleader, dem seine Partner bedingungslos folgen. Das meint alles und zugleich nichts. Hunt ist einer, von dem wir nie genug erfahren, damit er wirklich greifbar würde, aber dann doch immer genug, um seine Kollegen und das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Es fällt geradezu aufdringlich ins Auge, dass diese Figur wie geschaffen ist für Tom Cruise, diese Verkörperung einer unfasslich leeren Hülle, dieser vollkommen einnehmenden Präsenz des Nichtssagenden. Im Gegensatz zum Bond-Franchise, das über 60 Jahre hinweg seinen titelgebenden Hauptdarsteller sechsmal umbesetzte, sollte man ähnliches für die „Mission Impossible“-Reihe indes nicht vermuten: Die Filmreihe ist derart eng um seinen Hauptdarsteller gestrickt worden, der ihr sein Gesicht gibt, seiner Undefiniertheit zum Trotz. Das mag vorerst verwundern, denn sieht man von Lalo Schifrins eingängiger Titelmelodie und den aufwendigen Einbrüchen ab, ist die Figur Hunts das zentrale bindungsstiftende Merkmal der Reihe.
2011-2018: Die Agentenfrage und das Martyrium des Ethan Hunt
Der 2011 erschienene vierte Teil „Ghost Protocol“ bediente sich wieder stärker dem selbstironischen Gestus, nutzte beeindruckende Setpieces, wie der Episode im Emirat, wo Hunt am höchsten Gebäude der Welt, dem 800 Meter hohen Burj-Khalifa-Turm, herumklettern muss. Mit „Ghost Protocol“ wird aber in Zeiten der voranschreitenden Digitalisierung und Globalisierung ein Themenfeld aufgemacht, das bis zu „Dead Reckoning“ reicht: Immer wieder stellen die Filme seitdem sehr direkt die Frage nach der Existenzberechtigung dieser Superagenteneinheit. Das IMF muss sich gegenüber rivalisierenden Geheimdiensten behaupten und seine Legitimation wird für die Vorgesetzten dort fragwürdig, wo sie überaus große Schäden anrichtet, ganze Trümmerfelder hinterlässt, um das größere Übel zu vermeiden. Am Ende kann die Antwort aber immer nur lauten: Ja, es braucht sie noch. Immer wieder beweist das Team um Hunt, dass es unabdingbar für die globale Sicherheit ist. Damit hat sich das „Mission Impossible“-Franchise seit „Ghost Protocol“ thematisch stärker zu dem benachbarten Bond-Universum bewegt, das mit der Daniel-Craig-Ära und besonders in „Skyfall“ (2012) oder noch „Spectre“ (2015) zeitnah – ebenso als Folge der Terroranschläge von 9/11 – um das eigentlich identische Thema kreist. Möglicherweise ist dies die einzig noch verlässliche Auskunft, die diese Filme heute geben können.2)
„Rogue Nation“ (2015) unternahm als erster Film der Reihe den Versuch, Hunt ein ernst zu nehmendes weibliches Pendant an die Seite zu stellen: Die britische Agentin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) im Dienste des MI6 kommt Hunt zu Hilfe, als es darum geht, die Existenz des IMF vor dem geheimnisvollen „Syndikat“ zu schützen, einer internationalen Untergrundorganisation aus hoch qualifizierten Spezialagenten. Dass diese Ilsa Faust eine besondere Wirkung auf Hunt ausübt, zeigt die filmische Inszenierung ihres Erstauftrittes unmissverständlich: In der Wiener Staatsoper erblickt er sie zu den eröffnenden Noten von Puccinis „Turandot“. Dort soll im übrigen ein Mordanschlag auf den österreichischen Ministerpräsidenten verübt werden – spätestens mit dieser Szene dürfte an der Wirkungsmacht Alfred Hitchcocks kein Zweifel mehr bestehen, „The Man Who Knew Too Much“ (1956) ist die augenscheinliche Bezugsquelle für das Action-Setpiece in „Rogue Nation“. Die Arie „Nessun Dorma“ ist denn auch mit Bedacht gesetzt, geht es in ihr doch um Liebe und Hoffnung, vor allem aber um ein Geheimnis und falsche Identität: „Il mio mistero é chiuso in me!“ heißt es da bekanntermaßen. Beide Filmhelden, Ethan Hunt und Ilsa Faust, werden offenkundig als Seelenverwandte charakterisiert. Zu Hunts Wesen gehört es, so lehrt es uns „Rogue Nation“, dass er das, was er tut, nicht wirklich gerne oder gar freiwillig unternimmt, das verbindet ihn mit dieser zwielichtigen Ilsa Faust, eine Frau, die ebenfalls niemals wirklich frei sein kann, deren Loyalitätskonflikte sich aus den eigennützigen Vorgehensweisen des britischen Geheimdienstes ergeben. Ihre desillusionierte Haltung und ihre Bindungsunfähigkeit machen sie zur angemessenen Leidens- und Lebenspartnerin des amerikanischen Agenten.
Dieser Ethan Hunt ist nämlich ein gebrochener Mann, die obligate ‚backstory-wound‘ sitzt tief. „Fallout“ (2018) macht diesen Umstand allzu deutlich: In seinen ersten Filmminuten, eine Traumsequenz, die Hunt und Julia vor der Eheschließung zeigt, wird zum Albtraum, als der größenwahnsinnige Widersacher aus „Rogue Nation“, Solomon Lane (Sean Harris), die Unvereinbarkeit von Arbeitsfeld und Privatglück während des Ehegelübdes in Erinnerung ruft. „Your mission, should you choose to accept it“ – so lautet bekanntlich die Ansage vor jedem Einsatz, ein Leitspruch, der seinen Helden in „Fallout“ nachdrücklich tragödienfähig machen soll. Hunt ist der Held, dessen außergewöhnliche Fähigkeiten gerade nach ihm verlangen. Die anklingende freie Wahl vor jeder Mission ist per se keine, so will „Fallout“ uns sagen. Hunts hohe Leistungsfähigkeit, seine Professionalität, seine Loyalität nicht nur gegenüber den Vereinigten Staaten, sondern der Welt, können da nur noch übertroffen werden von seiner determinierten und selbstauferlegten Treueverpflichtung seinen Teamkollegen gegenüber.
Das war bereits 1996 so: Wenn Hunt im ersten Teil mitunter egoistisch agiert, dann nur, weil er die Enttarnung vom IMF-Geheimagenten durch den Diebstahl einer Liste von Decknamen zu verhindern versucht. Die gesamte Filmhandlung von „Fallout“ ist denn auch auf Hunts persönliche Entscheidung zurückzuführen, eine hochexplosive Ladung Plutonium in die Hände des Feindes fallen zu lassen, um seinen Kollegen Luther (Ving Rhames) zu retten. Der Feind ist einmal mehr eine untergründige Terrororganisation, eine Splittergruppe des früheren „Syndikats“, die diesmal unter dem Namen „Die Apostel“ operiert – die Schattenorganisationen sind beständig aktiv, nur der Name hat sich geändert. In einer bemerkenswerten Szene aus „Fallout“ wird die Vergangenheit des Superagenten näher beleuchtet: Es ist bezeichnenderweise der IT-Spezialist des Teams, der zuvor gerettete Luther, der die Tränen weint, die Hunt nicht weinen darf, ja, die der Schauspieler Cruise möglicherweise nicht weinen kann. Mit rührseligem Nachdruck verweist er auf das Martyrium des Ethan Hunt, erläutert die Schicksalsschläge, die dieser hat erleiden müssen. Dem Helden genügt dann – im direkten Anschluss – nur noch die reine Präsenz in einem ganz weiß strahlenden Raum. Es folgt eine Großaufnahme auf sein Gesicht, in das man die zuvor angeführte Seelenpein hineinlesen muss, anstatt sie aus dem Gesicht zu lesen.
2023 – Von Widersprüchen und weißen Zähnen
Dort, wo die Bond-Reihe mit dem Reboot um Daniel Craig den fatalen Fehler beging, ihn von der Aura des faszinierenden Undefinierten zu lösen und ihn zum Menschen zu machen, ihm Ursprung und psychologisches Profil anheftete, die die Figur niemals besaß, ja besitzen durfte, da entging die „Mission Impossible“-Reihe diesem Missgeschick: Tom Cruise steht auch in „Dead Reckoning“ für diese wundersame Projektionsfläche, die nach Strahlkraft verlangt, nicht nach psychologischem Profil. Längst haben die Rollentypen und das medial wirksame Öffentlichkeitsbild von Tom Cruise mittels gezielter Vermarktungsstrategien die Trennlinie zwischen Figur, Starimage und Mensch diffus werden lassen. Tatsächlich erleben wir damit eine Form der Verführung des Films zu sich selbst.3)
Die besondere Vermarktung des Franchise unter dem Gesichtspunkt der Echtheit der Actionnummern, für die Tom Cruise aufwendige Vorarbeit leistet, sogar auf Doubles verzichtet, um waghalsige Stunts zu unternehmen4), wird vom Publikum dankend angenommen. Davon zeugt auch „Dead Reckoning“ – dessen Handlung vielleicht deutlicher als zuvor entlang spektakulärer Stunts strukturiert wurde: Diesmal gilt es, eine künstliche Intelligenz, die sogenannte „Entität“, zu bekämpfen. Obwohl es einen menschlichen Handlanger braucht, ist dieses große Feindbild erstmals ein gänzlich unsichtbares, nicht fassbar, aber von ungemein weitreichender Wirkungsmacht – beinahe möchte man zur Annahme verleitet sein, Cruise mache in „Dead Reckoning“ Jagd auf sich selbst. Um aber die „Entität“ unschädlich zu machen, muss da ein zweiteiliger Schlüssel – einmal mehr ist damit ein bedeutendes Hitchcock-Motiv gesetzt – ausfindig gemacht werden.
Mit Blick auf die Gesamterzählung der „Mission Impossible“-Filme werden aber nun in „Dead Reckoning“ die narrativen Inkohärenzen ersichtlich und der rote Faden der großen Geschichte umso unauffindbarer. Insbesondere der dritte Film der Reihe sowie ansatzweise „Fallout“ trugen die Aufopferungsgeste des Ethan Hunt in sich, seine tragische Größe wurde damit anschaulich. Das Drehbuch von „Dead Reckoning“ scheint nun dagegen anzuschreiben, darin liegt bereits das Verschwinden der Figur der Julia begründet. Nicht nur ist sie völlig vergessen, noch nie zuvor hat ein „Mission Impossible“-Film die freie Wahl des Agententeams ernsthaft betont, die in „Fallout“ noch als eine Illusion galt. Diese Widersprüchlichkeit ergibt sich aus dem Einstieg einer neuen Frauenfigur – es ist die Diebin Grace (Hayley Atwell), die ihr vorheriges Leben als Streunerin hinter sich lassen muss, um Teil des Teams zu werden. Es ist ihre freie Wahl, die zum emotionalen Kern des Filmes wird, wohingegen Ethan Hunt nur mehr als dramaturgisch zweckdienlich fungiert.
Obwohl „Dead Reckoning“ ganz auf seinen Star zugeschnitten ist, die Actionnummern zuvorderst ihm gehören, liegt das entscheidende narrative Moment, der sogenannte „character defining moment“, bei Grace. Hunts zu tragendes Kruzifix wird hingegen nur umso schwerer. Graces Schicksal wird mit Hunts persönlichen Qualen so verknüpft, dass sie austauschbar für die Reihe bleibt und er nur stärker an sie gebunden wird. Seine besondere Ausstrahlung, sein ungemein wirksames Lächeln, die großen weißen Zähne müssen der Reihe erhalten bleiben, will sie weiterhin für spektakuläres Actionkino Bestand haben. Tom Cruise hat mit seiner ganz besonderen schauspielerischen Aura die „Mission Impossible“-Filme zu seinem Franchise gemacht.
1) Vgl. dazu Chapman, James: Hitchcock and the Spy Film. Tauris 2016, S. 236-248.
2) Vgl. Gaine, Vincent M.: „Not now that strength“: Embodiment and Globalisation in Post-9/11 James Bond. In: Terence McSweeney (Hg.): American Cinema in the Shadow of 9/11. Edinburgh University Press 2017, S. 127-146.
3) Stiglegger, Marcus: Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film. Berlin: Bertz u. Fischer 2006.
4) Siehe dazu das Making-of des Films: Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One | The Biggest Stunt in Cinema History (Tom Cruise). Online aufrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=-lsFs2615gw (Zugriff: 24.7.2023)
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