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FilmTödliche Leidenschaft und furchtbare Freude – Michael Manns „Ferrari“

Film / Tödliche Leidenschaft und furchtbare Freude – Michael Manns „Ferrari“
Adam Driver als Enzo Ferrari in einer Szene von „Ferrari“ Foto: Eros Hoagland/Filmfest Venedig/dpa

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Mit „Ferrari“ kehrt der amerikanische Regisseur Michael Mann („Heat“) ins Kino zurück. Und beweist, dass er als einer der wichtigsten amerikanischen Filmemacher der Gegenwart gelten muss.

Der amerikanische Regisseur Michael Mann kehrt elf Jahre nach „Blackhat“ (2014) und mehreren Fernseharbeiten zurück zum Film. Dass „Blackhat“ sich 2014 zu einem kommerziellen Misserfolg entwickelte und Manns Karriere im Kino ausbremste, erscheint rückblickend einleuchtender: Chris Hemsworth erreicht in diesem Film nur selten die schauspielerische Qualität eines Daniel Day-Lewis, Al Pacino oder Robert De Niro. Mehr noch: Ein derart schwaches Drehbuch hatte Michael Mann zuvor noch nie verfilmt. Mit „Ferrari“ findet Mann nun zu gebührender Größe zurück.

Hauptdarsteller Adam Driver und Regisseur Michael Mann präsentieren „Ferrari“ auf der Biennale in Venedig
Hauptdarsteller Adam Driver und Regisseur Michael Mann präsentieren „Ferrari“ auf der Biennale in Venedig Foto: AFP

Wie bereits in „Ali“ (2001), Manns Film über die entscheidende Karrierephase des berühmten Boxkämpfers zwischen 1964 und 1974 – oder noch in „Public Enemies“ (2009), der die kriminelle Laufbahn John Dillingers präzise zwischen1933 und 1934 aufarbeitete, fokussiert Mann in „Ferrari“ das einschneidende Krisenjahr des Motorunternehmens. Dessen Inhaber Enzo Ferrari (Adam Driver) befindet sich an einem Scheidepunkt: Es ist das bewegte Jahr 1957 rund um die das Autorennen Mille Miglia – die steigende Zahl der Unfälle und Todesopfer treffen Ferrari hart. Er sei der industrielle Saturn, der seine Söhne verschlingt, schreibt die vatikanische Tageszeitung L’Osservatore Romano. Entschlossen, die Wende für sein Unternehmen herbeizuführen, setzt Ferrari auf seinen neuen Rennfahrer Alfonso De Portago (Gabriel Leone), während seine Frau Laura (Penélope Cruz) die finanziellen Geschicke der Firma leitet.

Ein Projekt von 15 Jahren

Rund 15 Jahre hat Mann an diesem Film gearbeitet, namhafte Schauspieler, darunter Hugh Jackman und Christian Bale, waren für die Rolle des Enzo Ferrari vorgesehen, doch mehrere Rückschläge ließen das Projekt keinen Abschluss finden. Anlässlich der 80. Filmfestspiele von Venedig feierte der Film nun Premiere – nicht nur genießt der Name Ferrari in Italien besonderen Kultstatus, auch wurde die Perspektive des amerikanischen Regisseurs auf diese Ikone der italienischen Öffentlichkeit gespannt erwartet.

Allein der Blick auf diesen zeitlichen Zuschnitt verdeutlicht, worum es Mann in seinem neuen Film, basierend auf dem Buch von Brock Yates  „Enzo Ferrari: The Man, The Cars, The Races, The Machine“, geht: um Konzentration, Fokus, Essenz, weniger um die Machart zeitgenössischer Biopics oder -serien. Keine ellenlange Exposition, keine ausschweifenden Rückblenden.

Bei der Betrachtung von Manns Karriere, seiner wechselnden Tätigkeit in Film und Fernsehen, bleibt gerne übersehen, dass er seit seinen Anfängen als Filmemacher immer wieder Werbespots für Autounternehmen drehte, darunter Mercedes und – Ferrari. Mann erzählt diese Geschichte einmal mehr in dem von ihm perfektionierten Stil des „erhöhten Realismus“. Ausgehend von wahren Begebenheiten, die mittels akribischer Recherchearbeit detailgetreu rekonstruiert werden, gießt der amerikanische Regisseur diese in seinen unverwechselbaren Stil, der dieser Geschichte um Ruhm und Ehre, Schuld und Sühne, Hoffnung und Verzweiflung ihre Gestalt gibt.

Oberflächenglanz ohne Werbeeffekt

Freilich ist „Ferrari“ dem Willen zur äußeren Formgebung unterworfen. Manns Kamera zelebriert den Oberflächenglanz alles Materiellen, sie gleitet über den schimmernden roten Stahl der Rennfahrzeuge, Stiltropen, die man seit der Fernsehserie „Miami Vice“ (1983-1989) kennt, die Mann zur Popularität verhalf. Deshalb ist „Ferrari“ aber noch kein Werbefilm. Das ist kein Widerspruch. Manns Filme verkaufen keine Produkte und auch keine Ideologien. Sie lassen einen Welten und Systeme erschließen, sie erzählen von der Rasanz des Kapitalismus, von dem Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft, der Entfremdung des modernen Subjekts.

Wie kein anderer hat Michael Mann verstanden, dass Filmkunst auch Verführungskunst ist, Kapitalismuskritik nur dann wirksam gelingen kann, wenn man sich dazu in Distanz setzt und man ferner die verführerische Qualität des Kapitals auch anerkennt. Das macht seinen Enzo Ferrari tragisch: Es ist ein Mann, der wie versessen darauf ist, Kapital aus der Zeit zu schlagen, mehr noch: die Zeit zu kontrollieren, ja zu bezwingen. Leistungsfähiger muss das Getriebe sein, schneller das Fahrzeug. Immer wieder geht da der Blick auf die Uhr, Armbanduhr, Stoppuhr – dabei sieht der Unternehmer nicht, wie er selbst von der Zeit überholt wird: Die Firma steht vor dem Ruin, er solle Partner anziehen, raten ihm sein Buchhalter, seine Frau, sein Anwalt. „Jeder Tag im Geschäft ist ein neuer Tag“, heißt es da. Zeit und Wirtschaftsentwicklungen schreiten unaufhörlich voran.

Derweil wendet sich die Konkurrenz, das Motorunternehmen Maserati, lukrativen Fernsehdeals zu, da fließt nunmehr das Kapital. Enzo Ferrari hält am Glauben fest, der Mann der Stunde zu sein, mit zukünftigen Wettrennen neue Gewinne einzufahren, dabei ist er längst aus der Zeit gefallen. Das verbindet ihn mit den Filmhelden Manns, etwa mit dem Meisterdieb Frank (James Caan) in „Thief“ (1981), mit Lowell Bergman (Al Pacino) in „Insider“ (1999), mit John Dillinger (Johnny Depp) in „Public Enemies“.

Obsessiv Getriebene

Dass Enzo Ferrari Mann fasziniert, dürfte ferner mit Blick auf sein Gesamtwerk nicht verwundern: Dieser Mann ist ein obsessiv Getriebener, jemand, dessen hoher Grad an Professionalität als Unternehmer ihn nahezu innerlich vereisen lässt. Ferrari ist jemand, der hochgradig präzise agiert, eine kalt anmutende Form der Effizienz ist ihm eigen – per se ist „Ferrari“ aber kein Männerfilm, rund um Schweiß, Motoröl und schnelle Fahrzeuge. Vielmehr ist es ein Beziehungsfilm, der gerade mit einer wichtigen Frauenfigur das Zentrum ausbildet, für das Hollywood-Kino ferner auf eine ungewohnt ernste Weise um die Probleme heterosexueller Paare kreist.

Pénélope Cruz spielt diese Rolle mit der Virtuosität der Anna Magnani: energievoll und determiniert, zart und verletzlich. Enzo und seine Ehefrau Laura eint nur noch der Name des gemeinsamen Unternehmens, der Tod ihres gemeinsamen Sohnes hat die Ehe innerlich an den Endpunkt geführt. Ferrari hat aber eine neue Familie gegründet: Mit Lina Lardi (Shailene Woodley) hat er einen Sohn, Piero, den er für den Rennsport begeistern kann. Seine rechtmäßige Anerkennung könne aber dem Ruf der Firma schaden, deshalb hält Enzo ihn im Verborgenen.

Dann ist da der Tod seines ersten Sohnes Dino. Die Zwiesprache, die Ferrari am Grabstein seines verstorbenen Sohnes führt, ist nicht nur ein großartiger Moment von Adam Drivers minimalistischem Schauspiel, es sind auch diese Momente der stillen Poesie, die „Ferrari“ seine Intensität verleihen. Nie gibt es in „Ferrari“ die Überredung zum großen Gefühl, es sind die stillen, ja stummen Augenblicke, die auf den emotionalen Kern dieser Erzählung drängen: Da fließt eine Träne und am Lido wird der gesamte Vorführsaal zum Beichtstuhl.

Tod als bedauerlicher Umstand

Der Tod steht hier als ein bedauerlicher Umstand, jedes Menschenleben zählt. Und doch ist der Rennsport eine „tödliche Leidenschaft und furchtbare Freude“ zugleich – wirklich verklärt wird der Motorsport bei Mann indes nicht. Die Maschine ist einerseits eine rasante Zeitkapsel, die einen im Moment leben lässt, die Freiheit spüren lässt, andererseits ein monströses technisches Ungeheuer, das Ruhm bringt, aber auch Familien auseinanderreißt. Ferrari hadert mit beidem, seinem professionellen Programm und der Aufrechterhaltung seiner privaten Bindungen. Es ist dieses zutiefst menschliche Ringen, die professionelle und die private Geste zueinander zu führen, die „Ferrari“ in die existenzialphilosophische Dimension von Manns Arbeit stellt. Mann gelingt es, beides, das Verführerische der Grenzsituation, die Lust an der Gefahr, aber auch die unbegreifliche Absurdität der Katastrophe in Bildern sichtbar werden zu lassen.

Die professionelle Dimension mit all ihrer lockenden Verführungskraft und deren Auswirkungen auf die Privatsphäre – Mann verdichtet dieses Spannungsverhältnis meisterlich zu den Klängen von Giuseppe Verdis „La Traviata“. Die Vergangenheit schlägt sich da in die Gegenwart bahn und lässt auf die Zukunft deuten. Großaufnahmen werden zu Momenten der Spiegelung, der Introspektion, der Erinnerung. Die reiche Textur von „Ferrari“ ist es denn auch, die die ganz sinnliche Qualität dieses Filmerlebnisses ausmacht. Diese so einzigartige und virtuose Engführung von Form und Inhalt verleiht „Ferrari“ etwas ungemein Anspruchsvolles: Es ist nicht die Kraft der Story allein, wie etwa die Literatur sie pflegt, es ist die Kraft der Bilder und Töne. Für wahrlich große Filmkunst gilt: Es gibt keinen Inhalt ohne Form, keine Form ohne Inhalt, Form ist Inhalt, Inhalt ist Form. Mit „Ferrari“ beweist Michael Mann einmal mehr, dass er als einer der wichtigsten amerikanischen Filmemacher der Gegenwart gelten muss.