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Luxemburgensia„To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“: Feministische Literatur muss mehr können

Luxemburgensia / „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“: Feministische Literatur muss mehr können
 (C) éditions Guy Binsfeld

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Fabienne Hollweges Debüt hegt den Anspruch, vieles zu sein: interdisziplinär, vorwitzig und vor allem feministisch. Dabei sitzt die Autorin aber leider einem Missverständnis auf.

Mittlerweile dürfte man den Begriff kennen: the male gaze. Den alles durchdringenden männlichen Blick. Er beobachtet, analysiert, wertet und bestimmt. Er ist der Wahrnehmungsfilter und die erkenntnistheoretische Linse, die vorgeben, wie wir die Welt verstehen und empfinden; wie wir uns in dieser Welt verstehen und empfinden. Seine Strahlkraft ist vergleichbar mit der eines Leuchtturms: weitreichend, penetrant, blendend und – dank der Bewegungsfähigkeit des mechanistischen Systems, dem er angehört – jeden Bereich abdeckend.

Mittlerweile dürfte man auch sie kennen: die HIStory. Die Idee, dass Geschichte männlich ist: von Männern als Erzählung festgehalten, vornehmlich von Männern handelnd. Der männliche Blick wie auch die von Männern ausgehende Prägung unserer Geschichte und Kultur beeinflussen im Großteil noch immer den öffentlichen Raum, durch den wir uns als körperliche Wesen bewegen. Vor allem strukturieren sie den hochgradig normativen „Gesellschaftsraum“, in den alle kulturellen und sozialen Praktiken eingebettet sind und durch den wir als Kollektiv denkend und fühlend streifen.

Das Buch als ein Fest der Sinne

Dieses Ungleichgewicht (Wer darf wie an welchem Diskurs partizipieren? Wessen gesellschaftliche Teilhabe ist am größten?) ist in unserer heutigen Zeit noch immer deutlich spürbar; aller Versuche der Gleichstellung von Frau und Mann zum Trotz. Es ist eben genau diese Schieflage, die Fabienne Hollwege in und mit ihrem neuen Buch „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“ ins Visier nimmt. Mit ihrem Werk möchte Hollwege nichts weniger, als eine interdisziplinäre, kreativ-sprühende Gegenerzählung entwerfen, ein dezidiert weibliches Narrativ aus Bild, Sound und Sprache weben und so einen Beitrag dazu leisten, diesen „Gesellschaftsraum“ etwas fairer, etwas diverser, etwas weiblicher zu gestalten.

Es ist also durchaus ein kämpferisch-emanzipatorischer Anspruch, den Hollwege verfolgt, wenn sie in ihrem Vorwort schreibt, dass das Buch „das Leben und die Liebe im Alltag aus dem weiblichen Blickwinkel widerspiegelt, auf sinnliche Art anregen möchte und Konventionen in Frage stellt.“ Und weiter: „Das Bedürfnis nach eigenen Bildern, eigener Sprache, eigenem Denken und Ausdruck drängt an die Oberfläche, als würde SIE sich aus dem Finsteren eines tiefen Brunnens nach oben drängen.“ Hollwege nutzt ganz unterschiedliche Kunstformen, um dieses Drängen in eine konkrete Form zu gießen. Kurzprosa und Gedichte, (Auto-)Fiktion und faktuale Texte treffen auf Musik (per QR-Code oder über die beiliegende CD gelangt man zu den Audioaufnahmen verschiedener Lieder/lyrischer Texte) und sprechende Collagen, in denen sich Buchstaben, Fotografien, Zeitungsausschnitte und Malereien zu einem bunten Potpourri vermengen.

Zusammenarbeit mit anderen Künstlern

Entsprechend der Tradition feministischer Kunst, dem Gemeinschaftlichen gegenüber dem Abgekapselt-Individuellen den Vorzug zu gegen, haben sich an der Schaffung der Fotografien und der Produktion der Musikaufnahmen noch andere Künstler, wie u.a. Serge Tonnar, beteiligt. Das begleitende Musikalbum ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Künstlerkollektiv MASKéNADA.

So weit, so kühn. Das Buch macht neugierig – und ganz nebenbei tröstet die aufwendige Aufmachung mit den vielen illustrierten Seiten über den Umstand hinweg, das das Buch trotz Softcover satte 34 Euro kostet. Dass es zu einigen Gedichten sogar eine englische Übersetzung gibt und es neben vielen deutschen Texten auch welche auf Französisch und Luxemburgisch ins Buch geschafft haben, trägt zu dem Eindruck bei, dass dieses Werk in seiner ganzen Machart die Vielfalt in sich bergen möchte, für die es thematisch und von seiner Intention her einsteht.

 (C) éditions Guy Binsfeld

Gemeinplatz über Gemeinplatz

Leider – und man muss an dieser Stelle wirklich ein „leider“ anfügen – bleiben hinter diesem wundervollen und weitreichenden Anspruch die Mehrzahl der Texte in ihrer stilistischen und inhaltlichen Gestaltungsform zurück. In den Gedichten beschreibt die Autorin vornehmlich das zermürbende Hin und Her zwischen zwei unglücklich Liebenden, ihren Tanz zwischen Nähe und Ferne, die von der lyrischen Sprecherin erlebte Gegensätzlichkeit zwischen profanem Familienalltag und elektrifizierender Liebesutopie und die zermalmende Agonie, unter deren Last sie bei der Trennung von ihrem Geliebten ächzt.

Ganz am Rande taucht da ihr spezifisches weiblich-leibliches Erleben auf, zum Beispiel, wenn sie von einer Liebesnacht mit ihrem Geliebten (nicht ihrem Mann) spricht, die stattfindet, als sie hochschwanger ist. Systemkritik oder die kritisch-feministische Auseinandersetzung mit Geschlechterbildern bzw. Normvorstellungen sucht man in der ersten Hälfte des Buchs vergeblich. Die Erfahrungen sind weniger weiblich als allgemein-menschlich (Weiblichkeit wird in dieser Rezension nicht als essentialistische Kategorie, sondern als Art der Konditionierung und gesellschaftliche Rolle verstanden). Dabei schreibt die Autorin über Dinge, die, man muss es leider so sagen, eine Heerschar anderer Autorinnen vor ihr – von Mascha Kaléko bis Hilde Domin – auf ungleich kunstvollere und komplexere Art literarisch verarbeitet haben.

Bedauerlicherweise nutzt die Autorin fast ausschließlich Binsenweisheiten und eine banal-kitschige Bildersprache, um über Liebe, Familie und Trennungsschmerz zu schreiben: „Gedanklich bist du nah und fern. / Wir sind hier zu dritt, mein Mann und unser Kind / du fehlst. / Was habe ich doch so gern!“.

Viele Verse (wie die gerade zitierten) wirken so seltsam trivial oder überbordend schwülstig, dass man sich als Leser oder Leserin mehr als einmal fragt – fragen muss –, ob sie ernst gemeint sind; ob hinter diesen Zeilen die aufrichtige und völlig ironiefreie Intention steht, Kunst zu schaffen: „Tief ums Haupt ein Meer aus Trauerwolken, / schaukelnd schwebt der Duft von welken Rosen, / Und Flügelschwingen feiner Schmetterlinge gleich / hört man sie flüstern, all die zarten Seelchen / Umweht vom flattrigen Hauch der Lüfte, / hebt es gen Himmel an: / ,ich wäre hier‘, ,ich wollt‘ so gern‘, ,ich war bei dir‘, mit geisterhaften Stimmen, ihr Gesang.“

Die unerträgliche Last der Sorgearbeit

 (C) éditions Guy Binsfeld

Besser als die Gedichte sind die Texte der Autorin, in denen sie ihre Zerrissenheit und Überbelastung als Mutter schildert; zum Beispiel in Form eines Alltagsprotokolls. Diese Berichte machen deutlich, dass die herkömmlichen beschwichtigenden Antworten auf die Klagen einer Mutter (z. B. sie solle sich doch nicht so anstellen, immerhin habe sie freiwillig Kinder bekommen, oder das Lächeln ihres Nachwuchses mache doch alles wieder wett), von einer eklatanten Systemblindheit zeugen.

Denn: Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen vor allem Mütter ihre Kinder großziehen müssen, sind durch und durch familien- und frauenfeindlich, da sie die unentgeltlich geleistete Care-Arbeit von Frauen wie selbstverständlich voraussetzen und weiterhin notwendig machen. Der einzige Ausweg daraus ist: Diese Care-Arbeit outsourcen und auf eine noch ärmere Frau abwälzen, die sie fortan unter prekären Bedingungen erledigt (wer sich hierfür interessiert, sollte unbedingt das (kurze) Manifest „Feminism for the 99%“ lesen).
Mutig ist es auch von der Autorin, ganz unverblümt über negative Gefühle wie den zeitweise aufkommenden Hass auf ihre Kinder und ihren Partner sowie den Neid auf kinderfreie Personen zu schreiben: „Oh Freunde, was beneide ich euch so ganz generell um ein Leben ohne Kinder!“. Auch die tiefe Trauer über den Verlust der früheren Freiheit und Spontaneität sowie der Widerstreit zwischen familiären Pflichten und kreativem Schaffen sind Themen, die Hollwege offen anspricht. Das ist ihr Verdienst.

Weibliche Repräsentation allein reicht nicht

Dennoch erweist sich „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“ gewissermaßen auch als gefährliches Buch. Streckenweise vermittelt es nämlich den Eindruck, jeder Text, der von einer weiblichen Person geschrieben sei und/oder von ihren Gefühlen auf irgendeiner Weise handele, sei aufgrunddessen automatisch ein feministischer Text. Ungeachtet der dargestellten politischen Haltung der Figur oder des Autors/der Autorin, ungeachtet der thematischen Schwerpunktsetzung, ungeachtet des Vorhandenseins oder eben Nicht-Vorhandenseins expliziten feministischen Gedankenguts.

Ein solcher Feminismus-Begriff arbeitet aber nur mehr mit faden Essentialismen, die jeglichen Fortschritt im feministischen Diskurs verhindern. Denn qua Kriterien wie Geschlecht schließt er Personen grundsätzlich ein- oder aus und vermittelt damit einhergehend den Eindruck, nicht etwa der konkrete Inhalt des Werks zähle, sondern die Identität des Urhebers/der Urheberin. Das ist ein Etikettenschwindel, der auf einem tiefen Missverständnis, was Feminismus ist, beruht. Leider ist dem auch „To LIVE heißt Leben und LIEBE heißt Love“ auf den Leim gegangen.