Künstler, die Kunstgeschichte geschrieben haben, werden auf unterschiedliche Weise geehrt. Für Antoni Tàpies ist es eine große Retrospektive. In der Tat wäre er heuer 100 Jahre alt geworden. Am 13. Dezember 1923 in Barcelona als Sohn des Rechtsanwalts Josep Tàpies i Mestre geboren, verbrachte Antoni seine Kindheit in den 1920er-Jahren in Colegio de las monjas de Loreto, ehe er von 1928 bis 1932 eine deutsche Schule und von 1932 bis 1934 die Escuelas Pias Barcelona besuchte. Ab 1934 ging es dann in eine höhere Schule, andere folgten. Früh von zeitgenössischer Kunst angezogen, nutzte er nach einem Unfall die Zeit, sich selbst das Zeichnen und Malen beizubringen. Später verfolgte er ein Jurastudium, unterbrach dieses und wandte sich einem Studium an der Acadèmia Valls in Barcelona zu.
Autodidakt und eigenwillig
Eine Lungenerkrankung zwang ihn 1942-43 in ein Sanatorium, wo er sich intensiv mit dem Zeichen und dem Kopieren von Werken bekannter Künstler, etwa Picasso oder Van Gogh, beschäftigte. Sein Interesse an der Philosophie brachte ihm den Existentialismus näher. Ab 1946 lag sein Fokus auf der Malerei, so gründete er 1948 die Gruppe und die Kunstzeitschrift „Dau al Set“ und beteiligte sich am „Salón de Octubre“ in Barcelona.
Ab 1950 absolvierte er ein mehrmonatiges Stipendium in Paris, wo er nicht nur Künstler, Schriftsteller und Philosophen kennenlernte, nein, er wurde hier auch mit politischem Denken, etwa dem Marxismus und sozialem Realismus, konfrontiert. Spannend für ihn war das Treffen mit Jean Dubuffet, der Art brut, der informellen Malerei. Dies ebnete ihm den Weg zum Einsatz minimalistischer künstlerischer Mittel, kurzum eine Reduktion auf das „Wesentliche“. Ab dieser Zeit wob er Sand, Teer, Holz, Farbe und Marmorstaub sowie Alltagsgegenstände in seine Werke ein und setzte religiöse Symbole, geometrische Figuren sozusagen als mystische Elemente ein.
Weltbekannt zu Lebzeiten
Zahlreiche Reisen erweiterten seinen künstlerischen Horizont, auch engagierte er sich in den 60er-Jahren politisch für die Friedensbewegung, produzierte Lithografien, malte Wandfresken und beteiligte sich neben Solo-Schaus an zahlreichen Kollektiv-Ausstellungen in New York, Düsseldorf oder Barcelona.
Tàpies erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, etwa den „Rubenspreis der Stadt Siegen“ 1972, den „Kunstpreis der Stadt Barcelona“ 1979, den „Praemium Imperiale“ 1990 und am 9. April 2010 hat König Juan Carlos ihn mit dem Titel „Marqués de Tàpies“ in den Adelstand erhoben. Der Künstler plädierte jedoch immer stärker für eine „unabhängige Kunst“. Er machte sich einen Namen als willensstarken und unabhängigen Künstler, der mit seinen Werken nicht nur ein breites Publikum, sondern auch seine Künstlerkollegen beeindruckte. Hatte die bekannte Galerie Maeght in Paris seine erste große Einzelausstellung 1967 organisiert, so gab es 1976 in der Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence eine Retrospektive, eine Ausstellung, die später auch in Spanien gezeigt wurde.
In den 80er-Jahren begann er mit Keramik zu arbeiten und fertigte erste Skizzen für ein Ehrendenkmal (das er später realisierte) für Pablo Picasso in Barcelona an. 1984 wurde die Stiftung „Fundacio Antoni Tàpies“ gegründet, eine Einrichtung, die sein umfangreiches Oeuvre mit zigtausenden Arbeiten in Erinnerung halten soll. Tàpies entwickelte seine Malerei hin zu Assemblagen weiter und durchlebte selbstredend mehrere Schaffensperioden. Seine charakteristischen Werke mit gezielt verarbeiteter Materie oder seine „vier roten Streifen der katalonischen Flagge“, wie Wikipedia festhält, sind unverkennbare Merkmale seiner Kunst.
Bereits 1952 und 1954 vertrat er sein Land bei der 26. und 27. Biennale von Venedig, auch beehrte er dreimal die „documenta“ in Kassel (1964, 1968 und 1977). Er war mit Ausstellungen in den bekanntesten Museen auf der ganzen Welt präsent, etwa MoMa in New York, Musée d’art moderne de la Ville de Paris, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid, und seine Werke sind Bestandteil vieler musealer und privater Sammlungen.
Meditation über den Menschen
Politisch engagiert, poetisch inspiriert und künstlerisch innovativ gilt Antoni Tàpies als eine der Leuchtfiguren der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Kunstkenner haben sich stets bemüht, seine Kunst einzuordnen, doch ist das nicht immer einfach gewesen. Festhalten darf man wohl, dass er einer der interessantesten Vertreter der „informellen Kunst“ war, den teils eine mystische Aura umgab. Der Kunstkalender „Harenberg“ zitiert ihn mit den Worten: „Meine Malerei ist eine Meditation über die Natur des Menschen.“ Andere sagen ihm nach, er habe sich nicht nur verschiedenster Materialien bedient, sondern sich gar streitbar mit diesen auseinandergesetzt.
Fanden seit seinem Ableben immer wieder Ausstellungen mit seinen Werken statt, so haben sich nun gleich mehrere Museen zusammengeschlossen und die größte Retrospektive der letzten Jahrzehnte mit rund 120 Werken zu seinem 100. Geburtstag auf die Beine gestellt. Vernissage dieser für Belgien einmaligen Schau – die von ersten Zeichnungen bis hin zu Bildern aus den 1990er-Jahren reicht – wird nächste Woche in Brüssel sein, wo die Tàpies-Expo dann vom 15. September 2023 bis zum 7. Januar 2024 im Bozar zu sehen sein wird. In der Folge wandert die Ausstellung nach Madrid, um anschließend in seiner Geburtsstadt Barcelona gezeigt zu werden.
Die Expo
„The Practice of Art“. Antoni Tàpies vom 15.9.2023 bis zum 7.1.2024 im Bozar – Palais des Beaux-Arts in Brüssel, vom 20.2. bis zum 24.6.2024 im Museo National Centro de Arte in Madrid und vom 17.7.2024 bis zum 12.1.2025 in der Fundaciô Antoni Tàpies Barcelona.
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