„Crimes of the Future“ war cinephiler Fanservice der allerersten Klasse natürlich. Es war ein Pläsierchen, Viggo Mortensen dabei zuzusehen, wie er sich von Kristen Stewarts Figur immer wieder nachwachsende Organe aus dem Körper herausoperieren ließ. Aber Cronenbergs Film funktioniert vor allem in seiner luftdichten Echokammer. Schockiert hat „Crimes of the Future“ niemanden mehr.
Wenige Hundert Meter entfernt präsentierte die unabhängige „Quizaine des réalisateurs“ einen anderen Film, der nicht auf Schock aus war, scheinbar jedoch einer Menge Leuten einen Heidenschreck einjagte. Trotzdem war „De humani corporis fabrica“ einer der knapp Handvoll Filme, die damals durch „word of mouth“ heftig die Runde machten. Das Werk der beiden Filmemacher, Anthropologen und Poeten Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor rühmte auf vielen der Jahresbestenlisten so einiger Body-Horror-Freaks und dennoch haben nur 15 Kinos in Frankreich ihn beim Kinostart gezeigt.
Es gehört alles andere als zum guten Ton, aus offiziellem Pressematerial zu zitieren, aber der Film ist so am allerpräzisesten vorgestellt: Vor fünf Jahrhunderten öffnete Andreas Vesalius zum ersten Mal den Körper für den Blick der Wissenschaft. „De humani corporis fabrica“ öffnet heute den Körper für das Kino. Wortwörtlich.
Nicht des Kinos wegen natürlich, sondern aus vorerst medizinischen Ursachen. Paravel und Castaing-Taylor besuchten über eine längere Zeit eine Handvoll Pariser Krankenhäuser und schauten den Ärzten über die Schulter. Tatsächlich präsentieren die beiden vor allem Bilder aus Operationssälen, die man so nicht aus der gewöhnlichen Nachmittags-Ärzteserie kennt. Nein, es sind Bilder, die man so überhaupt noch nicht gesehen hat. Es komme doch immer nur auf die inneren Werte an, haben sie gesagt. Was für die ÄrztInnen Alltagsbilder sind, sind für den Normalsterblichen Bilder, die entweder zuerst gar nicht zu situieren sind, also im Körper – und die dann, in Ermangelung eines besseren Begriffs, schockieren. Schockieren können.
Um sich noch einer weiteren journalistischen Plattitüde zunutzen zu machen – die Regisseure lassen ihr Publikum in eine Welt eintauchen, die plötzlich unergründet und von noch nie gesehener Schönheit strotzt. Ob jetzt in einem Augapfel oder irgendwo in der Bauchgegend operiert wird, Leichen in der Leichenhalle präpariert werden, ein Kaiserschnitt vollzogen oder eine Amputation gezeigt wird, die Regeln des Naturalismus werden bei diesen Bildern außer Kraft gesetzt und metamorphosieren zum Teil zu abstraktem und vor allem experimentellem Bildmaterial, auf das ein Stan Brakhage abfahren würde.
Es sind fast archaisch große Augen, die man gegenüber diesen Bildern macht, und nach dem Film seziert man das Gesehene wie ein Kind, welches gefragt wird, wie ihm der Film gefallen hat. Man hebt eine Sequenz nach der anderen hervor und beschreibt einfach nur das Gesehene.
Info
Vorstellungen: am Samstag um 10 Uhr im Kinepolis Kirchberg und am Donnerstag, dem 9. März, um 21 Uhr in der Cinémathèque
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