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RusslandStimmungsbild aus Moskau: „Die paar Panzer! Was haben die mit mir zu tun?“

Russland / Stimmungsbild aus Moskau: „Die paar Panzer! Was haben die mit mir zu tun?“
Der russische Präsident Wladimir Putin, der sich ansonsten sehr weit von seinen Gästen entfernt hält, sollten sie nicht einige Tage in Quarantäne verbracht haben, war dieser Tage in der Republik Dagestan sehr volksnah  Foto: Gavriil Grigorov/Sputnik/AFP

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Nach dem Aufstand von Prigoschin pflegt Russland seinen gewohnten Alltag aus Ignoranz und Anpassung. Der Kreml tut geschäftig, die Menschen sagen: „Ist doch alles wie immer.“

Die Menschen drücken, die Menschen zücken ihre Mobiltelefone, sie rufen, jeder so laut er kann. Auf die wummernde Musik zu den bunt strahlenden Wasserspielen im Springbrunnen nebenan achtet niemand so sonderlich. Wie auch, alle wollen nur ihn sehen. Ihn anstrahlen und anfassen: ihren starken Mann, ihren Führer. „Leader“, nennen viele Russinnen und Russen ihren Präsidenten. „Mach ein Bild, Mama“, schreit eine Jugendliche. „Mach doch.“ Die „Mama“ macht. Und Russlands Staats-TV-Nation hat ihr Bild, wie Wladimir Putin eine Jugendliche auf die Wange küsst. „Du bist toll, Fatima, solchen prächtigen Nachwuchs braucht unser Land“, kommentieren die Nutzer die Aktion in den sozialen Netzwerken. Der Führerkult, dem sie sich hier strahlend unterwerfen, ficht sie nicht an. „Fatima“ erzählt dem Staatsfernseh-Reporter derweil, wie sie sieben Stunden lang in Derbent, Dagestan, wohin der Präsident kurzfristig aufgebrochen war, gewartet hat. „Nur auf ein Foto mit ihm. Das ist so unglaublich.“

Putin, der Liebling der Nation, unterstützt vom Volk, das ihm zujubelt und ihn feiert. War da was? Risse im System? Gesichtsverlust? Der Kreml tut in den Tagen nach der Kurzzeit-Revolte von Jewgeni Prigoschin, der mit seinen Brutalo-Paramilitärs der Wagner-Gruppe gen Moskau marschiert sein will, alles, um die Schwäche des Präsidenten in Stärke umzumünzen. So, als würde ein russischer Bauarbeiter eine verrostete Bank im Frühling einfach mit Farbe überpinseln. Je bröckelnder die alte Schicht, umso mehr frische Farbe drauf, schon sieht die Bank wie neu aus. Aus der Ferne zumindest.

Putin im Menschenbad

Seit vergangenem Samstag, als Prigoschin mit seinen Panzern und Tausenden von Kämpfern das Zentrum der südrussischen Stadt Rostow am Don, an der Grenze zur Ukraine, besetzte und das „Mistvieh“ Sergej Schojgu, wie er den russischen Verteidigungsminister seit Monaten beschimpft, herausforderte, ist Putin täglich auf Sendung. Er hält Reden, mögen sie auch als „schicksalsbestimmend“ angekündigt werden, dann aber nur in fünf Minuten das zusammenfassen, was er bereits gesagt hatte, als der Aufstand noch im vollen Gange war. Er dankt Soldaten und dem „ganzen Volk in Einheit“, einen „De-Facto-Bürgerkrieg“ gestoppt zu haben. (Dass in den bangen Samstagsstunden niemand für Putin öffentlich Partei ergriffen hatte, spielt freilich keine Rolle.) Er lässt sich noch schnell in den Nordkaukasus fliegen und sich im Menschenbad filmen, mag er auch sonst Reporter und alle, die ihn begleiten, eine Woche in Quarantäne schicken, um sich ihm nähern zu dürfen. Er zeigt sich danach sogleich auf einem Forum in Moskau, wo er ein Männchen in Rot malt und ihm alle drumherum applaudieren. Er trifft sich mit dem Sicherheitsrat, er redet, er weist an, er hüstelt.

Die Staatsfernsehkameras sind bei der Geschäftigkeit Putins stets dabei. Die Selbstüberschätzung Prigoschins, die die auf Illusion bauenden Herrschaftsmethoden des Präsidenten demaskiert hat, sie soll als Thema verschwinden. Es soll die Gewissheit her: Der Präsident habe es im Griff, alles wieder gut. Das funktioniert schnell. Die Ignoranz war auch am Aufstandssamstag nicht weg. In den Tagen danach geht das Leben in der Hauptstadt seinen empathielosen Gang. Es tut es seit Kriegsbeginn. Die meisten Menschen nehmen die Nachrichten als Nachrichten hin und gewöhnen sich nach und nach an alles. Manche stöhnen: „Ich bin einfach nur müde, ich will das alles nicht mehr hören, nicht mehr sehen. Es betrifft mich nicht.“ Zurück bleibt oft die Verwunderung: „Aber warum mag uns die Welt denn nicht? Was haben wir den Leuten getan?“

In Apathie versunken

Im Moskauer Gorki-Park herrscht Wochentag-Seelenruhe. Familien sind unterwegs, die Musik spielt, ein paar Jugendliche rasen mit ihren orangefarbenen E-Rollern durch die breiten Wege. Die Karussells drehen ihre Runden, die Enten schwimmen mit ihren Entenbabys in den Teichen. Es gibt Eis und Mais. Und eine sommerliche Brise von der Moskwa her. „Wir leben einfach im Moment, genießen das Leben“, sagt Jekaterina auf einer Bank, einen Kaffeebecher in der Hand. Hochzeitsfotografin ist sie, hat am Tag, als Prigoschin die Waffen gegen die eigene Seite richtete, den ganzen Tag in einem Hotel ein Brautpaar und seine Gäste fotografiert. In Rostow schrieb derweil ihre Tante sich die Finger wund, „sie wollte uns in Moskau beruhigen, und ich hatte eh keine Zeit, mich mit all der Politik zu beschäftigen, ist nicht meins, ich verstehe einfach nichts davon“. Jekaterina sagt, es sei nicht an ihr, „zu urteilen, wer Recht“ habe. „Wir müssen immer aufseiten unseres Präsidenten sein. Einfach, weil wir Russen sind und Putin unser Präsident ist.“ Sie ist 25 Jahre alt, einen anderen Menschen an der Spitze des Staates kennt sie nicht, auch wenn zwischendurch Dmitri Medwedew den Posten innehatte, im Hintergrund blieb Putin stets der, der den Russinnen und Russen Stabilität versprach. Wie fragil aber sein auf „Teile und herrsche“-Methode gebautes System ist, führte Prigoschin in nur wenigen Stunden vor. „Wir sind nur Beobachter der Situation, wir sind keine Akteure“, sagt Jekaterina auf der Gorki-Park-Bank. „Die Situation am Samstag“ habe sich für sie so dargestellt: „Ein Kerl zieht los, irgendwas läuft nicht so. Der Kerl scheißt drauf und zieht wieder ab.“ Gefahren für ihr Land? Ihr Leben gar? „Na ja, die paar Panzer! Was haben die mit mir zu tun?“

Wir müssen immer aufseiten unseres Präsidenten sein. Einfach, weil wir Russen sind und Putin unser Präsident ist.

Jekaterina, Moskauerin

Es ist eine gängige Haltung vieler Menschen im Land. Das System Putin hat das Volk so weit demobilisiert, dass viele Menschen aus der Apathie nicht mehr herauskommen, nicht herauskommen wollen. „Es hat mich wirklich genervt, dass ich am Samstag aus dem Puschkin-Museum hinausgebeten wurde. Was sollte das? Rostow ist weit weg. Wir wollen in Ruhe gelassen werden“, sagt Tatjana, 48, „nur noch Großmutter“. Als die Lage in Rostow immer brenzliger geworden war, hatte der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin Museen und Parks der Stadt schließen lassen, hat einen arbeitsfreien Tag eingeführt. „Eine Notsituation“, hatte er gesagt und um „Verständnis“ gebeten. Für Tatjana sei das „Außergewöhnliche des Ganzen“ bis heute nicht klar, sagt sie, die Ausflugsschiffe auf der Moskwa ziehen an ihr vorbei.

Normalität vorgegaukelt

Eine Stadtführerin führt eine Besuchergruppe zum Denkmal des sowjetischen Dichters Maxim Gorki, nach dem der Park gegenüber des russischen Verteidigungsministeriums benannt ist, sie schwingt begeistert mit den Armen und liest den Frauen, Männern und Kindern ein Märchen von Gorki vor. Darin prahlen ein Teekessel und ein Samowar um die Wette, wollen vor der Zuckerdose zeigen, wer mehr zu sagen, mehr zu bieten hat. Am Ende platzen beide. „Sie haben verloren, jeder auf seine Weise“, sagt die Stadtführerin. Auf eine absurde Weise passt die Erzählung in die russischen Fast-Staatsstreich-Tage.

Im Fernsehen sprechen die Moderatoren von Prigoschin von Tag zu Tag immer mehr als von einem geldgierigen, überdrehten, von dummen Ambitionen getriebenen Mann, der schließlich seine Kameraden belogen habe. Wer ihn erst so groß gemacht hat und über Jahre hinweg gewähren hat lassen, sagen sie nicht. Denn Putin soll strahlen, soll angestrahlt werden, deshalb die Massen auf den Straßen von Derbent, der Kuss der Jugendlichen, das Händeschütteln. Der von der Realität entfremdete Präsident soll im Volk baden. Dass der Kreml hart gegen die Sympathisanten des Aufstandes vorgehen soll, dass gar der als „General Armageddon“ bekannte Sergej Surowikin, der Prigoschin in der Ukraine stets unterstützt hat, in Haft sein soll, solche Gerüchte sind offiziell kein Thema. Es gilt, Normalität vorzugaukeln.

„Warum sollen wir denn in Panik verfallen? Das Leben geht weiter, auch im Krieg“, sagt der 66-jährige Wjatscheslaw im Gorki-Park. Seine Frau Sinaida fügt hinzu: „Wir waren so lange ruhig, wie eine Schlange. Aber wenn man der Schlange auf den Schwanz tritt, dann beißt sie. Also beißen wir nun. Schade nur, dass Prigoschin sich absetzen musste, mit ihm hatte Russland eine tolle, starke Schlagtruppe. Siegen aber werden wir trotzdem!“ Im Gorki-Park fängt es zu nieseln an.