Spekulationen über einen Geheimbesuch von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un in Peking haben Hoffnungen auf neue Bewegung im Atomkonflikt mit Pjöngjang geweckt. Chinas Außenministerium wollte die Visite «gegenwärtig» nicht bestätigen, unterstrich aber, dass Peking alle Bemühungen für eine Beseitigung der Atomwaffen von der koreanischen Halbinsel unterstütze. Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete unter Hinweis auf drei Personen, die über den Besuch Bescheid wüssten, dass es sich bei dem mysteriösen hohen Gast aus Nordkorea tatsächlich um Machthaber Kim Jong-un handele.
Es wäre das erste Mal seit seinem Amtsantritt als Führer 2011, dass Kim Jong-un sein Land verlassen und China besucht hätte. Schon sein Vater Kim Jong-il hatte 2010 und 2011 ähnliche Geheimbesuche mit dem Zug in China gemacht, die erst nach seiner Rückkehr bestätigt wurden. Er fuhr immer mit der Bahn, weil er Angst vorm Fliegen hatte. Ob der Sohn auch Flugangst hat oder aus Sicherheitsgründen und der Furcht vor einem Attentat in der Luft lieber mit dem Zug fährt, war unklar.
24 Stunden
Der Besuch dauerte nur rund 24 Stunden. Der dunkelgrüne Sonderzug, der am Montag eingetroffen war, verließ Peking am Dienstagnachmittag wieder. Es gab strenge Sicherheitsmaßnahmen am Bahnhof und um das Staatsgästehaus Diaoyutai, wo der hohe Gast aus Nordkorea übernachtet hatte. Für seinen Konvoi mit einer Staffel von weißen Motorrädern waren die Straßen abgesperrt worden. Eine Ehrengarde hatte den hohen Besucher am Vortag am Bahnsteig empfangen. Einen solchen Aufwand betreibt Chinas Protokoll normalerweise nur bei Staatsgästen.
Wenn es sich bei dem Besucher tatsächlich um Kim Jong-un gehandelt hat, wäre es der vorläufige diplomatische Höhepunkt in dem Streit über das Atomwaffen- und Raketenprogramm Nordkoreas. Nach seiner überraschenden Annäherung an Südkorea fasst Nordkoreas Machthaber voraussichtlich im April und Mai Gipfel mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in sowie mit US-Präsident Donald Trump ins Auge. Am Donnerstag sind vorbereitende Gespräche mit Südkorea geplant.
Angespannte Beziehungen
In der Gipfeldiplomatie stand der große Nachbar China bisher etwas außen vor. Beide Länder pflegen eigentlich traditionell freundschaftliche Beziehungen, aber das Verhältnis ist wegen der nordkoreanischen Atom- und Raketentests sehr angespannt. Peking setzt die im Weltsicherheitsrat beschlossenen Sanktionen der Vereinten Nationen gegen seinen Nachbarn verstärkt um, was in dem verarmten und isolierten Land zu Engpässen führt.
Beobachter spekulierten, dass Nordkoreas Machthaber vielleicht eine Lockerung der Sanktionen bewirken und sich in China Schützenhilfe für seine diplomatischen Bemühungen holen will. «Er braucht dringend Unterstützung», sagte ein Diplomat. «Besonders wenn der Gipfel mit Trump platzt, dann wächst wieder die Wahrscheinlichkeit, dass es auf eine militärische Lösung zuläuft.» Dann brauche Kim Jong-un die Chinesen, um mäßigend auf die USA einzuwirken.
«Ohne Atomwaffen ist er nichts»
«Vor dem Gipfel mit Trump braucht Kim Jong-un ein Faustpfand», sagte der kritische chinesische Historiker Zhang Lifan. Nordkoreas Machthaber müsse sich mit Chinas Führung treffen, um sein Gewicht in den Verhandlungen mit den USA zu erhöhen. Umgekehrt könne ihn auch China brauchen. Angesichts eines drohenden Handelskrieges mit den USA könne Peking jetzt Nordkorea «als Druckmittel» benutzen.
Ob Kim Jong-un aber wirklich seine Atomwaffen aufgeben will, ist zweifelhaft. «Ohne Atomwaffen ist er nichts», sagte Zhang Lifan. «Wenn er sie aufgeben soll, muss er bekommen, was er will.» Wenn er tatsächlich China besucht habe, wäre das ein Hinweis, dass der junge Machthaber Vertrauen zur Führung in Peking gewonnen habe. «Er wäre dann zuversichtlich, dass China sich nicht traut, ihn aufzugeben, ihn zu stürzen oder ihn in seine Gewalt zu nehmen.»
Beobachter sahen in einem Besuch von Kim Jong-un vor den geplanten Gipfeln eine gute Gelegenheit für Peking, um auszuloten, wie ernst es der Machthaber mit der geforderten Denuklearisierung nimmt. Indem sich Kim Jong-un wieder dem großen Nachbarn zuwendet, rückt Peking auch erneut ins Zentrum der diplomatischen Bemühungen. Schon bei den 2009 abgebrochenen Sechs-Parteien-Gesprächen mit Nordkorea, den USA, Südkorea, Japan und Russland war China der Vermittler.
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