Rezession, Produktionsrückgänge der Industrie und schlechte Wachstumsprognosen für Deutschland haben die Bundestagsparteien wachgerüttelt. Nach Finanzminister Christian Lindner (FDP), Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und der Union legten nun auch die Grünen einen Plan für mehr Wachstum vor. Ihr Fünf-Punkte-Investitionsprogramm sieht neben einem subventionierten Industriestrompreis für die energieintensive Industrie deutlich mehr öffentliche Mittel für den sozialen Wohnungsbau, für die energetische Gebäudesanierung und höhere staatliche Prämien für Klimaschutz-Investitionen an Unternehmen vor. Finanzieren wollen die Grünen das Programm aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes, dessen 200 Milliarden Euro zu weniger als der Hälfte ausgeschöpft sind.
Das Programm könne Investitionen von 30 Milliarden Euro anstoßen, heißt es in einem vierseitigen Vorschlagspapier von Fraktionschefin Katharina Dröge sowie den beiden Vizevorsitzenden Andreas Audretsch und Julia Verlinden. Es brauche einen Investitionsimpuls für Wirtschaft, Jobs und Klima, erklärte Dröge am Dienstag. „Deshalb schlagen wir ein Investitionsprogramm zur Stärkung der Bauwirtschaft und Industrie vor, indem wir insbesondere die staatliche Förderung für den sozialen Wohnungsbau und die energetische Gebäudesanierung deutlich erhöhen und den sozialen Wohnungsbau vorantreiben“, sagte die studierte Volkswirtin.
In dem Papier fordert die Fraktionsspitze auch einen subventionierten Industriestrompreis, wie ihn Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor Monaten vorgeschlagen hatte. Demnach soll der Strompreis für ausgewählte große Industrieunternehmen, etwa Stahl- und Aluminiumhersteller, mit WSF-Mitteln für einige Jahre bei sechs Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden. FDP-Chef Lindner lehnt diese Pläne ab. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Habeck bislang nicht unterstützt.
Auf den Widerstand Lindners treffen die Grünen auch bei der Finanzierung des Fünf-Punkte-Plans aus dem WSF. „Die Mittel im WSF sind konkret zweckgebunden. Einer Umwidmung stehen verfassungsrechtliche Grenzen entgegen“, sagte ein Sprecher Lindners.
Keim Vorschlag findet Zustimmung der Koalition
Ähnlich äußerte sich der frühere Chef der Wirtschaftsweisen und heutige wirtschaftspolitische Berater Lindners, der Freiburger Ökonom Lars Feld. „Der WSF hat eine klare Zweckbindung. Wenn man diese Vorgabe verletzt, werden verfassungsrechtliche Probleme auftreten. Dieser Unsicherheit sollte sich der Finanzminister nicht aussetzen“, sagte Feld. „Außerdem ist eine expansive Wirkung über den WSF für die Geldpolitik genauso konterkarierend wie eine Finanzierung über den Kernhaushalt“, sagte der Freiburger Ökonom. Auch spezielle Konjunkturimpulse für die Bauwirtschaft lehnte Feld ab. „Gerade über die Dämpfung der Baukonjunktur wirkt die Geldpolitik doch“, mahnte Feld. Die Europäische Zentralbank (EZB) müsse die Inflation mit ihrer Zinspolitik dämpfen. Konjunkturprogramme würden dem entgegenwirken.
Die Grünen und Habeck argumentieren dagegen, die aktuelle Konjunkturflaute gehe auf die Energiekrise zurück, weshalb eine Finanzierung aus dem WSF durchaus mit der gesetzlich vorgegebenen Zweckbindung möglich sei. „Die Maßnahmen dienen der Abfederung der Folgen der Energiekrise, insbesondere von Preissteigerungen beim Bezug von Gas und Strom in Deutschland“, heißt es in dem Papier der Grünen-Bundestagsfraktion.
In der Ampelkoalition kursieren weitere Vorschläge für Maßnahmen zur Stärkung des Wachstums, nachdem das Bruttoinlandsprodukt seit drei Quartalen nicht mehr gewachsen ist. Lindner hatte im Juli den Entwurf eines Wachstumschancengesetzes vorgelegt, das eine Prämie für Klimaschutz-Investitionen und Steuererleichterungen für Unternehmen vorsieht. Das Entlastungsvolumen liegt ab 2026 bei 6,5 Milliarden Euro – in den Augen nicht nur der Grünen ist das zu wenig, um nennenswerte Impulse auszulösen.
Geplante Investitionen von 80 Milliarden Euro
Bauministerin Klara Geywitz hatte vergangene Woche neue Steuervorteile für den Wohnungsneubau gefordert. Demnach könnten Investoren über acht Jahre fast die Hälfe der Investitionskosten bei der Steuer abschreiben. Geywitz ließ offen, wie die Steuerausfälle ausgeglichen werden sollen. Alle Vorschläge aus der Ampel haben gemeinsam, dass kein einziger die Zustimmung der gesamten Koalition findet.
Auch die Union fordert ein Sofortprogramm für die Wirtschaft. Stromsteuer und Netzentgelte sollten demnach bereits ab 1. Oktober gesenkt werden. Wie das finanziert werden könne, ließ die Union unbeantwortet.
Wirtschaftsminister Robert Habeck verwies derweil auf hohe private Investitionen, die derzeit bereits in der Pipeline seien. Aktuell gebe es mehr als zwei Dutzend geplante Großinvestitionen von jeweils mehr als 100 Millionen Euro. Das geplante Investitionsvolumen dieser Industrieprojekte belaufe sich auf insgesamt rund 80 Milliarden Euro, hieß es aus Habecks Ministerium. Davon seien Wasserstofferzeugung, Batteriezellfertigung, Mikroelektronik, Arzneimittelforschung und Medizinproduktherstellung betroffen.
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