Marcus Füreder, der österreichische Künstler und Musikproduzent, freut sich riesig, wieder mal in Luxemburg haltzumachen und hat sich im Vorfeld mit uns über viele Aspekte seines Lebens und seines künstlerischen Schaffens unterhalten.
Tageblatt: Wie haben Sie die Pandemie mit ihren Lockdowns und den Verzicht auf soziale Kontakte erlebt, nicht nur als Mensch gesehen, sondern auch als Künstler?
Marcus Füreder: Tja, über die Pandemie könnte man unendlich viel diskutieren, aber was mich betrifft, gibt es einen Punkt, der mich hat aufwachen lassen. Nämlich zu sehen, wie schnell es gehen kann, dass man aus seinem gewohnten Leben, aus seiner Komfortzone, plötzlich völlig rausgerissen wird! Ich habe oft dran denken müssen, wie man von seinen Großeltern erzählt bekam, wie schrecklich es war, als damals der Krieg ausbrach, wie ihr Alltag sich plötzlich verändert hatte usw. Man kann es sich aber nie so richtig vorstellen, es ist immer abstrakt im Kopf …, doch plötzlich passiert so etwas Schlimmes wie eine Pandemie. Wenn jemand mir vor etwa fünf Jahren gesagt hätte, alle müssten eine Maske tragen, dann hätte ich den für bekloppt gehalten. Durch die Pandemie sind also Dinge passiert, die wir uns nie hätten vorstellen können. Es gibt den schönen Spruch: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen.“ Das habe ich jetzt wohl verstanden, denn wenn man zwei Jahre lang eine Tour absagen muss, seine Zahlungsverbindlichkeiten sozusagen aufs Eis gelegt sind, weil man seinen Job nicht machen kann, dann wird einem bewusst, wie zerbrechlich eigentlich das Leben, unser soziales Gefüge und unser ganzes Miteinander sind. Das war für mich ein großer Impakt, auch psychisch, denn diese Lockdowns waren schon krass.
Vor allem Kultur wurde als nicht wesentlich eingeschätzt und folglich stillgelegt, nicht wahr?
Ganz genau. Somit haben wir auch durch diese Pandemie einen schönen politischen Parameter bekommen: Wie schätzt die Weltpolitik die Bedürfnisse der Menschen ein? Ich kann nur sagen, dass in Österreich die Baumärkte wieder geöffnet waren, lange bevor Konzerte und Kulturhäuser es waren. Man konnte schon seine Konsumartikel kaufen, Fernseher und Handys, das alles war möglich. Kunst und Kultur, die, meiner Meinung nach, lebensnötig für jeden von uns sind, die wurden weggeschoben. Ich glaube, sie haben so etwas Ätherisches für verschiedene Menschen, man kann sie nicht greifen, also braucht man sie nicht! Genauso ist es mit psychischen Erkrankungen, die werden in unserer Welt immer noch nicht ernst genug genommen. Wenn man sich ein Bein bricht, ist es klar, man ist verletzt und braucht Hilfe und Zeit zum Heilen. Psychisches Unwohlsein ist für viele nur Einbildung. Außerdem merkt man in Statistiken, wie wichtig die seelische Komponente beispielsweise im Beruf ist: Glücklich sind nicht die Leute, die wegen des Geldes ihren Job ausführen, sondern diejenigen, die Spaß daran haben. Unsere Bedürfnispyramide müsste mal neu definiert werden!
Während fast zwei Jahren hat man irgendwie geglaubt, die Pandemie würde die Leute zu besseren Menschen machen, weil sie die wahren Werte des Lebens erkannt hätten. Dann kam aber ein Krieg hier in Europa dazu! Sind die Menschen also doch nicht besser geworden?
Den Krieg beginnen ja nicht die Menschen! Der Krieg passiert zunächst mal auf politischer Ebene. Wenn es zu keiner friedlichen Lösung kommt, dann werden im Endeffekt lauter junge Männer dorthin geschickt, die sich untereinander nicht kennen und sich töten, weil ein paar alte Säcke sich nicht mögen! Natürlich sind Jahrzehnte und Jahrhunderte vorher schon Sachen passiert, die einen Krieg begründen könnten. Aber, wie es Napoleon so schön ausgedrückt hat: „Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“ Was mich nun betrifft, ob es die Pandemie oder der Krieg ist, ich weigere mich inzwischen, eine eigene Meinung zu vertreten, nicht weil ich zu schwach bin, sondern weil mir das konkrete, wirklich profunde Hintergrundwissen, das wir alle nicht haben, fehlt. Ich kann nur an der Oberfläche rumkratzen und meine Ideen vertreten, aber es geht ganz woanders los. Wir wissen nichts!
Fühlen Sie sich auch manipulierter Information ausgesetzt?
Ja, so ist es. Und da komme ich zu meinem Beruf, dem des Künstlers, weil ich oft gefragt werde, warum ich mich nicht manchmal mit politischen oder sozialkritischen Themen auseinandersetze. Genau aus dem Grund, dass ich ja eigentlich nur das vertreten kann, was ich irgendwo gelesen oder gehört, aber nicht wirklich erfahren habe, fühle ich, dass ich mehr bewirken kann dadurch, dass ich Menschen auf einer anderen Ebene berühre. Ich kann sie für zwei Stunden glücklich machen! Vielleicht mache ich sie auch schon vorher ein bisschen glücklich, sie haben Konzertkarten gekauft und freuen sich auf das Konzert. Freude und Liebe, das ist die Währung in unserer sozialen Existenz, die eventuell viel mehr Positives bewirken kann als Demonstrationen und Gewalt. Natürlich sind die auch wichtig, aber persönlich fühle ich, dass ich den Menschen Freude geben will, dass sie Spaß haben sollen und für zwei Stunden die Sorgen des Alltags vergessen können.
Sie sind sehr kreativ, nicht nur im Bereich Musik, sondern auch in der bildenden Kunst als Grafiker und Maler. Man kennt Ihre selbstgestalteten Albumcovers und Ihre kunstvollen Videoclips, aber Sie stellen jetzt auch großformatige Werke in Linz in der Galerie Schloss Parz aus. Ist das Ihre erste Ausstellung?
Im Schloss Parz ist es die zweite. Die erste hat letztes Jahr dort stattgefunden. Ich hatte auch früher mal Ausstellungen, denn ich habe immer schon gemalt. Meine Mutter war Malerin und als Kind konnte ich mich in ihrem Atelier austoben, ohne auf Farbkleckse auf meinen Kleidern aufpassen zu müssen. Aber eigentlich hatte ich nie Zeit, mich wirklich darum zu kümmern, meine Werke auszustellen und ich wusste, dass ich das nur angehen wollte, wenn ich mich hundertprozentig darauf konzentrieren könnte. Ich wollte Malerei nicht als Stiefkind betrachten, als etwas, dem man sich ab und zu widmet, wenn man gerade Zeit hat. Da aber Corona-bedingt Konzerte wegfielen, kam der Anlass dafür und ich nutzte die Krise als Chance, etwas anderes zu kreieren.
Ihre Bilder sind ausdrucksstark, faszinierend und meistens düster. Sie malen oft sich selbst auf die Leinwand, aber Ihr Gesicht ist bekritzelt oder übermalt, ihr Kopf scheint zu explodieren. Was wollen Sie damit aussagen?
Ja, es sind düstere Arbeiten teilweise, aber auch in der Düsternis liegt unheimlich viel Schönheit. Ich mache wohl depressive Sachen, die mit Melancholie durchzogen sind, aber die Melancholie beinhaltet immer die Chance, dass etwas besser wird. Ich gehe der Frage nach: Wovor fürchten wir uns im Leben? Eigentlich vor den Dingen, die wir nicht kennen, die wir nicht wissen, die wir nicht beschreiben können. Für mich ist es so: Wenn man seine Ängste sichtbar macht, seinen eigenen Dämon auf die Leinwand bringt, dann verliert er plötzlich an Kraft! Er ist dann greifbar, er ist da, ich kann ihn mir angucken. Dadurch nehme ich dem ganzen Ding den Schrecken und habe somit die Möglichkeit, auch die Schönheit in ihm zu sehen.
Wenn man seine Ängste sichtbar macht, seinen eigenen Dämon auf die Leinwand bringt, dann verliert er plötzlich an Kraft! Er ist dann greifbar, er ist da, ich kann ihn mir angucken. Dadurch nehme ich dem ganzen Ding den Schrecken und habe somit die Möglichkeit, auch die Schönheit in ihm zu sehen.
Ist das Malen also wie eine Therapie?
Vielleicht nicht Therapie, sondern Auseinandersetzung, denn das Schöne daran ist, dass ich nicht für mich male. Ich habe das Gefühl, es kommt einfach raus und ich brauche selbst manchmal zwei Monate, in denen ich das Bild nicht sehe, um dann erst zu verstehen, was in dem Moment war. Jeder Betrachter hat seine eigene Geschichte dazu und das ist noch viel expliziter als in der Musik. Die Musik geht eher in die Richtung, dass traurige Melodien auf alle Zuhörer traurig wirken. In der Malerei ist es aber manchmal so, dass Leute ein Bild als düster empfinden, während andere es gar nicht so sehen, ganz im Gegenteil, sie verspüren eher eine Aufbruchstimmung. Pingo, ergo sum!
Da haben Sie Descartes’ philosophischen Grundsatz gut umgebaut und auf Sie zugeschnitten!
Ja, ich liebe Wortspiele und arbeite in meiner Malerei auch gerne damit. Als Grafiker bin ich es gewohnt, auf den Effekt von Sprache und Typografie zu achten. Wenn man Buchstaben anders schreibt, mit anderen Abständen z.B., sagen sie etwas anderes aus. Das ist einfach toll! Sprache ist etwas Schönes und ich baue sie immer mit ein. Ich schreibe zwar keine Songtexte, außer bei Stelartronic, da ist es schon vorgekommen, aber für mich ganz privat, da schreibe ich. Ich lese auch sehr gerne und liebe es, in vielen Bereichen kreativ zu sein. Das ist der Antrieb von uns Kunstschaffenden! Wir bringen etwas auf die Welt, machen etwas sichtbar, was verborgen war und vielleicht aus einer anderen Welt kommt. Wir machen es für andere sichtbar, hörbar, lesbar. Wir sind Übersetzer aus Begeisterung!
Ist Stelartronic Ihr Side-Project?
Ich arbeite schon lange an einem Stelartronic Album. Es war tatsächlich ein Side-Project, aber zurzeit möchte ich es nicht mehr so abstempeln, sondern es ist ein Projekt, wo ich sage: Da bin ich drin. Mein Main-Project also. Es ist sehr „Achtziger-Synthesizer-lastig“, die musikalische Sphäre, in der ich groß geworden bin. In diese Richtung wird es gehen.
Welche Technik haben Sie beim Malen der aktuell ausgestellten Bilder angewandt?
Der Entwurf entsteht am Computer. Ich beginne mit Fotomontagen von mir oder von meinem zehnjährigen Sohn Max und lasse mich überraschen, was dabei rauskommt. Vor Kurzem hat sich beispielsweise ein Bild ergeben, wo ich auf dem Tisch liege und auf meinem Rücken eine Katze sitzt, die von der Hand einer unsichtbaren Person gestreichelt wird. Von dieser Vorlage gehe ich aus, um das Bild dann mit Öl auf die Leinwand zu malen.
Sie sind gerade auf großer Tournee durch Europa, im nächsten Jahr auch durch Amerika und Kanada. Wie steht es um die vorgesehenen Auftritte in Russland?
Die habe ich abgesagt, die würden im Moment keinen Sinn ergeben. Die Menschen dort sind enttäuscht, aber ich dürfte momentan nicht mal einreisen. Ich kenne viele russische Bands, wir sind befreundet, aber was sich durch den Krieg alles geändert hat, meine Güte, das tut so weh! Ich habe den Song „AKH Odessa“ zu meinem neuen Album „Moonlight Love Affair“ geschrieben und im Februar rausgebracht. Einige Tage später wurde die Ukraine angegriffen! Ich konnte es nicht fassen. Plötzlich bekam ich sehr böse Kommentare, auch von russischen Künstlern. Eine Band hat mir Glückwünsche zum neuen Album geschickt und gefragt, ob diese überhaupt noch angebracht seien, weil sie Russen sind. Ich sagte: „Was soll das? Es hat sich doch unter uns nichts geändert!“ Aber leider ist das nun so. Ich hatte auch ein wunderschönes Video zum Song gemacht, das aus 1.000 kleinen Ölbildern von mir bestand. Das habe ich gar nicht veröffentlicht, es wäre als Provokation verstanden worden. Und das Groteske an der Sache ist, dass der Titel des Songs „Odessa AKH, feat. Russian Gentlemen Club“ heißt. Das ist eine österreichische Band mit Musikern aus Russland, der Ukraine und Moldawien! Ich wurde aber von Ukrainern zerfetzt, weil ich es gewagt hatte, die Musik von Besatzern zu benutzen. Das ist alles so traurig!
Als wir 2019 miteinander sprachen, kam gerade der erste Teil Ihrer Trilogie „Voodoo Sonic“ raus. Mittlerweile ist das Album komplett. Sind die drei Teile zu einer Einheit zusammengewachsen und wie hat das Publikum darauf reagiert?
Ich bin sehr zufrieden mit dem Resultat und der Tatsache, dass die Fans mitgehen. Es ist nämlich viel dabei, wo man sagt: Das ist kein Elektroswing! Da Parov Stelar fast ausschließlich mit diesem Genre assoziiert wird, will man die Fans nicht enttäuschen, aber ein Künstler muss sich ja verändern können und Neues ausprobieren. Daher war ich glücklich darüber, dass alle mitgegangen und sogar neue Leute hinzugekommen sind. Natürlich ist die Trilogie keine Radiomusik, aber sie war auch nicht dafür vorgesehen. Insofern ist alles gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Was mein neues Album „Moonlight Love Affair“ betrifft, trägt es wohl immer noch meine Handschrift, aber die Songs gehen in verschiedene Richtungen. Einige sind bluesy und soulig, andere poppig. „Fire“ wirkt ganz speziell auf mich, er beinhaltet ein cooles Gitarrenriff und kommt erotisch rüber. Es geht um den magischen Moment, wenn zwei sich begegnen und es zwischen ihnen funkt. Herrlich!
Während der Konzerte sieht man Sie hinter Ihrem Mischpult, vom Rauch Ihrer E-Zigarette umhüllt. Sie produzieren Schall und Rauch. Bezugnehmend auf Goethes „Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch“, gehört dieser Rauch zu Ihrem Image?
Ja, so ist es. Und ich denke noch einen Schritt weiter: Gefühl ist die Mutter von Schall und Rauch! Vor allem in der Musik- und Kunstszene muss man erst Gefühl haben, denn aus diesem Gefühl heraus wird Schall geboren. Ohne Emotionen könnte ich keine Musik machen! Das gilt auch für andere Kunstbereiche. Aber vielleicht will ich mich einfach nur hinter dem Rauch verstecken, nach dem Motto, das Offensichtliche wird schnell langweilig.
Ich mache elektronische Musik und schreibe den Musikern keine Partituren. Es funktioniert so: Sie hören sich das Original an, das ich im Studio am Computer geschaffen habe. Somit haben sie einen Anhaltspunkt, wie der Song sein soll. Dann setzen wir uns zusammen und gehen die ganzen Spuren durch, Trompeten, Saxofon, Bass usw.
Wie arbeiten Sie mit den Musikern Ihrer Band, die auf der Bühne live ihre Instrumente spielen, während Sie Ihre Laptops betätigen? Schreiben Sie ihnen Partituren?
Ich mache elektronische Musik und schreibe den Musikern keine Partituren. Es funktioniert so: Sie hören sich das Original an, das ich im Studio am Computer geschaffen habe. Somit haben sie einen Anhaltspunkt, wie der Song sein soll. Dann setzen wir uns zusammen und gehen die ganzen Spuren durch, Trompeten, Saxofon, Bass usw. Aber für die Liveversion gebe ich ihnen die Freiheit, ihre Gefühle spielen zu lassen. Es bedeutet also, dass ich im Studio allein arbeite, doch ich bestehe darauf, dass die Liveumsetzung sich unterscheiden muss von dem, was wir aufgenommen haben. Der Song muss im Konzert erkennbar sein, aber die Musiker dürfen frei interpretieren, denn wieso sollten die Leute zum Konzert gehen, wenn es genauso klingt wie auf der Platte?
Gibt es Instrumente, die Sie besonders mögen? Die Bläser-Section z.B. ist bei Parov Stelar live nicht wegzudenken, oder?
Oh ja, Klavier und Trompete mag ich sehr. Melodien am Klavier sind wunderschön. Man kann damit so viel ausdrücken. Trompeten und im weitesten Sinne Blasinstrumente haben eine irrsinnige Kraft! Nicht umsonst hat man sie früher bei Schlachten eingesetzt. Sie bringen alles in Bewegung und reißen mit! Auch beim Tanzen, wow, das ist ja richtig opulent, das Ganze! Und ich versuche, das alles zu mischen, das liebe ich.
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