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EditorialSicher, satt und trocken: das etwas andere Weihnachten

Editorial / Sicher, satt und trocken: das etwas andere Weihnachten
Für uns alle wird das Fest dieses Jahr ungewohnt anders, einsamer, stiller Foto: dpa/Robert Michael

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Nur eine Handvoll Männer, die in ihrem Schützengraben hocken, zeigt das Schwarz-Weiß-Bild. Um sie herum nur Schutt, aufgeworfene Erde und Sandsäcke, die vor den tödlichen Kugeln des Feindes schützen. Einer der Protagonisten versucht sich an einem aufgesetzten Lächeln, doch sein Blick geht ins Leere. Die anderen Soldaten blicken entweder starr in die Kamera oder widmen sich ihrer Feldflasche.

Unwillkürlich muss der Beobachter an die spontane Waffenruhe zwischen Briten und Deutschen im Ersten Weltkrieg denken. Zwei, drei Tage, an denen die jungen Männer nicht ständig in Todesangst aufeinander feuerten. Eine willkommene Verschnaufpause, in der sich die britischen Soldaten in aller Ruhe an den aus der Heimat angekommenen Geschenkpäckchen des Königs erfreuen durften, während die deutschen Soldaten aus öffentlichen Mitteln gestiftete Geschenksendungen erhielten.

Im Gegensatz zu den späteren Kriegsjahren herrschte an Weihnachten 1914 noch keine besondere Knappheit an Nahrungs- und Genussmitteln in Deutschland, Frankreich oder Belgien. Noch hofften die Soldaten, bald wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen. Noch verbreitete Chlorgas keinen Terror auf dem Schlachtfeld. Doch würde es im Traum niemandem einfallen, die Männer auf dem Foto als glücklich zu bezeichnen.

„Weihnachtstag 1914“, steht auf dem Bild, das gerade in den sozialen Netzwerken geteilt wird. Darunter ein relativ vulgärer Satz in Englisch, den man so umschreiben könnte: „Also hör’ sofort damit auf, über ruinierte Festtage zu meckern!“ Damit steht das Bild im krassen Gegensatz zu den Aussagen eines jungen Mannes vor einigen Tagen. „Was sollen die Jungen denn sonst machen, sie werden ihrer Jugend beraubt“, meinte der Betroffene gegenüber Journalisten, nachdem Polizisten eine Party in Rodange mit Dutzenden Gästen auflösen mussten.

Der Satz ist ein Schlag ins Gesicht jener Menschen, die dieses Jahr eine geliebte Person zu Grabe tragen mussten. Wegen Covid-19 werden dieses Jahr in Luxemburg mindestens 458 Menschen nicht mehr am Festtisch Platz nehmen können. Für deren Familien, für uns alle wird das Fest dieses Jahr ungewohnt anders, einsamer, stiller.

Tiefe Spuren werden die Einschränkungen in unserer kulturellen DNA hinterlassen. Manche Personen werden den Feiern gesundheitsbedingt fernbleiben. Andere werden den Gürtel aufgrund finanzieller Schwierigkeiten enger schnallen. Manchen Menschen schlagen die Auswirkungen der Pandemie aufs Gemüt. Andere werden von Zukunftsängsten geplagt oder von Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Und natürlich gibt es auch dieses Jahr wieder Unglückliche, die Weihnachten auf der Straße verbringen müssen.

Bei allem Verständnis für deren Ängste, Frust und Sorgen: Ein überwiegender Großteil von uns wird Weihnachten nicht alleine verbringen. Wir werden Nahrung auf dem Tisch vorfinden, ein Dach über dem Kopf, warme Kleidung, ein nettes Geschenk und einen trockenen Schlaf. Verglichen mit der Tiefe des Eingriffs in unseren Alltag ist der Vergleich mit Kriegszeiten durchaus gerechtfertigt. Gleichsetzen kann man es dennoch nicht: Trotz Ausgangssperre und Kontaktbeschränkungen werden wir immer noch unter dem Tannenbaum Platz nehmen können – sicher, satt und trocken.

Dennoch bleibt heute in mindestens 458 Haushalten ein Platz um den Festtisch leer. Allein deren Familien sind wir es schuldig, noch etwas Geduld aufzubringen und Eigenverantwortung zu zeigen. Uns selbst gegenüber sind wir verpflichtet, Dankbarkeit für alles zu kultivieren, was wir noch haben. Und uns bewusst machen, was wir ändern können und was nicht – und das auch akzeptieren. Vielleicht kann dann auch dieses Weihnachtsfest gelingen.

Clemens RM
27. Dezember 2020 - 22.20

Unsere Familie ist (bis heute) verschont geblieben von Covid-19.
Nichtsdestotrotz stört es mich gewaltig dass die Gestorbenen (vor allem in Radio und TV) als Zahl schnöde herunter gerattert werden und das tagtäglich!
Das ist schier unerträglich!
Danke für diesen Artikel!

J.Scholer
24. Dezember 2020 - 13.44

Mit Rückblick auf 1914 stehen sich in der heutigen Zeit verschiedene Glaubensgemeinschaften gegenüber, ein Remake dieses außergewöhnlichen Ereignisses unmöglich . Bestes Beispiel ist Berg-Karabach. Was die verlorene Jugend angeht , kann ich solch einen Schwachsinn einer verwöhnten , verhätschelten Gesellschaft nicht mehr hören. Unsere verhätschelte , verwöhnte Spaßgesellschaft vergisst wohl jene Kinder, Jugendliche in Krisen-, Kriegsgebieten , die auf der Flucht sind , dem Hunger, dem Tod ausgesetzt , die um das nackte Überleben kämpfen. All diese Jugendlichen müssten aufschreien der verlorenen Jugend wegen, die Eltern dieser Kinder ,was regt die europäische Gesellschaft sich auf des bisschen Verzichtes auf Konsum, Spass, Freiheit, ihrer Kinder wegen die ihre Kindheit und Jugend verloren haben.

en ale Sozialist
24. Dezember 2020 - 11.03

" Was sollen die Jungen denn sonst machen? Sie werden ihrer Jugend beraubt " Der junge Mann, der in Coronazeiten -beileibe keine einfache Zeit- so spricht, wird beim Lesen dieses Artikels sich hoffentlich nicht länger bemitleiden. Die Meisten wissen ja nicht wie gut es uns hierzulande geht. Wir gehören, objektiv, zu den Privilegierten. angesichts der Armut und des Elends in grossen Teilen der Welt. Also bitte etwas mehr Bescheidenheit und Dankbarkeit. Recht zu lamentieren haben 2/3 der Erdbevölkerung, die Ärmsten der Armen in den Slums, die Hungerleidenden und Verfolgten. Allen voran die unschuldigen Kinder , unterernährt und ohne Zukunftsperspektive.

CESHA
24. Dezember 2020 - 7.49

Danke für diesen Artikel, der die Dinge ins rechte Licht rückt.
Man muss übrigens nicht auf das Jahr 1914 zurückblicken: Auch heute gibt es viele Menschen, welche diese Dezembertage ohne eigenes Verschulden nicht "sicher, satt und trocken" verbringen können.