Dann aber stellte sich heraus: Wirklich Neues gab es für die Fans der mittlerweile in Kalifornien lebenden Familie mit den Kindern Archie und Lilibet nicht zu lernen. Unbekannt, wenn auch bei Familienstreitigkeiten nicht sonderlich überraschend, war noch Prinz Harrys Enthüllung, sein älterer Bruder William habe ihn bei einem Krisentreffen angeschrien: „Das war schrecklich.“ Das Königshaus hüllt sich in Schweigen.
Noch im Herbst hatten royale Beobachter Optimismus ausgestrahlt, nach dem Tod der Queen könne es zwischen König Charles III und seinem jüngeren Sohn zu einer Aussöhnung kommen. Im derzeit eisigen, von einer dünnen Schneedecke überzuckerten London der Adventszeit wirkt dies wie eine Überlegung aus grauer Vorzeit. In ihren stundenlangen TV-Selbstreflexionen blättern Prinz Harry, 38, und seine 41-jährige Gattin Meghan ausführlich sämtliche wohlbekannten Vorwürfe gegen die Monarchie und die britischen Medien auf.
In zahlreichen Podcasts und TV-Interviews, nicht zuletzt im Gespräch mit der US-Talkkönigin Oprah Winfrey, hat das Paar in den vergangenen Jahren immer wieder das Sündenregister aufgezählt: angeblich offener Rassismus durch ein Mitglied der Königsfamilie; gnadenlose Verfolgung durch die Londoner Boulevardblätter; die Verweigerung durch hochrangige Angestellte vom Buckingham-Palast, der Suizid-gefährdeten Herzogin von Sussex Hilfe zuteilwerden zu lassen. Auf Empörung stieß besonders die Thematisierung des Familienhintergrundes von Markle, die eine schwarze Mutter und einen weißen Vater hat.
„Trauriger Zirkus“
Als neuer Vorwurf gegen die Medien kam diesmal noch die Fehlgeburt der Herzogin im Sommer 2020 hinzu – ganz sicher könne man natürlich nicht sein, fügte Harry immerhin einschränkend hinzu. Die Reaktion der selten zu Selbstkritik neigenden Londoner Medien fiel einhellig negativ aus. Von einem „traurigen Zirkus“ schrieb das konservative Magazin Spectator. Wenn die beiden das royale Leben so furchtbar fanden, „warum halten sie dann an ihren Titeln fest?“, wunderte sich der Telegraph.
Der Prinz, ätzt Hilary Rose in der Londoner Times, habe „uns alle“ durch das Erlernen einer neuen Sprache überrascht: „Es handelt sich um Kalifornisch.“ Tatsächlich scheint sich die neue Serie mehr an die amerikanische Öffentlichkeit zu wenden als an die Heimat, wo das Ansehen des abtrünnigen Herzogspaares, vorsichtig ausgedrückt, nicht sonderlich gut ist. Gefragt, was sie von den beiden halten, äußerten sich in einer jüngsten Umfrage der Firma YouGov deutlich mehr Briten negativ als positiv. Für Harry lag der Wert bei minus 26 Prozent, für Meghan bei minus 39. Hingegen führen der ältere Bruder William (plus 62) und seine Gattin Kate (plus 57) die royale Beliebtheitsskala an.
Wenig amused dürfte der Thronfolger auch auf die Entscheidung seines Bruders und dessen Netflix-Team reagiert haben, in den jüngsten Folgen einen Ausschnitt aus dem berühmten BBC-Interview mit ihrer Mutter Diana („Es gab drei in unserer Ehe, da wurde es ein wenig eng“) zu zeigen. Dabei sind sich die Brüder in ihrer Sicht auf die 1997 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommene Prinzessin eigentlich einig: Diana sei Zeit ihres erwachsenen Lebens von skrupellosen Paparazzi gejagt und letztlich in den Tod getrieben worden.
Lügen und Cover-up
Als der berühmteste öffentlich-rechtliche Sender der Welt vor zwei Jahren die Umstände untersuchen ließ, unter denen das Interview zustande kam, sprach William nicht ganz zu Unrecht von „Lügen“ und einem „Cover-up“: Das Verhalten von Reportern und Verantwortlichen der BBC habe zur „Furcht, Paranoia und Isolation“ seiner Mutter beigetragen. Intendant Tim Davie sagte daraufhin zu, man werde auf weitere Ausstrahlungen des berühmten Gesprächs verzichten. Diesen Teilerfolg des Thronfolgers hat nun der jüngere Bruder zerstört: Da Netflix mit Kooperation des Herzogs die Diana-Szenen verwendet, dürften auch andere Medien wenig Skrupel haben, die immerhin zeitgeschichtlich spannenden TV-Bilder zu zeigen.
Bis zu hundert Millionen Dollar sollen die diversen Netflix-Bemühungen dem kalifornischen Celebrity-Paar eingebracht haben, für drei Bücher erhält Prinz Harry angeblich weitere 40 Millionen. Der erste Band, die mit riesigem PR-Aufwand angekündigte Autobiografie mit dem bezeichnenden Titel „Reserve“, wird Anfang Januar erscheinen. Eine Aussöhnung mit Vater und Bruder und deren Institution bleibt also gelinde gesagt unwahrscheinlich.
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