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FR.A.RT (39)Sandra Lieners, 1990, Audun-Le-Tiche

FR.A.RT (39) / Sandra Lieners, 1990, Audun-Le-Tiche
 © Anouk FLESCH

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Wodurch wird unsere Wahrnehmung von Bildern beeinflusst? Dieser Frage geht die Malerin Sandra Lieners in ihren verschiedenen Serien nach. Die junge Luxemburgerin, deren Werke man an ihrer Unschärfe wiedererkennt, beschäftigt sich mit dem Einfluss der Zeit und des gesellschaftlichen Kontexts auf unsere Kunstwahrnehmung und unser Ästhetikempfinden. Lieners hat in Florenz und Wien studiert und sich vor Kurzem selbstständig gemacht. Momentan bereitet sie zwei Ausstellungen vor – eine parallel mit Robert Brandy in der Galerie Ceysson & Bénétière, eine andere im Binom mit Martine Pinnel im Rahmen des CAL und „Esch2022“.

Tageblatt: Beschreiben Sie sich in drei Wörtern.

Sandra Lieners: Energisch, optimistisch und wissensgierig.

Gibt es einen roten Faden, der sich durch alle Ihre Serien und Werke zieht?

Meine Serien sind insbesondere inhaltlich und meiner Meinung nach auch formell sehr stark miteinander verbunden. Es geht immer um die Art, wie wir Dinge anschauen und wahrnehmen und wovon dies beeinflusst wird. Ich will eine Verbindung zwischen dem Klassischen und dem Neuen herstellen, indem ich klassische Themen auf zeitgenössische Art darstelle. Ich hinterfrage unser Verhältnis zu Bildern und der Bedeutung des Originals, wenn ich Landschaften und Porträts wie durch eine digitale Brille gesehen darstelle. Da mir die pure Analogie sehr wichtig ist, nutze ich Ölfarben, die schon im Barock benutzt wurden und als Symbol dienen für alles, was schon in der Kunst gemacht wurde. Mit meinen Werken hinterfrage ich auch die Bedeutung des Kontexts für Ästhetikempfinden.

Worum geht es in Ihrer Serie, die demnächst in der Galerie Ceysson & Bénétière neben den Werken von Robert Brandy gezeigt wird?

Ich interpretiere mehr oder weniger bekannte Frauenporträts der Kunstgeschichte, die auch von Frauen gemalt wurden, neu. Durch den Flou mache ich sie unkenntlicher, um sie sichtbarer zu machen. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, warum die meisten Künstler, die mir als Referenz dienen, alte weiße Männer sind. Während meiner Recherchen stieß ich auf viele Künstlerinnen, die es wegen diverser Hürden schwerer hatten, bekannt zu werden. Darauf will ich aufmerksam machen und zeigen, dass es immer normaler wird, als Frau Kunst zu machen.

Warum arbeiten Sie Ihre Maltücher in Ihre Werke ein?

Ich nenne die Stoffe, die ich während des Malens benutze, um den Pinsel oder Farbe abzuwischen, meine „témoins“, also Zeugen. Obwohl sie beim Malen notwendig sind, sieht man sie normalerweise nicht im fertigen Werk. Indem ich sie auf einen Rahmen spanne oder sie meinen Bildern als Rahmen dienen, werden sie Teil der Kunst.

Haben Sie das Gefühl, sich als Malerin in der zeitgenössischen Kunstszene rechtfertigen zu müssen?

In Galerien und bei Privatpersonen ist Malerei weiterhin erfolgreich. Auf großen Kunstveranstaltungen wie der Documenta oder Biennalen muss sie sich rechtfertigen, weil sie als traditionsgebunden, einfach oder zu kommerziell dargestellt wird. Wegen des dauernden Infragestellens vertritt man als Malerin eine fast revolutionäre Haltung. Die Malerei wurde schon vor hundert Jahren totgesagt. Doch wenn sie das Medium ist, das zu einem passt, bringt es nichts, Video- oder Installationskunst zu machen, nur weil das jetzt modern ist.

Mit welchem/welcher Künstler*in würden Sie gerne einmal zusammenarbeiten?

Mit der Amerikanerin Chloe Wise, deren Arbeit und Persönlichkeit ich sehr mag.

Welcher Teil des Kunstschaffens gefällt Ihnen am wenigsten?

Ich hasse alles Bürokratische und schiebe das immer auf. Es gibt zu viele Hürden und zu wenige Anlaufstellen, um an Informationen zu kommen. Der künstlerische Teil ist leider nur 50 Prozent des Berufes.

Womit verbringen Sie gerne Zeit außerhalb des Kunstschaffens?

Ich liebe Sport. Doch ich mache die Malerei beruflich und den Sport nebenbei, denn in der Malerei kann man immer besser werden, während das im Sport ab einem bestimmten Moment nicht mehr so ist.

Wie erfahren Sie die Kunstszene als Frau?

Natürlich erlebt man als Künstlerin vieles, was nicht sein sollte, doch ich will dem nicht zu viel Platz geben. Wenn ich diese Stimmen wiederhole, gebe ich ihnen Raum. Tue ich aber das, was ich liebe, und rede nur darüber, werden sie unwichtiger.

Was würden Sie sich für die luxemburgische Kunstszene wünschen?

Ich finde es interessant, dass Luxemburger*innen im Ausland studieren und diese Einflüsse hierhin zurückbringen. Allerdings finde ich es nicht gut, dass es keine Möglichkeit gibt, in Luxemburg Kunst zu studieren. Wir haben eine tolle Kunstszene und interessante Institutionen, doch bieten anderen keine Möglichkeit, diese kennenzulernen.

 Foto: Anouk Flesch

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Wenn ich träumen darf – eine Ausstellung im MoMA. Ansonsten will ich nichts an die Wand malen. Langzeitziele sind wichtig, um zu wissen, wo man hin will. So kann man die Zeit austricksen – denn die Zukunft wird erst real, wenn man sich sie in der Gegenwart vorstellt. Das heißt aber nicht, dass sie so werden muss. Wo ich jetzt bin, ist nicht da, wo ich vor fünf Jahren dachte, jetzt sein zu wollen. Ich mag Überraschungen.

Was würden Sie heute machen, wenn Sie nicht Künstlerin geworden wären?

Das habe ich mich auch schon gefragt. Eventuell wäre ich Chirurgin, weil ich Detailarbeit mag und ein visueller Mensch bin. Der soziale Aspekt, dass man Menschen hilft, gefällt mir daran auch. Es würde mir guttun, die Wichtigkeit meines Berufes nicht immer verteidigen zu müssen.

Welche luxemburgische Künstlerin empfehlen Sie?

Ich finde Su-Mei Tse spannend.

@FR_A_RT

Frauen sind in der Kunstwelt nach wie vor unterrepräsentiert. Um dem entgegenzuwirken, stellt die FR_A_RT-Porträtserie Künstlerinnen vor, die eine Verbindung zu Luxemburg haben. Jedes Porträt besteht aus einem Interview und Fotos. Das Projekt schließt diverse visuelle Kunstgenres sowie etablierte Künstlerinnen und Newcomerinnen ein.