Was bei den Olympischen Spielen in den Jahren von Usain Bolt der 100-m-Lauf war, ist bei den Paralympics der Weitsprungwettbewerb mit dem Prothesensprinter Markus Rehm. „Der Bladejumper“ ist einer der absoluten Stars des paralympischen Sports, und das nicht ausschließlich wegen seiner Leistungen, sondern auch, weil er die Grenzen der Inklusion nicht akzeptieren will. Rehm kämpft seit Jahren dafür, sich mit Sportlern ohne körperliches Handicap zu messen. Sein Antrag, bei den Olympischen Spielen in Tokio starten zu können, wurde vom Internationalen Sportgerichtshof CAS abgewiesen. Er könne nicht beweisen, dass er durch seine Prothese keinen Vorteil gegenüber anderen Sportlern habe. Bereits 2016 in Rio wurde ihm ein Start bei Olympia untersagt.
Ob der unterschenkelamputierte Leichtathlet wirklich einen Vorteil durch seine Prothese hat, wird seit Jahren diskutiert. Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 2017 kommt zum Schluss, dass die Prothese ihm gegenüber Springern ohne Handicap einen Vorteil von 13 Zentimetern verschaffe. Wobei die Nachteile, die ein Prothesensportler hat, wie zum Beispiel beim Anlauf, recht schwer zu messen sind. Mit seinem Weltrekord von 8,62 m hätte er bei Olympia Gold gewonnen – sogar dann noch, wenn man ihm 13 Zentimeter aberkannt hätte.
Rehm geht es nicht unbedingt darum, mit nicht behinderten Sportlern gewertet zu werden, sondern vor allem darum, gemeinsam an Wettkämpfen teilnehmen zu können. Sport kann die Inklusion fördern, im Hochleistungssport hat sie aber ihre Grenzen. Der Sport tut sich schwer mit neuen gesellschaftlichen Herausforderungen. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Diskussion um intersexuelle Leichtathletinnen. Frauen wie die Südafrikanerin Caster Semenya, die einen natürlich hohen Testosteronwert haben, dürfen nicht mehr über Mittelstrecken antreten, da sie gegenüber den anderen Wettkämpferinnen einen Vorteil hätten. Lediglich wenn sie ihren Testosteronspiegel medikamentös senken und damit gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen würden, dürfen Frauen wie Semenya an den Wettkämpfen teilnehmen. In Tokio sorgte die transgeschlechtliche Gewichtheberin Laurel Hubbard für Diskussionen. Sie durfte aber bei den Frauen antreten.
Der Leistungssport basiert in der Theorie auf dem Prinzip der Chancengleichheit. Wer sich miteinander messen will, kann das nur, wenn es ähnliche Ausgangslagen gibt. Wobei ein Usain Bolt auch aufgrund seiner Veranlagung und seiner anatomischen Voraussetzungen so schnell laufen konnte. Auf die Idee, ihn deshalb nicht starten zu lassen, wäre niemand gekommen. Wo ziehen wir also die Grenzen für die Chancengleichheit und beruht diese auf unverrückbaren Grundsätzen? Diese Fragen werden sich dem Sport in Zukunft noch des Öfteren stellen. Eine wirkliche Antwort hat er aber noch nicht gefunden. Momentan wirkt er in diesen Situationen ziemlich ratlos.
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