Headlines

Toxische MännlichkeitRadikalisierte Alpha-Männer: Was Influencer wie Andrew Tate so gefährlich macht

Toxische Männlichkeit / Radikalisierte Alpha-Männer: Was Influencer wie Andrew Tate so gefährlich macht
Fette Karren, Dominanz, Bizeps so aufgepumpt wie der Geldbeutel – angeblich der Traum aller heterosexuellen Frauen, zumindest laut Manosphere Fotos: Freepik, Montage: Tageblatt/Lavinia Breuskin

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die rezente Festnahme des umstrittenen Influencers Andrew Tate hat den Blick auf eine Internet-Szene gelenkt, in der Frauenhass auf Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien trifft.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen sich nur ein paar Fitness-Tipps holen und werden dann plötzlich zum Krieger im Kampf gegen eine (wahlweise) feministische, jüdische oder kommunistische Weltordnung ernannt. Eine solche Entwicklung beobachtet Adam (Name von der Redaktion geändert) bei seinem Bruder. Dieser schaue sich täglich Videos von Influencern aus der Manosphere an. Adam macht sich Sorgen. Die neuen Vorbilder seines Bruders seien gefährlich und sprächen sich für Gewalt gegenüber Frauen aus, sagt er.

LINK Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar „Wann ist ein Mann ein Mann?“

Willkommen in der Manosphere. Sie ist ein loses Netzwerk, in dem eine Ablehnung des Feminismus und hegemoniale Männlichkeit eine Rolle spielen und das sich aus verschiedenen, sich teilweise feindselig gegenüberstehenden Gruppierungen zusammensetzt. Die These: Die heutigen Männer befinden sich in einer Krise, schuld ist der Feminismus. Die Akteure: vernetzt auf Internetkanälen wie YouTube, Reddit und Telegram. Die Antreiber der Bewegung: Influencer, die erklären wollen, was einen „echten Mann“ auszeichnet.

Glossar

– Manosphere: Ein loses Online-Netzwerk von Men’s Rights Activists.

– Men’s Rights Activists (MRA): So bezeichnen sich Aktivisten, die der Ansicht sind, der Feminismus sei zu weit gegangen und Männer seien ihm in der heutigen Gesellschaft unterworfen. Diese Strömung ist aus einem Flügel der pro-feministisch eingestellten Men’s Liberation entstanden. Beide Bewegungen stehen sich antagonistisch gegenüber.

– Incel: Das Wort setzt sich aus „involuntary“ und „celibate“ zusammen, also unfreiwillige Enthaltung. Es handelt sich um eine Internet-Subkultur von heterosexuellen Männern, die der Ansicht sind, ihnen seien Geschlechtsverkehr oder romantische Beziehungen aufgrund von gesellschaftlichen und physiologischen Faktoren verwehrt.

– MGTOW: Men Going Their Own Way (MGTOW) ist eine Internet-Subkultur, die darauf abzielt, Kontakte zu Frauen zu unterlassen.

– Pick-up Artist (PUA): In den meisten Fällen handelt es sich um Männer, die ihr „Game“, also ihre Strategien und Techniken der Verführung, optimieren wollen und Frauen als Objekte betrachten. 

– Red Pill: Die rote Pille stammt aus dem Film „Matrix“. Dort wird der Protagonist vor eine Wahl gestellt: Entweder schluckt er die blaue Pille und lebt weiterhin im Unwissen oder er entscheidet sich für die rote und entdeckt die Wahrheit.

– Alpha, Beta usw.: In der Manosphere werden Männer in Kategorien eingeteilt. Ganz oben in der Hierarchie befindet sich der Alpha-Mann, auch Chad genannt. Dabei handelt es sich um einen attraktiven Mann, der finanziellen und gesellschaftlichen Erfolg hat, bei Frauen gut ankommt und sowohl im Aussehen als auch im Verhalten als typisch maskulin gilt. 

Die Manosphere übt Kritik an Aspekten des „Mainstreams“, vorwiegend an politischer Korrektheit, „Cancel Culture“ und „Wokeness“. Diese würden die Männer – vorwiegend weiße, heterosexuelle Männer – unterdrücken und die Wahrheit verbergen. „Schwache“ Männer, die Gefühle zeigen, werden verspottet. Feindbilder sind sogenannte „Social Justice Warriors“, „Snowflakes“ und als „Feminazis“ bezeichnete Feministen, aber auch Hass gegen Umweltschützer tritt auf.

Ein rezentes Beispiel ist der Twitter-Post von Andrew Tate, der gegenüber der Umweltaktivistin Greta Thunberg mit seinen zahlreichen SUVs prahlte. Er wurde vor kurzem festgenommen, nachdem er bereits zuvor wegen Hassrede von sozialen Netzwerken verbannt worden war. Er hat mitunter behauptet, Frauen seien für sexuellen Missbrauch mitverantwortlich. Dem Ex-Kickboxer wurden außerdem Verbindungen zu Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern sowie zu Rechtsextremisten nachgewiesen.

Dem Fitness- und Selbstoptimierungs-Influencer Andrew Tate wird Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen
Dem Fitness- und Selbstoptimierungs-Influencer Andrew Tate wird Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen Foto: Alexandru Dobre/AP/dpa

Verbindung zur neuen Rechten

Auf den ersten Blick ist der Inhalt der Manosphere-Influencer harmlos. Es geht um Karriere, um Tipps, wie man Fremde am besten anspricht, um Selbsthilfe im Alltag. Doch dahinter verbirgt sich eine gefährliche Maschinerie. Die Manosphere-Influencer sagen: „Ich zeige dir, wie du Erfolg hast und zu einem begehrenswerten Mann wirst.“ Sie sagen aber auch: „Du bist Teil der Matrix, das System arbeitet gegen dich. Sei kein Schlafschaf, wach auf und folge mir, sonst bleibst du ein erfolgloser Beta-Mann.“

Mit ihren Videos richten sich die selbst ernannten Alpha-Männer vor allem an unsichere Männer. „Seit meiner Pubertät leide ich an Übergewicht und wurde gemobbt“, sagt ein ehemaliges Manosphere-Mitglied dem Tageblatt. „Mit meinen Sorgen wandte ich mich an das Internet.“ Ein Internet-User gibt zu bedenken: „Diese Inhalte sind so ansprechend, weil irgendwo auch ein Funken Wahrheit dahintersteckt. Beispielsweise, dass die Dating-Welt ziemlich unfair sein kann.“ Ein anderer User weist darauf hin, dass Inhalte von Pick-up-Artists nicht unbedingt schlecht seien. „Doch je ernster diese Personen sich nehmen, desto toxischer und pseudowissenschaftlicher wird ihr Content.“

Sie heißen Hamza, Sneako, Alexander Grace oder Kevin Samuels und können mit ihrer gegen Political Correctness gerichteten Rhetorik in eine gefährliche Pipeline führen. 2021 haben drei Schweizer Forscher mehr als 300 Millionen Kommentare auf Reddit und YouTube ausgewertet und herausgefunden, dass es eine beträchtliche Verbindung zwischen der Manosphere und der neuen Rechten gibt. Andere Studien haben ergeben, dass Gemeinschaften wie die Incels ein fruchtbarer Boden für die Radikalisierung von Usern sind.

Ein Blick in einschlägige Foren zeigt, dass sie voll mit Hass und frauenfeindlichen Aussagen sind. In einer Facebook-Gruppe des 2022 verstorbenen Kevin Samuels wimmelt es nur so vor Homophobie („Lesbische Heiraten enden mit dreimal höherer Wahrscheinlichkeit in einer Scheidung“), Rassismus („Schwarze Frauen sind maskulin und stinken“) und Misogynie („Moderne Frauen sind faul, materialistisch, opportunistisch und egoistisch“). Ein User, der sich als Jugendlicher mit Manosphere-Inhalten befasst hat, sagt gegenüber dem Tageblatt: „Ab einem bestimmten Punkt begann ich, mich mit der Idee einer weltweiten jüdischen Verschwörung und des Untergangs der westlichen Welt zu beschäftigen.“

Warum so viel Feindseligkeit? Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit müssen sich Männer rechtfertigen, erklärt der YouTuber F.D Signifier in seinem Video „Dissecting the Manosphere“. Soziale Bewegungen wie #MeToo und die Verbreitung theoretischer Ansätze wie der Critical Race Theory hätten dazu geführt, dass Männer stärker auf ihre Wortwahl achten sollen, aber auch dass sie sich für Entgleisungen verantworten müssen. Mit diesem Wissen können manche Mitglieder der Gesellschaft, die sich eigentlich nicht um Diskriminierung sorgen müssten, nicht umgehen – oder, wie ein englisches Sprichwort sagt: „When you’re accustomed to privilege, equality feels like oppression“ (Wenn du Privilegien gewohnt bist, fühlt sich Gleichheit wie Unterdrückung an).

Wie weit einige Akteure gehen können, zeigt sich, wenn sie von der Red Pill in die Black Pill abdriften. Als „black-pilled“ bezeichnen sich Individuen, die die Hoffnung völlig aufgegeben haben. Dies kann sich in einem Rückzug aus der Gesellschaft ausdrücken, aber auch in einem Zurückgreifen auf Gewalt. Das bekannteste Beispiel ist der Amoklauf von Isla Vista in Kalifornien. 2014 ermordete ein selbsternannter Incel sechs Menschen. In seinem Manifest schrieb er unter anderem, dass er am liebsten alle Frauen in Konzentrationslagern verhungern lassen würde.

Als Gegenposition zur Manosphere sieht sich die Men’s-Liberation-Bewegung an. Diese bezeichnet sich nicht nur als profeministisch, sondern hinterfragt auch die bei der Men’s Rights Activists hochgelobte traditionelle Maskulinität sowie gesellschaftliche Rollenbilder kritisch. Probleme, die Männer betreffen, werden intersektionell behandelt, da sie sich mit anderen Aspekten wie der Ethnie oder dem sozioökonomischen Status überschneiden, heißt es in der Selbstbeschreibung der Reddit-Gemeinschaft /r/MensLib. Ferner ist die Rede vom Anspruch, an einem gesünderen und inklusiveren Männlichkeitsbild zu arbeiten.


Die Manosphere ist ein heterogenes Netzwerk, von dem eine reelle Gefahr ausgeht. Nicht alle Mitglieder sind radikalisiert und ihre Kritik an feministischen Akteuren kann durchaus berechtigt sein. Auch Frauen wie beispielsweise die „Red Pill Women“ und nicht-weiße Personen – Stichwort „Black Manosphere“ – finden sich dort wieder. Es wäre außerdem falsch, zu behaupten, alle Menschen, die sich für Männerrechte einsetzen, seien Teil dieses Netzwerks.

Analysen und Forschungen haben ergeben, dass die Manosphere einen idealen Nährboden für extremistisches Gedankengut bietet. Es gilt, diese Influencer, denen Zigtausende junge Menschen in den sozialen Netzwerken folgen, und die entsprechenden Communitys im Auge zu behalten.

Und in Luxemburg?

Auch in Luxemburg gibt es eine Männerrechtsbewegung. Die „Association des hommes du Luxembourg“, früher „Hodilux“, hat sich die „Verteidigung der Interessen der Männer“ auf die Fahne geschrieben. Darüber, wie sich die Vereinigung positioniert, ist wenig bekannt, da es in den vergangenen Jahren still um sie geworden ist. Themen sind unter anderem das Sorgerecht und Hilfe für geschiedene oder sich in Scheidung befindende Männer. Die Vereinigung steht der ADR nahe.

Quellen

– Anti-Defamation League: „When Women are the Enemy: The Intersection of Misogyny and White Supremacy“ (https://www.adl.org/resources/report/when-women-are-enemy-intersection-misogyny-and-white-supremacy)
– Barcellona, Marta: „Incel violence as a new terrorism threat: A brief investigation between Alt-Right and Manosphere dimensions“, in: „Journal of Emergent Socio-legal Studies“, volume 11, issue 2 (2022)
– Dixit, Priya: „Red Pills, White Genocide, and ,the Great Replacement‘: Rewriting History, and Constructing White Victimhood in/through Far-Right Extremist Manifestos and Texts“, in: „Race, Popular Culture, and Far-right Extremism in the United States – Global Political Sociology“
– F.D Signifier: Dissecting the Manosphere (auf YouTube)
– Mamié, Robin; Horta Ribeiro, Manoel; West, Robert: „Are Anti-Feminist Communities Gateways to the Far Right? Evidence from Reddit and YouTube“ (https://arxiv.org/pdf/2102.12837.pdf)
– O’Donnell, Kelly M.: „Incel Mass Murderers: Masculinity, Narrative, and Identity“, in: „Ohio Communication Journal“, volume 59, June 2021
– Pierce, Alexander Dignam; Rohlinger, Deana A.: „Misogynistic Men Online: How the Red Pill Helped Elect Trump“, in: Signs, Volume 44, Number 3, Spring 2019 „Gender and the Rise of the Global Right“
Vandiver, Josh: „The Radical Roots of the Alt-Right“, in: „Political Extremism and Radicalism in the Twentieth Century“ (https://www.gale.com/intl/essays/josh-vandiver-radical-roots-alt-right)