Der Prozess vor der 1. Schwurgerichtskammer des Trierer Landgerichts beginnt mit einem Geständnis des 44-jährigen Angeklagten. „Ich bitte um Entschuldigung. Es tut mir wirklich sehr leid“, sagt der Mann, der in Handschellen in den Gerichtssaal 70 gebracht worden ist. Er sei, so beteuert er, ein friedliebender Mensch und bedauere die Taten zutiefst. Er habe lediglich „Menschen erschrecken wollen“, aber nicht verletzen, geschweige denn töten. Wenn er könnte, würde er das, was er getan habe, ungeschehen machen.
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Zur Last gelegt werden ihm insgesamt vier Taten, die er im Zustand verminderter Schuldunfähigkeit begangen habe. Die vierte und vom zeitlichen Ablauf her letzte bestreitet er: „Das war ich nicht. Das müssen Sie mir glauben.“ Am späten Abend des 23. Februar soll er sich auf der Römerbrücke per Fahrrad von hinten einem 56-jährigen Fußgänger genähert und ihn mit einem nicht näher bekannten harten Gegenstand ins Gesicht geschlagen haben. Das Opfer habe zwei blutende Platzwunden am Kopf erlitten, sei aber noch in der Lage gewesen, selbst Hilfe zu rufen.
Das war dem ersten Opfer nicht möglich. Am 14. Februar erwischte es einen 20-Jährigen, der spät abends zu Fuß in der Brotstraße unterwegs war. In Höhe des Drogeriemarktes hat ihm laut Anklage ein Radfahrer im Vorbeifahren einen schweren Stein gegen den Kopf geschleudert oder geschlagen. Der junge Mann ging bewusstlos zu Boden. Mit schweren Kopfverletzungen, darunter Frakturen, und nicht ansprechbar wurde er ins Brüderkrankenhaus gebracht.
Weil der 20-Jährige Airpods trug (kabellose Kopfhörer), also völlig überraschend und ohne Chance, auszuweichen oder sich zu wehren, attackiert wurde, wertet Staatsanwalt Volker Blindert diese Tat als Mordversuch.
Psychische Auffälligkeiten und verbale Wutausbrüche
Offenbar ist es nicht bei dieser Attacke geblieben. Wenige Tage später meldete sich eine Frau bei der Polizei. Sie und ihr Begleiter seien ebenfalls am späten Abend des 14. Februar beim Betreten eines Hauses in der Gilbertstraße (Trier-Süd) von einem aus Richtung Mosel kommenden Radfahrer mit einem Stein beworfen worden. Der rund 380 Gramm schwere Stein sei nur um Zentimeter am Kopf der Frau vorbeigerauscht und an der Haustür abgeprallt. Die Frau verständigte aber die Polizei erst, als sie von dem Vorfall in der Brotstraße und der Zeugensuche erfuhr und Parallelen erkannte.
Vorgeworfene Tat Nummer drei: Am Abend des 14. oder in der Nacht zum 15. Februar soll der Angeklagte in der Gerberstraße (unweit der Gilbertstraße) die Windschutzscheibe eines abgestellten Autos eingeschlagen haben. Schaden: 650 Euro.
Einen Monat später nahm die Polizei den bereits aktenkundigen 44-Jährigen beim Verlassen seiner Wohnung fest. Zwei der Steine wiesen DNA-Spuren auf, die eindeutig ihm zugeordnet werden konnten. Auch hatten Videoaufnahmen, mit denen ein Hausnachbar die sich ab Ende 2022 häufenden psychischen Auffälligkeiten und verbalen Wutausbrüche dokumentierte, die Ermittler auf die Spur des Angeklagten gebracht.
Das in seiner Wohnung gefundene E-Mountainbike ist laut Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit das, mit dem der Täter nach dem Angriff in der Brotstraße fuhr – so zu sehen auf dem Video der Überwachungskamera eines Eiscafés neben dem Drogeriemarkt.
„Frustbewältigung“
Der in Ungarn geborene Angeklagte, der seit der zweiten Hälfte seiner Grundschulzeit im Raum Trier (zunächst im Hochwald) lebte, bezeichnet sich als psychisch krank. Er leide seit seinem 17. Lebensjahr unter Psychosen und habe bereits 15 Jahre in der Klinik Nette-Gut für Forensische Psychiatrie in Weißenthurm (Kreis Mayen-Koblenz) verbracht.
Anschließend habe er auf ärztlichen Rat Medikamente genommen – die aber, wie er sagt, schlimme Nebenwirkungen gezeigt hätten. Durch Einnahme des ersten habe er 50 Kilogramm zugenommen und es deshalb abgesetzt. Das Ersatzmedikament habe ihn aggressiv gemacht. Hinzu sei ein hohes Maß an Frustration gekommen. In seiner Erdgeschosswohnung habe er sich durch ständiges nächtliches Klingeln und Klopfen gegen die Fensterscheiben „terrorisiert“ gefühlt und diese „gezielten Störungen“ der Nachtruhe in Zusammenhang als Reaktion auf seine „exhibitionistischen Auffälligkeiten“ gewertet, die im sechsten Schuljahr erstmals aufgetreten seien: „Der Terror war persönlich gegen mich gerichtet.“
Die Corona-Zeit habe seine Situation zusätzlich verschärft. (Prüfungs-) Stress in seiner Ausbildung als Webdesigner, Enttäuschungen im zwischenmenschlichen Bereich – „die Frau, mit der ich zusammen sein wollte, hat mit einem anderen rumgeknutscht“ – da habe er zur „Frustbewältigung“ nächtliche Fahrradrunden gedreht und „Leute erschrecken wollen“.
„Das hat mich selbst erschreckt“
Die Polizei schließt nicht aus, dass noch mehr Pflasterstein-Würfe auf parkende Autos auf sein Konto gehen. Dazu sagte der Angeklagte nichts, sondern beteuerte erneut, dass er mit dem Angriff auf der Römerbrücke nichts zu tun habe und es ihm sehr leid tue, dass er in der Brotstraße den 20-Jährigen schwer verletzt habe: „Das hat mich selbst erschreckt.“ Er habe sich anschließend noch umgedreht und gesehen, dass andere Passanten dem Opfer zu Hilfe eilten: „Da bin ich weitergefahren. Ich wollte ja nicht erkannt werden.“
Während die Schwurgerichtskammer unter Leitung der Vorsitzenden Richterin Petra Schmitz am ersten Verhandlungstag ausschließlich Polizisten – sechs Männer und eine Frau – als Zeugen hörte, soll beim nächsten Termin am Donnerstag, 7. September, unter anderem auch das Opfer der Attacke in der Brotstraße in den Zeugenstand. Weitere Termine: 15. und 18. September.
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