Die Republik Artsakh ist in den vergangenen Wochen ins Licht der Weltöffentlichkeit getreten. So lautet ihr uralter armenischer Name. Das kleine Stück Land, das eher unter seinem sowjetisch-russisch-türkisch-persischen Namen Nagorno Karabakh bekannt ist, wurde einmal mehr zum Schauplatz eines Krieges. Wie schon so oft in seiner jahrtausendelangen Geschichte. Nur diesmal soll das Land vernichtet werden. Die handelnden Gegner sind Aserbaidschan und die Türkei. Die uninteressierte Weltöffentlichkeit schaut zu oder weg – so sie nicht auf ekelhafte Manier die Aggressoren unterstützt, weil diese größer, reicher und mächtiger sind als die 150.000 Armenier Karabakhs. Ihnen gegenüber gilt für den sogenannten Westen nichts mehr von dem, was Anfang der 2000er-Jahre als Logik benutzt wurde, um Krieg für Kosovo zu führen und dieses Territorium 2008 international anzuerkennen.
Aserbaidschan hat am 27. September Karabakh angegriffen, weil es sich es „zurückholen“ wollte. Zurück? Die Provinz Artsakh war bereits konstituierender Teil des armenischen Reiches Tigrans des Großen im ersten Jahrhundert vor Christus. Weitere anderthalb Jahrtausende wusste niemand auf diesem Globus, was Aserbaidschan oder Aserbaidschaner sein sollen, während in Artsakh, in den kaukasischen Bergen, die armenische Bevölkerung ihre Schrift, ihre Sprache, ihre apostolische christliche Region pflegte und behütete, nachdem die historischen armenischen Staaten besiegt und untergegangen waren. Das Kloster Dadivank („Dadis Kloster“) wurde im ersten christlichen Jahrhundert von einem Schüler des Apostels Thaddäus begründet, der dort predigte. Mesrop Mashtots, das Universalgenie, das im Jahre 405 das armenische Alphabet schuf, lehrte im Süden Artsakhs im Kloster Amaras. Es findet sich kein armenischerer Flecken Erde.
Stalin schlug Anfang der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts dennoch die Hälfte der armenischen Territorien der Sowjetunion, Nachitschewan und Artsakh, der aserbaidschanischen Sowjetrepublik zu. In Karabakh führte dies zu heftigen Protesten der armenischen Bevölkerung – also von rund 90 Prozent der damaligen Einwohner. In Nachitschewan gab es weniger Armenier, die gegen irgend etwas hätten protestieren können. Die Türken, eine andere Erscheinungsform der Aserbaidschaner, hatten sie ab 1915 im Genozid abgeschlachtet, im Verlauf der sowjetischen Geschichte wurden sie vollständig aus dem biblischen Land Nachitschewan vertrieben.
Weder Hoffnung noch Handeln aufgegeben
Karabakh wurde Teil der aserbaidschanischen Sowjetrepublik, führte ein kümmerliches Dasein und gab weder die Hoffnung noch das Handeln auf, um doch eines Tages Teil Armeniens sein zu dürfen. Als die Sowjetunion in Auflösung begriffen war und Armenier in ganz Aserbaidschan in Pogromen umkamen, erklärte die autonome Republik Nagorno Karabakh ihre Unabhängigkeit. In völliger Übereinstimmung mit der damals noch gültigen sowjetischen Verfassung, die das Recht auf Unabhängigkeit für autonome Republiken vorsah.
Eine internationale Anerkennung Karabakhs erfolgte nie. Und auch deshalb stehen die Armenier Karabakhs heute vor der definitiven Vernichtung. Was Jahrhunderte fremder Besatzung und Herrschaft nicht geschafft haben, was die Türken mit ihrem Genozid an den Armeniern nicht erreichten, will heute eine durch und durch korrupte und kriminelle Diktatur durchsetzen, in der das Präsidentenamt wie eine schiitische Monstranz in der Familie Aliyev weitergereicht wird. „Die Armenier wie Hunde zu vertreiben“, wie Ilham Aliyev es ausdrückt.
Das Einfrieren und Beschlagnahmen der Konten und anderer geldwerter Interessen der Clans von Aliyev und Erdogan hier in Luxemburg wäre ein sinnvoller, hilfreicher und notwendiger Schritt
Aliyevs Krieg gegen Artsakh war eine reine Mordmaschinerie. Die Türkei stellte ihre eigenen F-16-Kampfflieger zur Verfügung und eine unbekannte Zahl von Bayraktar-Kampfdrohnen. Diese kamen neben den israelischen Modellen zum Einsatz – im ersten Roboterkrieg der Geschichte, in dem armenische Soldaten und ihr konventionelles Kriegsgerät keine Chance besaßen. Tausende fielen. Was diese Maschinen nicht schafften, erledigten die Horden eigens herangekarrter Dschihad-Kämpfer aus Syrien und Libyen, die von der Türkei besorgt wurden. Und um das alles abzurunden, wurden Wälder mit Phosphor bombardiert und zerstört, zivile Ziele in den Städten und Dörfern Karabakhs mit Streumunition angegriffen und Kriegsgefangene exekutiert – oft genug durch Enthauptung. Die Liste der aserbaidschanischen Kriegsverbrechen ist lang. Sie muss im Detail aufgearbeitet werden. Die Präsidenten Aliyev und Erdogan gehören dafür vor ein internationales Strafgericht. Es würden dringend Sanktionen gebraucht, um ihnen ihre Grenzen zu zeigen. Das Einfrieren und Beschlagnahmen der Konten und anderer geldwerter Interessen der Clans von Aliyev und Erdogan hier in Luxemburg wäre ein sinnvoller, hilfreicher und notwendiger Schritt.
Karabakh ist besiegt. In Armenien wird jene Regierung, die eine bedingungslose Kapitulation unterzeichnen musste, um die totale aserbaidschanische Besetzung Karabakhs noch so gerade eben zu verhindern, sich nicht mehr lange im Amt halten können. Die Menschen dort sind ebenso tief von der Niederlage getroffen wie die Armenier Karabakhs – es ist das gleiche Volk. Jenes Volk, dem man jetzt eines nicht antun darf: das Hinnehmen eines weiteren Genozids. Karabakh ist besiegt, doch Artsakh muss auferstehen.
Auch Luxemburg kann eine Rolle spielen
Präsident Aliyev hat klar ausgesprochen, was unzählige Armenier und Freunde Armeniens befürchten: Es wird keinerlei Autonomiestatus für Karabakh innerhalb Aserbaidschans geben. Die Vernichtung der Menschen soll nach dem Krieg auf kleinerer Flamme weiterbetrieben werden. Dies darf die Welt, darf Europa und darf Luxemburg nicht zulassen. Nicht noch einen Genozid an den Armeniern!
Der menschliche Anstand gebietet, jetzt für die Anerkennung der Republik Artsakh und das Lebensrecht ihrer armenischen Bürger einzustehen
Es gibt nur ein Mittel, mit dem Karabakh vor der Auslöschung alles armenischen Lebens und aller Spuren armenischer Geschichte und Kultur bewahrt werden kann. Dieses Mittel ist die völkerrechtliche Anerkennung der Republik Artsakh. So wie Kosovo als Staat anerkannt wurde, um das Leben der albanischen Bevölkerung dort zu schützen, muss es zu einer „remedial recognition“ der Republik Artsakh kommen. Die Unabhängigkeitserklärung der Republik erfolgte im Jahre 1991 rechtlich einwandfrei, auch wenn politische Interessen über Jahrzehnte eine Anerkennung verhinderten. Damit muss Schluss sein.
Nein, ich bin in Sachen Armenien und Artsakh nicht neutral. Doch wie kann man angesichts einer genozidären Rhetorik und Praxis aufseiten Aserbaidschans und der Türkei, angesichts unzähliger Kriegsverbrechen, angesichts von brutalen Morden und Vergewaltigungen neutral sein? Wieso würde man es sein wollen? Der menschliche Anstand gebietet, jetzt für die Anerkennung der Republik Artsakh und das Lebensrecht ihrer armenischen Bürger einzustehen. Besonders, wenn man Bürger eines Landes ist, das vor fast zwei Jahrhunderten international anerkannte Staatlichkeit erhielt. Quasi durch die Gnade Gottes. Mit genauso vielen Einwohnern, wie Artsakh jetzt hat. Auf genauso vielen Quadratkilometern, wie von Artsakh übrig sind. Dieses Land heißt Luxemburg.
https://www.unhcr.org/publications/refugeemag/3b5583fd4/unhcr-publication-cis-conference-displacement-cis-conflicts-caucasus.html
Die Zahlen...
@Weingart: Wie konnten auf einer Fläche von 4400 Quadratkilometer , einer Bevölkerung von 140.000 Einwohner ( Stand 1989) 800 .000 Aserbaidschaner vertrieben werden? Da werden Sie mich sicher aufklären. Zur Lektüre empfehle ich Ihnen den Artikel vom israelischen Journalisten Tal Leder.
Nun Herr Scholer: Vertrieben wurden in den 90ern rund 800 000 Aserbaidschaner. Haben Sie das nicht gewusst oder verschweigen es bewusst?
Respekt für diesen Artikel.Nach Herrn Back, jetzt Herr Engel gerechter Aufschrei gegen die Völkervertreibung der Armenier , gegen die Kriegsmaschinerie der Türkei , ihrer IS Söldner und co.Kleiner Wermutstropfen die Interessen von Russland , Israel hätten vielleicht noch gründlicher beleuchtet werden.Zu diesem Thema hat der Sender NTV einen guten Bericht zum Thema Interessenkonflikt Berg-Karabach geliefert.