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ItalienPostfaschistin Meloni ist beliebt bei Südtirolern

Italien / Postfaschistin Meloni ist beliebt bei Südtirolern
Giorgia Meloni hat die Zweifel der Südtiroler zerstreut Foto: Drew Angerer (Getty Images/AFP)

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Anfangs begegneten die Südtiroler Giorgia Meloni mit Argwohn und fürchteten um ihren Autonomiestatus. Nach ihrem Wahlerfolg schlug die rechtsgerichtete Politikerin einen milderen Umgangston an. Im Oktober wird in der konservativ geprägten Region das Landesparlament gewählt.

Hubert Zucchin war geschockt. Als der Imker zu seinen Bienen im Südtiroler Dorf St. Felix zurückkam, fand er ein Chaos vor: „Der Honig und die Brut waren gefressen, und im heruntergerissenen Deckel befanden sich Zahnabdrücke – die eines Bären“, meldete das Nachrichtenportal stol.it. Seit in der norditalienischen Alpenregion wieder Bären gesichtet wurden, gehören sie zu den wichtigsten Gesprächsthemen der örtlichen Bevölkerung und zahlreicher Touristen. Erst recht, seit im April ein Bär im angrenzenden Trentino einen Jogger getötet hatte und ein anderer durch das Stadtzentrum von Arco am Gardasee spaziert war. Der braune Riese von St. Felix soll seine Plünderung gar in der Nähe eines Kindergartens betrieben haben. Er hat nicht nur die Wölfe, über deren Abschuss in Südtirol seit längerer Zeit diskutiert wird, sondern auch die politischen Streitfragen im Kontext der am 22. Oktober anstehenden Südtiroler Landtagswahl verdrängt.

Bei Letzterer stehen die Energie- und Wohnungsbaupolitik, Einwanderung und Sicherheit sowie der Bettenstopp, eine Obergrenze der Hotelbetten im Zuge des Landestourismusentwicklungskonzepts, im Vordergrund. Es sind ähnliche Themen wie in anderen europäischen Ländern, die den Südtirolern unter den Nägeln brennen. Dagegen taucht Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nicht mehr in ihrem Sorgenkatalog auf. Das sah anlässlich der italienischen Parlamentswahlen im September des vergangenen Jahres noch ganz anders aus. Damals reagierte die deutschsprachige Volksgruppe noch mit Argwohn auf den Erfolg der Kandidatin und Anführerin der postfaschistischen Rechtsaußenpartei Fratelli d’Italia. Viele befürchteten eine Einschränkung ihrer Autonomierechte. Sie erinnerten daran, dass die Faschisten nach ihrem Marsch auf Rom 1922 in Bozen mit Gewalt die Italianisierung Südtirols durchsetzen wollten.

Heftige Auseinandersetzungen zwischen der deutsch- und italienischsprachigen Volksgruppe prägten nicht nur die Zeit des Faschismus, sondern auch die Nachkriegszeit – bis Südtirol in den vergangenen Jahrzehnten zu einer wirtschaftlich prosperierenden Region und einem erfolgreichen Modell des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen wurde. Die Autonomie sei zu einem „blühenden Baum“ geworden, sagt Monica Rossini, Professorin für Autonomierecht an der Universität Bozen. Die Region – auf Italienisch Alto Adige – profitiert nicht zuletzt von diesem Status. Durch ihn darf sie einen Großteil ihrer Steuereinnahmen behalten und muss ihn nicht an Rom abgeben.

„Scheinautonomie“ und enttäuschte Hoffnungen

Südtirol war 1948 zwar eine Autonomie zugestanden worden, mit dem Autonomiestatut für „Trentino – Alto Adige“, was sich jedoch als „Scheinautonomie“ erwiesen habe, wie der Historiker Rolf Steininger von der Universität Innsbruck in seinem Buch „Südtirol. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart“ schreibt. Enttäuschte Hoffnungen über die nicht erfüllte Selbstbestimmung hätten Ende der 50er Jahre zur Verschärfung der Lage in der Region geführt. Es kam zum Massenprotest auf Schloss Sigmundskron bei Bozen im November 1957.

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschloss 1960 eine einstimmige Resolution, wonach Italien und Österreich ihren Streit um Südtirol beilegen sollten. In den 60er Jahren kam es jedoch zu zahlreichen Terroranschlägen von Separatisten. Italiens Außenminister Giuseppe Saragat und der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky einigten sich Mitte des Jahrzehnts auf ein Maßnahmenpaket, doch erst 1969 nahm die außerordentliche Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei (SVP) in Meran dieses „Paket“ und den entsprechenden „Operationskalender“ zu dessen Umsetzung an.

1972 trat das Zweite Autonomiestatut in Kraft und sicherte Südtirol einen bedeutenden Ausbau seiner Autonomie. Doch erst 1992 galt der Streit offiziell als beigelegt. „Die beiden Volksgruppen in Südtirol haben jahrzehntelang gegeneinander gelebt; auf Südtiroler Seite gab es berechtigtes Misstrauen, fühlten sich doch die Italiener – und handelten auch so – als die Herren im Haus, das aus Südtiroler Sicht nicht deren Haus war“, schreibt Rolf Steininger. „Erst in den letzten Jahren wurde das Misstrauen etwas abgebaut; heute gibt es ein geregeltes Nebeneinander, allerdings kein Miteinander.“

„Faschistische Wölfin im Schafspelz“

Meloni hatte sich mehrmals dahingehend geäußert, dass ihr die Südtiroler Sonderrolle ein Dorn im Auge sei. So empfahl sie 2015 allen Südtirolern, die sich nicht mit Italien identifizieren, nach Österreich auszuwandern. Nicht nur bei der Partei Süd-Tiroler Freiheit, die sich für die Loslösung Südtirols von Italien per Referendum einsetzt, galt sie daher als „Südtirol-Hasserin“ und als „faschistische Wölfin im Schafspelz“.

Dabei teilen beide Seiten, eine Mehrheit der Südtiroler sowie die Anhänger von Melonis Partei, ein „im Grunde ähnlich konservatives, reaktionäres Weltbild“, sagt Hannes Obermair vom Forschungsinstitut Eurac Research in Bozen. Eine eher vermittelnde Position nahm und nimmt die seit ihrer Gründung 1945 mit Abstand stärkste politische Kraft Südtirols und seit 1948 ununterbrochen im italienischen Parlament vertretene christdemokratisch orientierte SVP ein. Die Regionalpartei mit dem Edelweiß als Symbol hielt bis 2013 die absolute Mehrheit der Mandate im Landtag von Bozen, führt die Landesregierung an und stellte alle Landeshauptleute. Dominierende Tageszeitung ist die 1923 gegründete katholisch-konservative Tageszeitung Dolomiten, weit vor der italienischsprachigen Alto Adige aus demselben Verlagshaus Athesia und der Konkurrenz, der Neuen Südtiroler Tageszeitung und dem Wochenmagazin „ff“.

Bei den letzten Landtagswahlen 2018 holte die SVP 41,9 Prozent der Wählerstimmen, gefolgt vom eher liberalen Team K (15,2), vor fünf Jahren als Team Köllensperger, benannt nach dem Landtagsabgeordneten und früheren Politiker der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) Paul Köllensperger. Dahinter kamen die Lega (11,1 Prozent), die Grünen (6,8 Prozent), die rechtspopulistischen Freiheitlichen (6,2) und die STF (6,0). Alle anderen Parteien blieben weit abgeschlagen. Allerdings gibt es mehrere Flügel innerhalb der SVP, vor allem der Parteinachwuchs ist für eine deutliche Abgrenzung zu Meloni.

Rechtsruck in der Alpenregion

Inzwischen ist die Skepsis der Südtiroler gegenüber Meloni größtenteils gewichen. Nach einer Umfrage der Südtiroler Wirtschaftszeitung vom April äußerten sich 57 Prozent zufrieden mit der Regierungschefin. Auf solch hohe Werte kommt die FdI-Politikerin in keiner anderen Region Italiens. Der aus Bozen stammende Autor und Pädagoge Hans Karl Peterlini sagte in einem Interview mit der linksliberalen Südtiroler Tageszeitung: „Giorgia Meloni hat medial ein gewinnendes Erscheinungsbild und Auftreten (…) sie wirkt lässig und entspannt, überhaupt nicht abgehoben.“ Das imponiere sicher auch Menschen, die ihren politischen Kurs nicht mittragen. „Wer sich nicht vertieft mit italienischer Politik beschäftigt“, so Peterlini weiter, „kommt bei einer Umfrage leicht in Versuchung, sie cool zu finden.“ Die „dunklen Schatten“ von Melonis Politik würden aus der oberflächlichen Südtiroler Perspektive weniger gesehen. Außerdem habe sie seit ihrem Wahlsieg „Kreide gegessen“, trete konsensorientiert auf und wirke kompromissbereit. Vor allem aber hat sie bezüglich der Autonomie positive Signale gesetzt.

Auch Minister und Lega-Anführer Matteo Salvini kommt zwischen Dolomiten und Vinschgau gut an.
Auch Minister und Lega-Anführer Matteo Salvini kommt zwischen Dolomiten und Vinschgau gut an. Filippo Monteforte / AFP

Ähnlich war es bei Matteo Salvini. Auch der rechtspopulistische Lega-Politiker, stellvertretender Ministerpräsident unter Meloni, kam gut an. Bei der Südtiroler Landtagswahl 2018 verlor die Koalition aus der SVP, die bereits 2013 ihre absolute Mehrheit verloren hatte, und der eher linksliberalen Demokratischen Partei (PD) ihre Regierungsmehrheit. Danach bildete die SVP zusammen mit Salvinis Lega eine neue Koalition. Hier zeigten sich inhaltliche und ideologische Überschneidungen der beiden konservativen Parteien.

Stimmung gegen Migranten

Die Stimmung richtete sich vor allem gegen Migranten aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Damals war in den internationalen Medien bereits von einem Rechtsruck in Südtirol die Rede. Dieser verstärkte sich bei den Europawahlen 2019, als die SVP ein Bündnis mit Silvio Berlusconis Forza Italia schloss und auf 47 Prozent der Stimmen kam. Die Lega erreichte 17 Prozent. Bei der Parlamentswahl trat die SVP allein an und erreichte 41 Prozent, stärkste italienischsprachige Partei wurde die FdL mit etwa zehn Prozent.

Arno Kompatscher Foto: Dragan Tatic / Wikicommons
Arno Kompatscher Foto: Dragan Tatic / Wikicommons

Der 1995 verstorbene frühere Landtagsabgeordnete Alexander Langer, Friedens- und Umweltaktivist sowie Ikone der Südtiroler Grünen, sagte einmal, dass Südtirol auf dem rechten Auge blind und schon auf den Nationalsozialismus hereingefallen sei. Das ging sogar so weit, „dass Hitler als Rettung vor dem Faschismus galt“, so Peterlini. Dagegen sagt die Historikerin Sabina Viktoria Kofler in einem Interview mit dem Online-Magazin Barfuss: „Hitler war Südtirol einfach wurscht. Er wollte schon sehr früh auf Südtirol verzichten. Er hat sich nicht – wie viele lange Zeit behaupteten – für die Deutsch-Südtiroler:innen eingesetzt.“

Ein weiterer Grund für die hohe Zustimmung zu Meloni sei der Kuschelkurs der SVP mit der Ministerpräsidentin. „Es liegt in der Tradition der Volkspartei, zu Regierungen loyal zu sein, ohne nach links oder rechts zu schauen“, sagt der Autor. Cleverness oder Opportunismus? Peterlini weist auf die Widersprüche dieser Haltung hin: „Es kann doch nicht egal sein, ob eine Regierung Freiheitsrechte einschränkt, der Homophobie frönt, an Flüchtlingen die Menschenrechte verletzt, Hauptsache, sie rührt unsere Autonomie nicht an. So eine Haltung kann sich rächen …“

Honig um den Bart

Sehr merkwürdig ist, dass die Postfaschistin nicht nur bei SVP- und Team-K-Wählern ankommt, sondern auch bei den Südtiroler Grünen. Deren Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa kann sich das nur mit der Distanz erklären: „Meloni wird als staatstragend wahrgenommen, dieses Image hat sie konsequent aufgebaut. Wie dick das innenpolitisch kommen wird bzw. schon kommt, wird noch ausgeblendet.“ Laut jüngsten Umfragen würden die Fratelli in Südtirol auf 7,5 Prozent der Wählerstimmen bei den Landtagswahlen kommen und wären demnach stärkste italienische Partei. Führend ist weiter unangefochten die SVP mit mindestens 36,5 Prozent, das Team K kommt auf 12,5 Prozent, die Grünen hätten 10,5 Prozent.

Um eine Aufwertung der autonomen Zuständigkeiten Südtirols ging es beim Besuch von Landeshauptmann Arno Kompatscher und SVP-Obmann Philipp Achammer bei Meloni im Chigi-Palast von Rom. „Sollten die Regionen mit Normalstatut Zuständigkeiten erhalten, die über jene der Regionen mit Sonderstatut hinausgehen, sollte Südtirol diese ebenso bekommen“, sagte Kompatscher nach dem Treffen. Hat Meloni ihnen kräftig Honig um den Bart geschmiert? Jedenfalls setzte sie dem Schmusekurs zwischen Rom und Bozen kürzlich noch einen drauf, indem sie erklärte, dass Südtirol ein Beispiel dafür sei, wie Zusammenleben gelingen könne. Das Verhältnis zu Rom dürfte in der norditalienischen Region demnach bald wieder hinter die anderen Themen zurückfallen – auch hinter die Wölfe und Bären.

Die Partei mit dem Edelweiß-Logo gibt in Südtirol den politischen Ton an, hier bei den Landtagswahlen 2018<br />
Die Partei mit dem Edelweiß-Logo gibt in Südtirol den politischen Ton an, hier bei den Landtagswahlen 2018
 Foto: AFP/Joe Klamar

Standbein Tourismus

Südtirol hat dank seines Autonomiestatuts Freiheiten wie keine andere Region Italiens. Die Steuereinnahmen aus der starken Wirtschaft, deren wichtigstes Standbein der Tourismus ist, bleiben in der dreisprachigen Region (Deutsch ca. 62 Prozent, Italienisch, Ladinisch). Die Region mit dem offiziellen Namen Autonome Provinz Bozen – Südtirol, nach Einwohnern (etwa 533.000) kleiner als Luxemburg, bildet gemeinsam mit der Provinz Trient die autonome Region Trentino-Südtirol. Der in der regionalen Hauptstadt Bozen angesiedelte Landtag hat 35 Abgeordnete. Zurzeit gehören 15 der Südtiroler Volkspartei (SVP) an. Angeführt wird die Regierung vom Landeshauptmann, vergleichbar mit einem Ministerpräsidenten bzw. Premierminister.