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Nobelpreisträger StiglitzDie Dominanz der Pharma-Konzerne beenden

Nobelpreisträger Stiglitz / Die Dominanz der Pharma-Konzerne beenden
Die Monopole der Pharmakonzerne töten Menschen Foto: dpa-Zentralbi/Hans-Jürgen Wiedl

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Man stelle sich eine Welt vor, in der ein globales Netzwerk von Medizinern nach neuen Stämmen eines ansteckenden Virus sucht, ein bestehendes Rezept zur Impfung gegen das Virus regelmäßig aktualisiert und diese Informationen dann Unternehmen und Ländern weltweit zur Verfügung stellt. Man stelle sich zudem vor, diese Arbeit erfolgte ohne Berücksichtigung von Aspekten des geistigen Eigentums und ohne Pharmamonopole, die eine verzweifelte Öffentlichkeit ausnutzen, um ihre Gewinne zu maximieren.

Was wie eine utopische Fantasie klingen mag, beschreibt tatsächlich, wie der Grippeimpfstoff während der letzten 50 Jahre hergestellt wurde. Beim globalen Influenza-Überwachungssystem GISRS kommen zweimal jährlich Fachleute aus aller Welt zusammen, um die neuesten Daten zu auftretenden Grippestämmen zu diskutieren und zu entscheiden, welche Stämme in den Impfstoff jedes Jahres mit aufgenommen werden sollten. Als Netzwerk von Laboratorien in 110 Ländern, das fast ausschließlich von den Regierungen (und teilweise von Stiftungen) finanziert wird, versinnbildlicht das GISRS ein System, das Amy Kapczynski von der Yale Law School als „offene Wissenschaft“ bezeichnet hat.

Privatisierung wissenschaftlichen Gemeinguts

Weil sich das GISRS ausschließlich auf den Schutz von Menschenleben konzentriert und nicht gewinnorientiert arbeitet, ist es in einzigartiger Weise in der Lage, praktisch verwertbare Erkenntnisse zu sammeln, zu interpretieren und weiterzugeben. Die Vorteile dieses in der Vergangenheit womöglich als selbstverständlich betrachteten Ansatzes werden schnell deutlich.

Bei ihrer Reaktion auf die Pandemie hat die weltweite wissenschaftliche Gemeinschaft eine bemerkenswerte Bereitschaft gezeigt, ihr Wissen über potenzielle Therapien zu teilen, klinische Tests miteinander abzustimmen, in transparenter Weise neue Modelle zu entwickeln und die Ergebnisse unmittelbar zu veröffentlichen. In diesem neuen Klima der Zusammenarbeit vergisst man leicht, dass privatwirtschaftliche Pharmaunternehmen seit Jahrzehnten wissenschaftliches Gemeingut privatisieren und den Zugriff darauf versperren, indem sie ihre Kontrolle über lebensrettende Medikamente durch unbegründete, offensichtlich ungerechtfertigte oder sekundäre Patente ausweiten und ihren politischen Einfluss gegen die Genehmigung und Herstellung von Generika geltend machen.

Mit dem Auftreten von Covid-19 ist nun schmerzhaft offensichtlich, dass eine derartige Monopolisierung auf Kosten von Menschenleben geht. Eine Monopolkontrolle über die für Tests auf das Virus eingesetzte Technologie hat die rasche Bereitstellung von mehr Testsets behindert, genau wie 3Ms 441 Patente, die die Begriffe „Respirator“ oder „N95“ enthalten, es neuen Produzenten erschwert haben, im nötigen Umfang medizinischen Ansprüchen entsprechende Gesichtsmasken herzustellen. Noch schlimmer ist, dass in den meisten Teilen der Welt für drei der vielversprechendsten Medikamente zur Behandlung von Covid-19 – Remdesivir, Favipiravir und Lopinavir/Ritonavir – mehrere Patente in Kraft sind. Diese Patente verhindern schon jetzt einen Wettbewerb und gefährden die Bezahlbarkeit und Lieferbarkeit neuer Medikamente.

Die Wahl zwischen zwei Zukünften

Wir haben nun die Wahl zwischen zwei Zukünften. Im ersten Szenario machen wir weiter wie gehabt, verlassen uns auf die großen Pharmaunternehmen, hoffen, dass es ein potenzielles Medikament gegen Covid-19 durch die klinischen Tests schafft und dass weitere Technologien zur Erkennung, für Tests und zum Schutz vor dem Virus entwickelt werden. In dieser Zukunft geben Patente Monopolisten die Kontrolle über die meisten dieser Innovationen. Die Lieferanten legen hohe Preise fest, die bei der Krankenversorgung dann eine Rationierung erzwingen. Das kostet in Ermangelung massiver staatlicher Interventionen insbesondere in den Entwicklungsländern Menschenleben.

Dasselbe Problem wird auch für jeden potenziellen Covid-19-Impfstoff gelten. Anders als Jonas Salks Polioimpfstoff, der sofort kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, sind die meisten heute auf den Markt kommenden Impfstoffe patentiert. So kostet beispielsweise PCV13 – der Babys verabreichte aktuelle Impfstoff gegen mehrere Stämme von Lungenentzündung – hunderte von Dollars, weil er im Monopoleigentum von Pfizer steht. Und obwohl die Impfallianz Gavi in den Entwicklungsländern die Kosten des Impfstoffes teilweise subventioniert, können ihn sich viele Menschen nicht leisten. In Indien werden jährlich mehr als 100.000 vermeidbare Todesfälle von Kleinkindern durch Lungenentzündung erfasst, während der Impfstoff Pfizer pro Jahr rund fünf Milliarden Dollar an Umsatzerlösen beschert.

In der zweiten Zukunftsversion würden wir anerkennen, dass das derzeitige System – in dem private Monopole von Wissen profitieren, das weitgehend durch öffentliche Einrichtungen hervorgebracht wird – nicht sachgerecht ist. Wie Gesundheitsschützer und Wissenschaftler seit langem argumentieren, töten Monopole, indem sie Kranken den Zugriff auf lebensrettende Medikamente verwehren, die ihnen im Rahmen eines alternativen Systems (wie dem, das die jährliche Produktion des Grippeimpfstoffs unterstützt) zugänglich wären.

Patentpooling

Es gibt bereits eine gewisse Bewegung in Richtung alternativer Ansätze. So hat die Regierung von Costa Rica die WHO vor kurzem aufgefordert, einen freiwilligen Pool geistiger Eigentumsrechte für Covid-19-Medikamente einzurichten, der es mehreren Herstellern ermöglichen würde, neue Medikamente und Diagnostika zu günstigeren Preisen zu liefern.

Patentpooling ist keine neue Idee. Die Vereinten Nationen und die WHO bemühen sich im Rahmen des Patentpools für Arzneimittel seit Jahren, den Zugriff auf Medikamente gegen HIV/Aids, Hepatitis C und Tuberkulose zu steigern, und haben dieses Programm inzwischen auf Covid-19 ausgeweitet. Patentpools, Preisfonds und weitere ähnliche Ideen sind Teil einer umfassenderen Agenda zur Reform der Weise, wie lebensrettende Medikamente entwickelt und zur Verfügung gestellt werden. Ziel dabei ist es, ein monopolbestimmtes System durch eines zu ersetzen, das auf Zusammenarbeit und der Weitergabe von Wissen basiert.

Natürlich werden einige argumentieren, dass die Covid-19-Krise einzigartig sei oder dass die Drohung mit Zwangslizenzen ein ausreichendes Druckmittel darstelle, die Pharmaunternehmen zu einem angemessenen Verhalten zu bewegen. Doch ist es unklar, dass sich die großen Pharmaunternehmen – von den unmittelbar mit der Forschung befassten, nicht allein von kurzfristigen Profiten motivierten Wissenschaftlern abgesehen – ihrer Verantwortung bewusst sind. So bestand die unmittelbare Krisenreaktion des Herstellers von Remdesivir, Gilead, darin, für das Medikament den Status eines „Orphan-Arzneimittels“ zu beantragen, der dem Unternehmen eine stärkere Monopolstellung und Steuererleichterungen in vielfacher Millionenhöhe beschert hätte. (Nach einem öffentlichen Aufschrei hat das Unternehmen seinen Antrag inzwischen zurückgezogen.)

Zeit für einen neuen Ansatz

Wir haben schon viel zu lange den Mythos akzeptiert, dass die heutigen Regelungen zum geistigen Eigentum notwendig sind. Der nachweisliche Erfolg des GISRS und anderer Anwendungen der „offenen Wissenschaft“ zeigt, dass das nicht stimmt. Angesichts des Anstiegs der Covid-19-Todesfälle sollten wir die Weisheit und moralische Berechtigung eines Systems infrage stellen, das jedes Jahr stillschweigend Millionen von Menschen zu Leid und Tod verurteilt.

Es ist Zeit für einen neuen Ansatz. Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger haben sich bereits mit vielen vielversprechenden Vorschlägen zur Erzeugung gesellschaftlich nützlicher – statt lediglich gewinnträchtiger – pharmazeutischer Innovationen zu Wort gemeldet. Der Zeitpunkt, um damit anzufangen, diese Ideen in die Praxis umzusetzen, war nie günstiger.

*Joseph E. Stiglitz ist Wirtschaftsnobelpreisträger und Professor an der Columbia University sowie der Verfasser zahlreicher Bücher, darunter zuletzt People, Power, and Profits: Progressive Capitalism for an Age of Discontent. Arjun Jayadev ist Professor für Ökonomie an der Azim Premji University und leitender Ökonom am Institute for New Economic Thinking. Achal Prabhala ist Fellow der Shuttleworth Foundation und Koordinator des accessibsa-Projekts, das für einen leichteren Zugang zu Medikamenten in Indien, Brasilien und Südafrika eintritt.

Copyright: Project Syndicate, 2020.
www.project-syndicate.org

Jean-Claude
29. April 2020 - 14.35

Die Nachrichtenagentur Reuter gab diese Meldung (22.2.2011 10:44): "Supreme Court rules for vaccine makers on lawsuits". Also gibt es in den USA einen Freibrief für die Produzenten von Impfstoffen. Da könnte so mancher Hersteller diesen Freibrief ausnützen um seinen Gewinn zu maximieren oder vielleicht sogar Ihn in Versuchung bringen könnte den Patienten durch Zugabe von Substanzen Ihn zu einem treuen Kunden von Big Pharma zu machen um daraus noch mehr Profit zu machen was dieser Artikel irgendwie suggeriert. Die Gesundheit sollte eigentlich im Vordergrund stehen nicht der Profit weshalb man die Dominanz der Pharma-Konzerne beenden sollte.

Laird Glenmore
29. April 2020 - 9.45

wie dem auch sei die Pharmaunternehmen werden nie zusammen arbeiten weil dich keiner die Wurst vom Brot nehmen läßt, das ist ein Milliarden Geschäft wer will da schon teilen.

DanV
27. April 2020 - 18.52

@ J.Scholer

Es geht eben nicht um Blauäugigkeit, sondern darum, unabhängige Forschung möglich zu machen.

Und da Sie mich ansprechen, nutze ich die Gelegenheit zu einer konstruktiven Kritik: In Ihren Kommentaren gibt es oft interessante Punkte, aber Sie würfeln sie regelmässig ohne Punkt und Komma in langen verschachtelten, sehr oft unfertigen Sätzen zusammen.

Das ist schade, denn die Ansätze sind oft vielversprechend. Versuchen Sie mal, die Sätze durch Abschnitte zu trennen und in einem Satz immer nur ein Thema zu behandeln. MfG

J.Scholer
27. April 2020 - 14.50

@DanV:Vor einigen Tagen las ich in verschiedenen renommierten, ausländischen Medien , dass eine Anzahl Wissenschaftler bezweifeln ein Impfstoff gefunden würde, wohlweislich die Forschung schon lange nach einem Impfstoff für die HIV Erkrankung, wie Hepatitis C sucht, eher würde es darauf hindeuten ein Medikament auf den Markt zubringen, das die Heilung der Korona Infektion erleichtern könnte. Seien wir nicht blauäugig und vertrauen der Pharmaindustrie, auch der Politik, halten diese das Volk gerne mit Versprechungen , Durchhalteparolen in der Spur, denn verlässt das Volk die Spur könnten sich ungeahnte Entwicklungen anbahnen.

DanV
27. April 2020 - 13.50

Endlich mal eine gute Neuigkeit. Es gibt also schon ein Netzwerk, das unabhängig von Pharmafirmen zusammen arbeitet.

Das GISRS scheint unter der Schirmherrschaft der WHO zu stehen. Stimmt das?

Wieso wurde dieses Netzwerk nach Entdeckung des COVID-19 nicht sofort aktiviert? Oder wurde es das?

Mich schaudert, wenn ich Meldungen höre, dass in diesem oder jenem Land möglicherweise ein Impfstoff entdeckt wurde, denn ich gehe davon aus, dass jedes Mal ein Pharmaunternehmen dahinter steckt und dieser Stoff dann zu horrenden Preisen an die verkauft wird, die es sich leisten können.