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Österreich: FPÖ-Minister bläst nach Protest Journalisten-Boykott ab

Österreich: FPÖ-Minister bläst nach Protest Journalisten-Boykott ab

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Inserate für «brave», Info-Sperre für kritische Medien – so versuchte das FPÖ-geführte Innenministerium, österreichische Journalisten zu disziplinieren.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer

Kein Politiker ist scharf auf schlechte Presse. Um lästige Schreiberlinge zumindest ein bisschen unter Kontrolle zu halten, hat sich in Österreich ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Medien entwickelt. Dieses wirkt vor allem subtil und diskret. Das Phänomen des Sichverbündens spielt dabei ebenso eine Rolle, wie die Gestaltung der Presseförderung, die Vergabe öffentlicher Inserate oder die Übernahme von Reisekosten durch Presseabteilungen öffentlicher Stellen. Kritische Berichterstattung aus den Landesstudios des Staatsrundfunks ORF wird man so gut wie nie finden, weil jedes Studio von einem Landesdirektor geleitet wird, der dem jeweiligen Landeshauptmann genehm sein muss.

Die FPÖ pflegt aus ihrer Sicht «brave» Medien besonders: So warb Vizekanzler und Sportminister Heinz-Christian Strache kürzlich mit einem ganzseitigen Inserat im rechtsextremen Verschwörungstheorienmagazin Alles roger? für ein Sportabzeichen. Und Innenminister Herbert Kickl sucht Polizeinachwuchs ausgerechnet mit Inseraten im mehrfach wegen ausländerfeindlicher Texte vom Presserat verurteilten Wochenblick. Auch die Boulevardzeitungen werden per Einschaltungen indirekt mit Steuergeld subventioniert.

Zuckerbrot und Peitsche

Das mit viel Zuckerbrot ausgestattete System verhindert kritische Berichterstattung trotzdem nicht. Vor allem das FPÖ-geführte Innenministerium bekommt das oft zu spüren. Ressortchef Kickl steht unter Dauerbeschuss, seit eine von einem FPÖ-Politiker angeführte Polizeitruppe im Februar eine – inzwischen gerichtlich für unverhältnismäßig erklärte – Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) durchführte, um den noch von der ÖVP installierten BVT-Chef Peter Gridling auszuhebeln.

Nicht nur ehrfurchtsvolle Bewunderung erntete auch Kickls Projekt einer berittenen Polizei für Wien. Manche Journalisten erdreisteten sich gar, sich darüber lustig zu machen. Und eine gemeinsam mit dem ebenfalls FPÖ-geführten Verteidigungsministerium für viel Geld inszenierte Grenzschutzübung zur Abwehr (nicht vorhandener) Flüchtlinge fand ebenfalls nicht nur journalistischen Beifall. Für Kickls Pressesprecher Christoph Pölzl war jedenfalls jetzt die Zeit reif, um einmal die Peitsche auszupacken. Er schickte an die Kommunikationsverantwortlichen in den neun Landespolizeidirektionen eine E-Mail zum künftigen Umgang mit Medien.

«Leider wird wie eh und je seitens gewisser Medien (zum Beispiel Standard, Falter) sowie neuerdings auch seitens des Kuriers eine sehr einseitige und negative Berichterstattung über das BMI beziehungsweise die Polizei betrieben», beklagt Pölzl und gibt gleich auch Ratschläge zur Behebung der Misere: «Ansonsten erlaube ich mir vorzuschlagen, die Kommunikation mit diesen Medien auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken und ihnen nicht noch Zuckerln wie beispielsweise Exklusivbegleitungen zu ermöglichen …»

Unter «Zuckerln» sind auch spezielle Informationen zu verstehen, in deren Genuss etwa die selten durch kritische Berichterstattung über die Polizei auffallende Kronen-Zeitung besonders häufig bekommt.

Sturm der Entrüstung

Darüber hinaus hat der Kickl-Sprecher noch andere Wünsche an die Medienabteilungen der Bundesländer-Polizeien. Künftig sollen der E-Mail zufolge die Staatsbürgerschaft und der Aufenthaltsstatus von Verdächtigen in Aussendungen explizit genannt werden. Auch Sexualdelikte sollen verstärkt kommuniziert werden. Pölzl ersucht zudem, «vor allem Taten, die in der Öffentlichkeit begangen werden, besondere Modi Operandi (zum Beispiel Antanzen) aufweisen, mit erheblicher Gewalteinwirkung oder Nötigungen erfolgen oder wenn zwischen Täter und Opfer keine Verbindung besteht, auch proaktiv auszusenden».
Ganz offensichtlich geht es darum, im Sinne des rechtspopulistischen Ministers Ängste der Bevölkerung insbesondere vor Ausländern zu schüren.

Die E-Mail hatte am Dienstag einen Sturm der Entrüstung zur Folge. «Das Papier strahlt in jeder Zeile das Denken eines autoritären Staatsbewusstseins aus, das durch Ängste und Diskriminierungen noch verstärkt werden soll», schreibt Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter in einem Kommentar. Der Standard ortet einen «Frontalangriff auf die Medienfreiheit». Auch der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) protestierte gegen den «Eingriff in die Medienfreiheit».

Kurz geht auf Distanz

Der Protest hallte bis nach New York, wo Bundeskanzler Sebastian Kurz gerade an der UNO-Vollversammlung teilnimmt. Der ÖVP-Chef ging umgehend und ungewöhnlich deutlich auf Distanz zu seinem Innenminister. «Die Ausgrenzung oder der Boykott von ausgewählten Medien darf in Österreich nicht stattfinden», so Kurz, der freilich als Meister des Message Control selbst sehr selektive Medienkontakte pflegt und wohlwollenden Journalisten besonders wohlwollend entgegenkommt. Dennoch stellt Kurz klar: «Jede Einschränkung von Pressefreiheit ist nicht akzeptabel.»

Der Innenminister versuchte, angesichts des negativen Echos zu kalmieren. Sein zweiter Pressesprecher Alexander Marakovits versicherte, Kickl sei nicht Auftraggeber dieser Mitteilung, bei der es sich nur um «Anregungen und Kommentare ohne jeden Verbindlichkeits- oder gar Weisungscharakter» handle. Am Abend erklärte der Minister selbst, die Formulierungen «bezüglich des Umgangs mit ’kritischen Medien‘ finden nicht meine Zustimmung». Kickls Verhältnis zu den Medien dürfte dennoch ein zerrüttetes bleiben.