Die 28-jährige Alexandria Ocasio-Cortez hat bei den Vorwahlen zum US-Kongress einen hoch favorisierten, etablierten Kandidaten der Demokraten besiegt. Ihren Triumph hat sie praktisch ohne Spendengelder realisiert und ist jetzt eine Hoffnungsträgerin der Demokraten.
Von unserem Korrespondenten Sebastian Moll
Alexandria Ocasio-Cortez hatte nie daran gedacht, in die Politik zu gehen, „das war einfach nichts für Leute wie uns“, sagte die 28-Jährige. Ocasio-Cortez stammt aus einfachsten Verhältnissen, ihre Eltern waren Busfahrer und Putzhilfe in der Bronx. „Politik war ein Spiel für Leute mit Macht und Geld.“
Doch als Ocasio-Cortez vor zwei Jahren die Lakota-Indianer bei ihrem Kampf gegen eine Rohrleitung mitten durch ihr Reservat unterstützte, änderte sie ihre Meinung. So nahm Ocasio-Cortez, die damals putzte und in einer Bar arbeitete, um ihren Studienkredit abzuzahlen, es auf sich, zur Fürsprecherin ihrer Leute zu werden, der meist aus Einwanderern bestehenden Arbeiterschicht in den New Yorker Außenbezirken. Mit Erfolg – am Dienstag gelang ihr in der Vorwahl zum US-Kongress der sensationellste Überraschungssieg in diesem Jahr.
„Bestimmendes politisches Ereignis des Jahres“
Ocasio-Cortez stürzte in ihrem Bezirk Queens und der Bronx alleine mit Kleinspenden und der Unterstützung ihrer Mitbürger einen der mächtigsten Politiker der demokratischen Partei. Ihr Gegner, Joseph Crowley, ist seit 1999 in Washington und galt in politischen Kreisen als sicherer Anwärter auf den Posten des Oppositionsführers im Kongress. Die Bedeutung von Ocasio-Cortez’ Favoritensturz ist kaum zu überschätzen. Die Washington Post nennt den Vorwahlsieg das „bestimmende politische Ereignis des Jahres 2018“. Im Triumph von Ocasio-Cortez, so das Blatt, bekomme das neue Profil der demokratischen Partei im Kampf gegen das Trump-Regime Gestalt. Crowley gehörte zur selben demokratischen Riege wie Hillary Clinton. Ocasio-Cortez aber ist Außenseiterin. Sie ist eine Frau, sie ist Latina. Sie hat nicht nur Kontakt zur Basis, sie ist die Basis. Sie vertritt radikal progressive Positionen wie die Einführung gesetzlicher Krankenversicherung und die Abschaffung der Einwanderungspolizei ICE, die sie insgesamt für verfassungswidrig hält.
Seit der Niederlage gegen Donald Trump scheint die demokratische Partei unentschlossen, welche Richtung sie einschlagen soll. Der Sieg von Ocasio-Cortez macht die Dinge um einiges klarer. Die Basis der Partei ist der multiethnische, weibliche, progressive Flügel der Demokraten. Ocasio-Cortez konnte die Wähler mobilisieren, die sich von der Partei seit Jahrzehnten vernachlässigt fühlen. „Diese Menschen haben sich nicht von der Politik abgewandt, weil sie ungebildet oder uninformiert sind“, sagte Ocasio-Cortez. „Sie sind nur nicht wählen gegangen, weil niemand mit ihnen geredet hat.“ Ocasio-Cortez hat das. So schaffte sie es, praktisch ohne Geld die nötigen Unterschriften zu sammeln, um überhaupt auf den Wahlzettel zu kommen.
Dabei halfen ihr freilich auch ihr Jurastudium sowie ihre persönliche Erfahrung mit dem Filz der New Yorker Politik. Ocasio-Cortez kannte die Parteifreunde von Crowley an den New Yorker Gerichten, die es unter allen möglichen juristischen Vorwänden über Jahrzehnte geschafft hatten, jegliche Kandidatur eines potenten Herausforderers zu verhindern.
Es waren dieselben Leute, mit denen Ocasio-Cortez sich herumschlagen musste, nachdem ihr Vater früh und plötzlich an Krebs starb. Die noch blutjunge Studentin musste darum kämpfen, dass die Familie ihr Eigentum nicht verliert, weil kein Testament vorhanden war.
Ocasio-Cortez schaffte es, dass ihre Familie ihr Eigentum behielt. Und sie schaffte es, sich durch denselben Morast zu wühlen, um als Kandidatin des Volkes in das Rennen um den US-Kongress zu starten. Nun steht sie kurz davor, zum nationalen politischen Star aufzusteigen – als das neue, frische Gesicht des Widerstandes gegen Trump.
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