Nora Back, Präsidentin des OGBL
OGBL-Präsidentin Nora Back bedauert, dass besonders hinsichtlich der Steuerpolitik wenig Konkretes angekündigt wurde. „Wir bedauern, dass weiterhin keine Anpassung der Steuertabelle an die Inflation stattfindet“, sagt Back. „Durch die kalte Progression liegt ein Indexklau vor, der auch bei Normalverdienern mittlerweile vierstellige Zahlen erreicht.“ Der OGBL sei deswegen gespannt auf die Maßnahmen, die bei der Budgetvorstellung am Mittwoch erstmals präsentiert werden dürften. „Ich bin aber mit der Analyse von Premierminister Xavier Bettel nicht einverstanden, wenn er sagt, dass die Regierung schon viel in der Hinsicht getan hat.“
Insgesamt findet es Back bedauerlich, dass in der Rede zur Lage der Nation die Wörter „Armut“ und „Ungleichheiten“ nicht vorgekommen sind – denn die aufgezählten Maßnahmen seien bereits alle in Kraft oder gesetzlich bedingt. Von einer „Erneuerung sozialer Maßnahmen“ könne demnach nicht die Rede sein. Auch werden Ankündigungen zum Arbeitsrecht vermisst – obwohl zahlreiche Versprechen im Koalitionsabkommen stünden. Die angekündigten Maßnahmen für Wohnungsbau und Klimaschutz würden hingegen „a priori in die richtige Richtung“ gehen.
Carlo Thelen, Direktor der Handelskammer
Insgesamt sei es eine „gute Rede“ gewesen, so der Direktor der Luxemburger Handelskammer, Carlo Thelen, über die diesjährige Rede zur Lage der Nation. Premierminister Bettel habe viel über die aktuellen Prioritäten der Regierung gesagt, über den Krieg in der Ukraine, über den Kampf gegen den Klimawandel, und über die vielen unterschiedlichen Hilfen des Staates.
Thelen zufolge haben jedoch eine ganze Reihe Elemente gefehlt beziehungsweise wurden nur ganz kurz und knapp angeschnitten. „Es wurde nur wenig über die Erschaffer des Reichtums gesagt: die Betriebe“, bedauert er. Zwar sei es gut, zu wissen, dass keine Steuererhöhungen anstehen und dass Steuervergünstigungen für Investitionen von Firmen in Klimaschutz und Digitales in Aussicht gestellt werden. Trotzdem hätte er gerne mehr zu Themen wie dem Fördern des Unternehmergeistes, einem Abbau von Bürokratie oder Maßnahmen gegen Fachkräftemangel gehört. „Die Wirtschaft muss dynamisch und attraktiv bleiben“, unterstreicht er.
Ein weiteres Thema, bei dem es an Klarheit gefehlt habe, sei die künftige Entwicklung der Staatsfinanzen. „Es wurde gesagt, dass die Staatsschuld nicht aus dem Ruder laufen soll“, sagt Thelen. „Es wurde aber nicht gesagt, wie alle Anti-Krisen-Maßnahmen finanziert werden sollen.“ Vor allem für den Fall einer Rezession im kommenden Jahr fragt sich der Direktor der Handelskammer, wo die hierfür notwendigen Steuereinnahmen herkommen werden. Auch ist das Thema der Rentenmauer, die immer näher rückt, nicht angesprochen worden.
Die angekündigten Projekte im Bereich des Wohnungsbaus müsse die Handelskammer erst noch mehr im Detail analysieren. Es sei wohl richtig, dass der Staat hier mehr öffentliche Gelder investiert werden müsse, es stelle sich aber die Frage, ob es sich künftig für Privatleute überhaupt noch lohnen werde, in Wohnungen zum Vermieten zu investieren. Thelen zufolge braucht es beides.
Michel Reckinger, Präsident der UEL
Michel Reckinger bezeichnet die diesjährige Rede zur Lage der Nation als „normale Rede vor einem Wahljahr“. Es sei zu spüren, dass es die Rede einer ganzen Regierung, und nicht die eines einzelnen Politikers sei. Sie sei sehr breit gefächert gewesen. Etwas „fundamental Neues“ habe sie nicht enthalten.
Zudem habe es vielerorts an „konkreten Details“ gefehlt, bedauert der Präsident der „Union des entreprises luxembourgeoises“ (UEL). Etwa zu den künftigen Hilfen für Unternehmen hätte er gerne mehr erfahren. Enttäuscht ist er trotzdem nicht. Die Rede entspricht scheinbar den Erwartungen. „Vielleicht werden die konkreten Details im Gesetz zum Staatshaushalt 2023 nachkommen“, hofft er.
Gefehlt hat ihm zufolge trotzdem eine klare Strategie, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken. Dass keine Steuererhöhungen anstehen werden, findet er gut. Er weist aber darauf hin, dass Luxemburg in internationalen Steuerrankings aktuell weit weg von Platz eins steht. Die insgesamt hohen Staatsausgaben seien wohl berechtigt, sagt er und fügt hinzu: „Die Betriebe müssen das Geld erst verdienen. Und das geht nicht von selbst.“
Virologe Claude Muller
Der Virologe Claude Muller meint im Gespräch mit dem Tageblatt, dass die Regierung ihre Hausaufgaben gemacht hat. Sie habe sich gut auf den kommenden Winter und eine potenzielle Welle vorbereitet und sich mit Corona-Tests, Impfstoffen und dem Medikament Paxlovid eingedeckt. Zudem seien bereits erste administrative Vorbereitungen getroffen worden, um im Notfall schnell reagieren zu können. Muller glaubt jedoch, dass zumindest der öffentliche Gesundheitsaspekt der Pandemie vorüber ist. Dennoch werde Corona uns weiterhin begleiten – in Form eines saisonal auftauchenden Virus. Darum sieht der Experte unter den aktuellen Bedingungen auch keinen Grund, eine Impfpflicht einzuführen.
Muller war Teil des fünfköpfigen Expertengremiums, das der Regierung im Juli ein Gutachten zur Einführung der Impfpflicht vorlegte. Schlussendlich hatten sich die Abgeordneten gegen eine Impfpflicht entschieden: Die Regierung habe die Ausführungen der Experten richtig verstanden und auch die richtige Entscheidung getroffen – „aus meiner Sicht eine Punktlandung“, meint Muller.
Neben dem Lob verweist der Virologe aber auch auf einen Punkt, den Luxemburg verbessern könnte: die Kommunikation der Coronazahlen. Ihm geht es dabei vor allem um die Anzahl der Patienten auf den Intensivstationen: „Das ist für mich der ausschlaggebende Faktor.“ Die „Santé“ sollte ihre Zahlen diesbezüglich transparenter machen: Es sei wichtig, zwischen Hospitalisierungen aufgrund oder mit Covid-19 zu differenzieren.
Zudem müsse man bei den aktuell wieder steigenden Hospitalisierungen aufpassen, wie darüber kommuniziert wird. Wenn man von sehr niedrigen Zahlen als Vergleichswert ausgeht, wie es sie in den letzten Monaten gegeben hat, dann klingt eine 100-prozentige Steigerung dramatischer, als es tatsächlich der Fall ist.
Muller zeigt sich erfreut, dass die Impfkampagne vor allem bei den über 60-Jährigen gegriffen hat und die Impfung bei den Betroffenen auf eine hohe Akzeptanz stößt. So habe Luxemburg in dieser Alterskategorie relativ schnell eine hohe Impfquote erreicht, was dazu beigetragen habe, dass das Coronavirus inzwischen kaum noch Teil der öffentlichen Gesundheit ist.
Blanche Weber, Präsidentin des „Mouvement écologique“
Blanche Weber zeigte sich im Gespräch mit dem Tageblatt erfreut darüber, dass das Thema Klimawandel eine zentrale Rolle in Bettels Rede eingenommen hat. Allerdings seien einige Aspekte der Rede irritierend und problematisch. Bettel habe eine ganze Bandbreite an künftigen Maßnahmen aufgezählt, viele davon seien jedoch nichts Neues und bereits mehrmals versprochen worden. „Die Regierung hat ihre Aufgaben bisher nur begrenzt gemacht“, meint die Präsidentin des „Mouvement écologique“.
Auch der mehrfach erwähnte Klimabürgerrat hinterließe einen faden Beigeschmack. Bettel kündigte an, dass eine Arbeitsgruppe sich intensiv mit den Vorschlägen des Klimabürgerrats auseinandersetzen und schauen werde, wie diese umgesetzt werden können. Ohne deren Arbeit schmälern zu wollen, weist Weber darauf hin, dass es sich bei vielen ihrer Vorschläge nicht um neue Ideen handelt. Es handele sich zum Teil um Maßnahmen, die bereits seit langem von diversen Nichtregierungsorganisationen gefordert, bisher aber immer ignoriert wurden. Zudem sei „eine zentrale Frage wieder ausgeklammert“ worden: das vom Wachstum abhängige Luxemburger Sozialsystem.
Copas
Bettel versprach bei seiner Rede unter anderem, dass ältere Menschen in Alten- und Pflegeheimen in den kommenden Monaten keine Preissteigerungen wegen der hohen Energiekosten befürchten müssen, da sich der Staat an der Mehrkosten beteiligen werde. Auf Nachfrage des Tageblatt heißt es von dem Dachverband der Pflegedienstleister in Luxemburg, Copas, dass man die Aussagen des Premiers aktuell noch nicht kommentieren könne. „Uns liegt bisher kein Text vor, der die genauen Modalitäten dieser Maßnahme erklärt“, sagt eine Sprecherin. Die Sache stelle sich komplexer dar, da nicht nur die Heizkosten in die Preisberechnungen einfließen, und man könne erst eine offizielle Position beziehen, wenn die Regierung genau erkläre, wie sie sich die Sache genau vorstellt und welche Mehrkosten übernommen werden. Bisher sei man aber noch nicht in Gespräche eingebunden worden.
Sérgio Ferreira, ASTI
„Wir sind weitestgehend zufrieden mit der Rede von Bettel“, sagt Sérgio Ferreira, Sprecher der „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (ASTI) gegenüber dem Tageblatt. Es sei eine Krisenrede gewesen, in der aber vor allem soziale Fragen und das soziale Zusammenleben eine große Rolle gespielt haben. „Das ist ein wichtiger Teil unserer Demokratie.“ Insbesondere die von Bettel angesprochene politische Partizipation von Zugewanderten, beispielsweise in Form eines erweiterten Wahlrechts bei Kommunalwahlen, sei ein wichtiger Beitrag zur sozialen Kohäsion. Außerdem sei es begrüßenswert gewesen, dass auch das neue Integrationsgesetz erwähnt wurde, wenngleich man bisher, nach mehreren Jahren Diskussionen, immer noch auf einen konkreten Text warte, „damit wir darauf reagieren können“.
Die ASTI begrüßt außerdem, dass das Personal in den Sozialämtern aufgestockt werden soll. „Damit reagiert die Regierung auf eine echte Not, die wir im Alltag erleben.“ Des Weiteren lobt Ferreira die Position des Premiers gegenüber den ukrainischen und anderen Geflüchteten. Die Rede zeige, dass Luxemburg weiter offene Arme habe für Menschen, die aus ihren Herkunftsländern flüchten müssen.
Doch Ferreira sagt auch ganz klar: Das am Mittwoch vorgestellte Budget müsse auch die Versprechen widerspiegeln, die der Premier in seiner Rede gemacht habe. Man wolle sich genau ansehen, woher das Geld für die Maßnahmen komme – und wie genau die Mittel zugeteilt werden. Kurzum, es sei nun an der Regierung, „to put your money where your mouth is“. Bei schönen Worten dürfe es nicht bleiben.
Alain Maassen, Elternvereinigung
Die Diversifizierung des schulischen Angebots in Luxemburg der vergangenen Jahre sei sicherlich zu begrüßen und biete den Schülern ungemein viele Möglichkeiten, sagt Alain Maassen von der Elternvereinigung. „Aber wir haben das Gefühl, dass sich sowohl Eltern als auch Schüler so langsam in diesem Dschungel der Möglichkeiten verlieren.“ Es müsse mehr dafür gemacht werden, dass wirklich über die verschiedenen Angebote aufgeklärt wird und sich Schüler nicht einfach wegen eines Schlagworts in einer Broschüre einen Bildungsweg aussuchen, der am Ende doch nicht zu ihnen passt. „Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, dass bereits in der Grundschule ein Kurs in der Schule angeboten wird, in dem über die unterschiedlichen Möglichkeiten und Schulen gesprochen wird“. Damit könne man sicherstellen, dass der Schüler am Ende das bekommt, was er sich vorstellt.
De Bettel ass schons laang keen Liberalen méi,
just nach iwerhiefléch an konzeptlos, Mëttelstand an kleng
schaffend Leit daat ass neischt méi,soll sein Hut huelen an
nie méi kandidéieren.