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Nordkorea-Staatsbesuch: Bettel steht vor Kim Jong-uns Tür

Nordkorea-Staatsbesuch: Bettel steht vor Kim Jong-uns Tür

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Es ist ein furchterregender Ort. Hier wurde Krieg geführt, Geschichte geschrieben und Propaganda betrieben. Die demilitarisierte Zone ist ein Puffer zwischen Nord- und Südkorea, in dessen Mitte die Grenze verläuft. Am letzten Tag seiner Visite in Südkorea hat Premier Xavier Bettel dem surrealen Ort, an dem sich zwei Welten begegnen, einen Besuch abgestattet. Bettel nennt den Ort ein Relikt des Kalten Krieges. Eine Reportage.

Der Stacheldraht zieht sich kilometerlang an der zehnspurigen Autobahn entlang. Dahinter befindet sich bereits die Demilitarisierte Zone (DMZ). Eine Art Niemandsland, vier Kilometer breit und rund 250 Kilometer lang. Die eskortierte Autokolonne mit Xavier Bettel, der Luxemburger Delegation und den Journalisten nähert sich nach einer Stunde Fahrt aus Seoul ihrem Ziel. Hinter dem vier Kilometer breiten Grenzstreifen befindet sich Nordkorea. Die Straße wird schmaler. Alle paar Dutzend Meter entlang dem Stacheldraht steht ein Grenzhäuschen. Die Soldaten darin scheinen bis unter die Zähne bewaffnet zu sein. Der Konvoi hält an und passiert den Grenzübergang in die DMZ. Auf dem Parkplatz von Camp Bonifas steigen alle aus. Es ist der dritte und letzte Tag des luxemburgischen Arbeitsbesuchs in Korea.

US-Soldaten unter UN-Mandat (United Nations Command), die zur «Military Armistice Commission» (MAC) gehören, briefen den hohen Besuch aus Luxemburg über die Sicherheits- und Verhaltensregeln in der DMZ. «Der Name Demilitarisierte Zone ist eigentlich komplett irreführend. Es ist eigentlich die bestbewachte Zone der Welt», erklärt einer der Soldaten. Sich frei dort zu bewegen, wäre zudem lebensgefährlich, denn der Ort ist voll gespickt mit Minen.

Der Ort ist voll gespickt mit Minen

Weiter geht es in die gemeinsame Sicherheitszone, Joint Security Area (JSA) genannt. Dort befindet sich der Ort Panmunjom. Der Luxemburger Besuch steigt in zwei Busse der US-Armee, die von anderen Armeefahrzeugen eskortiert werden. Ein Soldat der US-Armee gibt Erklärungen. Er trägt eine sehr dunkle Sonnenbrille und sagt ohne jegliche Mimik, Gestik oder Betonung seinen Text auf. Nicht nur im hinteren Teil des Busses versteht man eigentlich nicht wirklich, was er sagt. Man darf keine Fotos schließen, sagt er. Oder hat er grade etwas anderes gesagt?

Um an die Demarkationslinie zu gelangen, die eigentliche Grenze zwischen Nord- und Südkorea, müssen die Besucher zuerst durch das «Haus der Freiheit» hindurchlaufen. Auf der anderen Seite blickt man auf ein beeindruckendes graues Gebäude im sowjetischen Stil. Es ist das Panmungak-Pavillon und steht auf nordkoreanischer Seite. Dort befindet sich der Sitz der nordkoreanischen Armee innerhalb der JSA. Etwa 80 Meter trennen das Haus der Freiheit und das Panmungak-Pavillon. Dazwischen die Grenze, die sich durch drei blaue Baracken zieht. Kaum haben Premier Bettel und die anderen luxemburgischen Besucher das Haus der Freiheit in Richtung Norden verlassen, vernimmt man Bewegung auf der nordkoreanischen Seite. Zwei Soldaten laufen die breiten Stufen des Panmungak hinunter. Einer blickt in sein Fernrohr und beäugt die Besucher auf der feindlichen Seite. Ob sie wissen, dass hier der Premier mitsamt Delegation und Presse aus Luxemburg vor ihnen steht? Nach einem ersten Blick durch das Fernrohr nähern sich die nordkoreanischen Soldaten bis kurz vor die Demarkationslinie. Auf der südlichen Seite stehen ihnen die südkoreanischen Soldaten gegenüber. Beide Seiten mustern sich feindselig. Die Besucher aus Luxemburg lassen sich nicht stören und machen Fotos. Aber nur in Richtung Norden ist erlaubt.

Hier prallen zwei Welten aufeinander. In Seoul, der Hauptstadt Südkoreas, hat man als Europäer irgendwie das Gefühl, man sei zehn Jahre in die Zukunft gereist. Und das in einem Land, das vor zwei Jahrzehnten noch ein Entwicklungsland war. Hier an der Demarkationslinie blickt man in die Vergangenheit zurück. Man hat den Eindruck, dass nördlich der Grenze die Zeit nach dem Koreakrieg Anfang der 50er Jahre stehen geblieben ist.

Zeitreise von der Zukunft in die Vergangenheit

Es ist der Ort, an dem sich vor zwei Monaten der nordkoreanische Leader Kim Jong-un und der südkoreanische Präsident Moon Jae-in über der Demarkationslinie die Hand schüttelten. Auch US-Präsident Donald Trump beharrte darauf, Panmunjom als Ort für sein Treffen mit Kim auszusuchen. Am Ende fand das Treffen vom 12. Juni zwischen dem Amerikaner und dem Nordkoreaner allerdings im neutralen Singapur statt.

Auch Premier Bettel lässt sich vor dieser historischen und surrealen Kulisse ablichten. Damit die anderen nicht zu kurz kommen, schlägt der Premier spontan vor, in die Rolle des Fotografen zu schlüpfen. Natürlich mit der professionellen Kamera des offiziellen Fotografen. Falls die Nordkoreaner inzwischen herausgefunden haben, wer der Premier in dieser Gruppe ist, werden sie nun vollends verwirrt sein.

Ein paar Minuten lang in Nordkorea

Eintritt in eine der blauen Baracken. Hier kann man für kurze Zeit ganz legal nordkoreanischen Boden betreten. Denn die Grenzlinie verläuft durch die Mitte der Baracke. Jeweils im Süden und im Norden befindet sich eine Tür. Die Baracken dienen dazu, Verhandlungen zwischen den Vereinten Nationen und der nordkoreanischen Armee oder zwischen Pjöngjang und Seoul zu führen. Aus diesem Grund verläuft die Grenze genau in der Mitte des Verhandlungstisches. So braucht niemand die Grenze zu überqueren. Die Besucher aus Luxemburg dürfen dies allerdings tun.

«Das ist verrückt», so das Statement von Xavier Bettel. Zwei südkoreanische Soldaten halten drinnen Wache. Beide haben eine Art Taekwondo-Grundstellung mit geballten Fäusten eingenommen. Auf dem Kopf tragen sie einen Helm und die Augen werden durch eine ultra-dunkle Sonnenbrille verdeckt. Regungslos und angespannt stehen sie zwischen den Besuchern aus Luxemburg. Man darf sie nicht provozieren. Denn sie wirken so, als ob sie jeden Moment mit ihrem Kampfsport loslegen könnten. Einer steht zwischen dem großen dunkelbraunen Verhandlungstisch und der Außenmauer. Der andere bewacht die Außentür nach Norden.

Inzwischen sind auch die nordkoreanischen Soldaten, die zuvor die Gruppe mit dem Fernglas beobachtet hatten, bei der Baracke angekommen. Mit ihrem Fernglas versuchen sie, einen Blick ins Innere der Baracke zu erhaschen.

Die Stimmung ist bedrohlich. Man fühlt sich beobachtet und weiß nicht, was da genau vor sich geht. Man steht auf feindlichem Gebiet, auf dem Boden von Kim Jong-uns Diktatur. In Panmunjom gibt es keine Mauer und keinen Stacheldraht. Man ist einem möglichen Übergriff aus dem Norden eigentlich schutzlos ausgesetzt. Vor dem Eintritt in die JSA wurde den Besuchern nahegelegt, dass der Norden jeden Augenblick seine Invasionsdrohungen in die Tat umsetzen kann. Der frühere US-Präsident Bill Clinton soll einmal gesagt haben, die JSA sei der «furchteinflößendste Ort der Welt».

Propaganda auf beiden Seiten

Immer wieder war es zu Zwischenfällen an diesem Ort gekommen. Zuletzt am 13. November 2017. An dem Tag wurde ein nordkoreanischer Soldat wenige Meter neben den Baracken unter dem Kugelhagel seiner Kollegen getötet, als er versuchte, über die Demarkationslinie in den Süden zu flüchten. Die Einschusslöcher an jener Stelle kann man noch sehen.

Vor allem aber ist die Demarkationslinie der Ort, an dem sowohl der Norden als auch der Süden ihr Propagandamaterial funken. Die US-Soldaten erklären, dass sich die Lage in dieser Hinsicht etwas beruhigt habe.

Auf dem Weg zum Check Point 3 fährt der Armeebus an der Brücke ohne Rückkehr vorbei. Nach dem Koreakrieg im Jahr 1953 diente die Brücke, die Nord- und Südkorea über den Fluss Sachon verbindet, dem Gefangenenaustausch. Wer die Brücke einmal überquerte, konnte nie mehr zurück.

Premier Bettel erreicht den Check Point drei. Von hier aus können die Besucher ein nordkoreanisches Dorf sehen. Niemand weiß, ob dort auch «echte» Menschen leben. Deshalb wird es auch das Phantomdorf genannt. Dort stehen einige Häuser und Gebäude. In der Mitte des Dorfes thront ein überdimensionierter Fahnenmast. Daran befestigt weht die nordkoreanische Flagge. Der Ort wird auch noch Propagandadorf genannt. Wegen der Flagge. Aber auch, damit der Besucher aus dem Süden sehen kann, dass es in Nordkorea ganz normale Häuser, Straßen und Menschen gibt. Der Fahnenmast soll 160 Meter hoch sein; die Flagge 270 Kilogramm schwer. Zum Zeitpunkt des Besuches aus Luxemburg gab es zumindest Bewegung im Dorf. Ob diese Menschen nur Geister oder Schauspieler waren und die Fassaden nur Attrappen, das wissen nur die Nordkoreaner. Oder besser gesagt: die nordkoreanischen Behörden.

Xavier Bettel gibt der Presse noch ein Interview vor der nordkoreanischen Kulisse. Seine Worte klingen ernst: «Es ist beeindruckend zu sehen, wie hier zwei Welten sich begegnen. Hier haben wir noch ein Relikt des Kalten Krieges.»