Es war dies weniger ein Film als eine von Eadweard Muybridge für die damalige Zeit sehr aufwendige Aneinanderreihung von Fotografien, die das erste Mal in der Geschichte quasi die Illusion vom bewegten Bild vortäuschten. Bis dass die Gebrüder Lumière von Muybridges Zoopraxiskop zu ihrem Kinematografen kamen, sollten also noch einige Jahre vergehen, aber grundsätzlich hat sich seit 1878 nichts am Prozedere der Illusion des bewegten Bildes verändert.
Jordan Peele fiel aber etwas ins Auge, das die Filmgeschichte scheinbar bisweilen ignorierte. Das galoppierende Pferd Sallie Gardner wurde geritten. Von einem schwarzen Reiter. Der erste Star der Filmgeschichte. Doch nicht einmal der Name dieses Reiters ist in der (Film-)Geschichte verzeichnet.
Seine (vorgeblichen) Nachfahren betreiben in Hollywood eine Pferderanch und trainieren die Huftiere für allerlei Kino- und Fernsehproduktionen. Die besten Zeiten der Pferderanch liegen aber schon lange hinter ihr. Die letzte große Nummer war der Job am „The Mummy“ Spinoff-Film „The Scorpion King“ mit Dwayne „The Rock“ Johnson.
Als Vater Otis Haywood Jr. unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt – eine kleine Penny-Münze fiel aus heiterem Himmel in Höchstgeschwindigkeit auf ihn herunter und durchbohrte ihm den Hals –, müssen die Kinder Em und OJ – Otis Junior – die Ranch übernehmen und irgendwie über Wasser halten. Die Angst, dass einem der Himmel auf den Kopf fallen könnte, wird kurze Zeit später bestätigt. Elektronische Geräte fallen aus, die Pferde benehmen sich sehr suspekt und fliehen. OJ wird den Gedanken nicht los, dass sich über ihrem kalifornischen Tal hoch oben in den Wolken etwas versteckt. Eine Untertasse vielleicht?
Auch fünf Jahre nach seinem Spielfilmdebüt „Get Out“, ist für uns kontinentaleuropäisches Kinopublikum schwer einschätzbar, wie kathartisch und notwendig dieser Film für das amerikanische Selbstverständnis gewesen ist. Über Nacht wurde Jordan Peele das Horrorzepter übergeben. Eine derart direkte (und gleichermaßen durch das Horrorgenre abstrahierte) Abhandlung vom über Jahrhunderte gepflegten systemischen Rassismus des „American way of life“ dürfte man seit Romeros „The Night of the Living Dead“ nicht mehr gesehen haben.
Peele lag mit seinem Film zwischen Robbert Eggers „The Witch“ und Ari Asters „Hereditary“ und wurde diskursiv schnell in die unsäglich prätenziöse Schublade des „elevated horror“ eingepfercht. Im Gegensatz zu seinen unfreiwilligen Schubladennachbarn, geht es Jordan Peele um sonst nicht weiter als eben to get out – es geht ihm, genauer gesagt, darum, herauszukommen aus alteingesessenen Denkweisen und gesellschaftlichen Mustern, die notgedrungen amerikanische Muster sind. Denn es ist dies die Realität, in die er selbst hineingeboren wurde.
Der viel befürchtete zweite Spielfilm eines gehypten Regisseurs kann eigentlich immer nur enttäuschen. Aber Peele versucht auch jetzt, Erwartungen zu unterwandern und dem Publikum den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. „Us“ hatte schon viele Zuschauer vor den Kopf gestoßen und auch „Nope“ macht in jener Hinsicht keine Kompromisse. Ganz im Gegenteil. Er führt diese Komponente ganz bewusst weiter aus. Was „Nope“ verhandelt, ist so schwer fassbar wie das, was die Hauptprotagonisten zu sehen meinen. Dabei ist aber genau das nicht notgedrungen ein dramaturgisches Problem oder das Zeichen eines schwach zu Blatt gebrachten Drehbuchs.
Es geht hier um Hollywood als verlängerter Arm der Kulturindustrie – wobei das Industrielle in der amerikanischen Filmfabrik durchaus nicht neu ist – und inwiefern die Dynamiken dieser Traumschmiede territorialer Natur sind. Während die Haywoods ihres historischen Vermächtnisses beraubt werden – wortwörtlich wie auch im übertragenen Sinne; siehe: der unbekannte schwarze Reiter und Star des ersten Films der Kinogeschichte –, gilt es, ein neues Vermächtnis, ein neues Territorium aufzubauen.
Debord, Adorno und der „Oprah Shot“
Und dafür geht der Blick wortwörtlich nach oben. In Richtung Firmament. Genau dort verschwimmen die Theorien Adornos mit denen von Guy Debord. OJ und seine Schwester setzen es sich in den Kopf, den ultimativen Beweis von Untertassen und außerirdischem Leben filmisch einzufangen. Nicht einfach nur verwackelte Mini-DV-Bilder, die man sonst „gewohnt“ ist, sondern den „Oprah Shot“, mit dem sehr viel Geld und Ruhm einzufangen sei.
Dass dieses Bemühen aber einen sehr hohen Preis hat, scheint den beiden kein Hindernis zu sein. „Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln. Alles, was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen“, heißt es zu Beginn von Debords „Gesellschaft des Spektakels“. Diese Vorstellung kostet bei Jordan Peele Leben. Und nicht nur wenige. Aber das Leben-Lassen im Namen des Spektakels ist nicht ein unmittelbares.
„Nope“ strotzt nur so vor Ideen – ob nun visueller oder dramaturgischer Natur. Und wie schon angedeutet, ist diese Kombination von allem schwer fassbar. Das erste Mal in Peeles Regiekarriere (gerade dann, als ihm ein verhältnismäßig großes Budget in die Hände gedrückt wurde) wirkt es, als ob das Diskurspotenzial überhand genommen hätte. Verschiedenes mäandert ziellos durchs Geschehen der Peeleschen Westernlandschaft. Hoyte van Hoytemas Kameraarbeit ist dagegen von einer Präzision … – als versuche er, Peeles Überfluss wieder in eine Gerade zu rücken.
Aber kann man es Peele übelnehmen, dass er einen Film abliefert, den man in alle Himmelrichtungen lesen kann? Was wäre die Alternative? Tatsächlicher „elevated horror“ wie „Midsommar“, in dem man 2 1/2 Stunden einem Beziehungsbruch zuschaut, weil der Regisseur eine Trennung verarbeiten wollte, oder „The Northman“ von Eggers, der hinter seinen spektakulären Vistas auch nur eine 08/15-Vergeltungsgeschichte anzubieten hat? Die Entscheidung ist einfach: „Nope“? Yep.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können