„His House“Nicht Herr im eigenen Haus – Netflix-Horrorfilm erzählt die Geschichte von zwei Geflüchteten

„His House“ / Nicht Herr im eigenen Haus – Netflix-Horrorfilm erzählt die Geschichte von zwei Geflüchteten
Sope Dirisu (l.) und Wunmi Mosaku (r.) überzeugen beide in ihren Rollen Foto: Netflix

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Spannend und gesellschaftskritisch ist der auf Netflix verfügbare Gruselfilm „His House“. Die beiden Hauptfiguren Bol und Rial Majur sind Geflüchtete aus dem Südsudan. In England möchten sie ein neues Leben beginnen, doch in dem Haus, das ihnen als Unterkunft dient, treffen sie auf das Grauen.

Bol (Sope Dirisu) und Rial Majur (Wunmi Mosaku) wollen nach ihrer Flucht aus dem Südsudan ein neues Leben in England beginnen. „Wir sind wiedergeboren“, sagt Rial zu Bol, als sie am ersten Abend ihres Einzugs in das Haus, das ihnen von den Behörden zur Verfügung gestellt wird, gemeinsam auf einer Decke liegen und Musik hören. Ein Neuanfang also, nach all dem Grauen, das die beiden Geflüchteten während des Bürgerkriegs in ihrem Herkunftsland miterlebt haben. Bol und Rial sind mehr als bereit, die Chance beim Schopf zu ergreifen und in das neue Leben einzutauchen, das sich ihnen hier präsentiert. „Wir sind gute Leute“, beteuert Bol bei der Anhörung vor dem apathisch wirkenden Ausschuss, der über ihren Asylstatus entscheiden soll. Und tatsächlich: Daran, dass beide gute Menschen sind, lässt der Film keinen Zweifel. Doch leider verhindert das nicht, dass ihre Pläne zum Aufbau einer neuen Existenz in Großbritannien alsbald von einer finsteren Macht durchkreuzt zu werden drohen.

Die Hoffnung auf Umkehr und ein Leben in Frieden riskiert, sich für immer zu verabschieden, als sich die Eheleute nach und nach entfremden und sich – parallel dazu – der Schrecken in ihrem neuen Zuhause ausbreitet. In einer Zeit, in der zahllose Menschen vor Terror, Hunger und Elend flüchten, rückt „His House“ die Frage in den Vordergrund, welche Anteile von uns wir bewahren können, oder gar sollen, und welche wir zurücklassen müssen, um Traumata zu überwinden und uns in einer neuen Umgebung einzurichten. Dabei verfällt der Film von Remi Weekes keineswegs dem Narrativ des „American Dream“, der ein sozialpolitisches Vakuum fingiert, sondern fragt danach, welche ganz reellen Möglichkeiten wir besitzen, wenn wir als Geschundene in ein fremdes Umfeld hineingeworfen werden, das uns systematisch Hürden in den Weg stellt. Weniger zählt letztlich der eigene gute Wille als gesellschaftliche Strukturen, die uns entweder Türen öffnen oder sie vor unserer Nase zuknallen. So nimmt sich „His House“ nach dem Horror-Erfolgsstreifen „Get out“ von Jordan Peele wieder Themen wie Rassismus und Diskriminierung an, setzt jedoch ganz eigene, originelle Akzente.

Toleriert – gerade mal so

Man verfolgt im Film die ersten zögerlichen Schritte von Bol und Rial in der kalt-trüben britischen Fremde, als sie versuchen, sich an dem neuen Ort zurechtzufinden. Die Kontaktaufnahme zu ihren Mitmenschen verläuft, weil von Unsicherheit durchdrungen, wie in einer schwankenden Tastbewegung – dabei stoßen die beiden auf wohlwollend-distanzierten Zuspruch wie auch auf passiven oder sogar aktiven Widerstand. Mark (Matt Smith), der als Sozialarbeiter für die Majurs zuständig ist, zeigt ihnen das Haus, in dem sie unterkommen sollen, und gibt ihnen im Anschluss die aus seiner Sicht ermutigenden Worte mit auf den Weg: „Ich glaube, ihr werdet zurechtkommen, solange ihr es schafft, euch anzupassen.“ Daran, dass Neuankömmlinge in dieser selbst von Armut geprägten Gegend nur knapp toleriert werden, lässt er keinen Zweifel.

Mark ist eine der Figuren, die dem geflüchteten Pärchen noch mit am verständnisvollsten begegnen. Umso erschütternder scheint es, dass auch er seine punktuelle, auf Sozialneid basierende Abneigung gegenüber ihnen nicht verhehlen kann. So sei ihr „trautes Heim“ größer als sein eigenes Zuhause – eine Aussage, die einem Schauer über den Rücken jagt, hätte doch die vor Dreck strotzende Unterkunft der Majurs den Namen „Bruchbude“ hinlänglich verdient. Eindrucksvoll wird so gezeigt, dass Ausländerfeindlichkeit oder Ressentiments gegenüber verschiedenen Personengruppen kein individuelles, sondern ein systemisches Problem sind. Der bittere Kampf um die knappen Ressourcen – um die letzten Krümel des großen Kapital-Kuchens – erwächst in abgehängten Regionen aus den Lebensumständen der dort lebenden Menschen.

Wie eine unheimliche Traumsequenz wirkt wiederum die Szene, in der sich Rial in der Nachbarschaft verläuft. Mehr und mehr verliert die Südsudanerin die Orientierung im Gartenmauerlabyrinth einer nahegelegenen Wohnsiedlung, bis sie schließlich auf einem trübselig wirkenden Platz auf drei junge Männer mit schwarzer Hautfarbe trifft. Als sie die Gruppe dann in ihrer Muttersprache anspricht, erntet sie – neben unfreundlichen Bemerkungen – hämisches Gelächter. „Geh zurück, nach Afrika, Mann“, wird ihr nachgerufen, als sie sich von ihnen abwendet. Hier erreicht die Entwurzelung des Paars ihren unrühmlichen Höhepunkt: Auch „People of Colour“ – traditionell als homogene Gruppe wahrgenommen und als solche unterdrückt – beteiligen sich hier an der Errichtung sozialer Demarkationslinien entlang der hier ideologisch aufgeladenen Begriffe „vertraut“ und „fremd“, „wir“ und „sie“.

Zwischen Anpassung und Rückbesinnung

Interessant ist, dass das Ehepaar von einem bösartigen Geschöpf aus der Dinka-Folklore* – ein Symbol ihrer traumatischen Vergangenheit – verfolgt wird. Damit sie das Monster besiegen können, müssen Bol und Rial nicht nur wieder zueinander finden, sondern auch das Schuldgefühl, das sie wegen eines Vorfalls auf ihrer höllischen Reise nach Europa mit sich tragen, bewältigen. Der Konflikt, den die beiden verhandeln müssen, wird in den letzten, ein wenig plakativen Sätzen des Films subsumiert. So sagt Bol: „Deine Geister folgen dir, sie gehen nie, sie leben bei dir. Ich habe sie hereingebeten, erst danach konnte ich zu mir finden.“ In diesem Sinne verdeutlicht die Geschichte von Bol und Rial, dass dynamische Integration und autoritäre Assimilation zwei äußerst verschiedene Dinge sind. Denn wo erstere den Raum lässt für das Achten der kulturellen Herkunft, verlangt zweitere die geistige Amputation von allem, was mit ihr zu tun hat.

Dass sich gerade der Horrorfilm für die Auseinandersetzung mit diesen Themen eignet, liegt in der Natur des Genres: Hier geht es um die schonungslose Konfrontation mit dem Dunklen, dem Schaurigen, den eigenen tief verborgenen Ängsten – und in letzter Konsequenz um alles einem Zugehörige, das man, als das „Andere“ dämonisiert, ins Schattenreich der schauderhaft-scheußlichen Ungeheuer verbannt hat. Der Abstieg in die unterweltliche Sphäre der Gespenster dient dazu, sich das, was man zuvor von sich gewiesen hat, neu anzueignen. Dabei sieht man, dass die eigene Furcht vielleicht ganz unbegründet war: Denn entweder die Geister, vor denen man sich grauste, existieren gar nicht, oder man kann, bei Lichte besehen, gut mit ihnen leben. Das ist die Botschaft von „His House“, einem Film, in dem – sinngemäß nach Freud – ein Paar lernt, Herr zu werden im eigenen, fremden Haus.


*Die Dinka sind eine afrikanische Ethnie im Südsudan. Zu ihr gehören die Hauptfiguren von „His House“.