Vor fünf Jahren kippte die CSV-LSAP-Regierung. Für die CSV waren die Schuldigen schnell ausgemacht: «Alle, außer wir!» Kurz vor den bevorstehenden Wahlen im Herbst scheint sich dieses Narrativ definitiv durchzusetzen: Es ging damals lediglich um Machtpolitik – also darum, die CSV zu stürzen. Aber stimmt das? War da nicht noch mehr? Ein Gegenentwurf.
Juli 2013: Kurz vor 21 Uhr tritt Laurent Mosar (CSV) ans Rednerpult. Der Chamberpräsident atmet tief durch, blickt in den Plenarsaal. Seit fast sieben Stunden tagt das Parlament nun ununterbrochen. Die Oppositionsparteien haben gemeinsam mit der LSAP die Regierung bis aufs Äußerste attackiert – oder das, was noch von der Regierung übrig geblieben ist. Jean-Claude Juncker hat sich während zwei Stunden versucht, zu rechtfertigen, der Premier hätte auch länger geredet, gefilibustert, wenn man ihn gelassen hätte. Mosar ist müde, die Minister sind müde, die Parlamentarier sind müde. Also macht der Chamberpräsident es kurz: «Nach den Ereignissen der vergangenen Wochen, Tage, Stunden erlaube ich mir, jedem Einzelnen geruhsame Tage in den nächsten Wochen zu wünschen. Ich bedanke mich und damit ist die Sitzung aufgehoben.» Sommerferien. Ende der Geschichte.
Doch nichts war klar. Überhaupt nichts war klar. Die Chamber hatte versäumt, über die Misstrauensanträge abzustimmen. Sie hatte versäumt, der Regierung das Vertrauen zu entziehen. Sie hatte geschwiegen. Und auch die Regierung war nicht zurückgetreten. Juncker hatte lediglich angekündigt, er würde dem Großherzog Neuwahlen vorschlagen. Einfach so, ohne Rücktritt, ohne Verantwortung zu übernehmen, ohne demokratische Legitimation. Der Premier hat die Volksvertreter schlichtweg übergangen. Bis heute ist nicht klar, warum Laurent Mosar die Anträge nicht zur Abstimmung brachte. Und bis heute ist auch nicht klar, was Jean-Claude Juncker, der Chef der Exekutive, mit Laurent Mosar, dem Chef der Legislative, in einer Ecke des Plenarsaals besprochen hat, kurz bevor die Parlamentarier in die Ferien geschickt wurden.
Aber klar ist: Der 10. Juli 2013 sollte eine parlamentarische Sternstunde werden. Der Tag wurde jedoch zum Debakel. Es war der Höhepunkt der institutionellen Krise Luxemburgs unter Premier Jean-Claude Juncker.
Verhängnisvolle Affären
Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort liegt irgendwo zwischen dem institutionellen Pragmatismus in Luxemburg und Jean-Claude Junckers Nimbus. Im Zweifel entschied der Regierungschef im Alleingang bar jeder Verfassungsgrundlage. Und im Zweifel wurden in Luxemburg Arrangements getroffen – nach dem Motto: so institutionell wie nötig, so informell wie möglich. Dieser Zustand führte in den Jahren zwischen 2009 und 2013 zu einer Kumulation von Affären, die den Rechtsstaat ins Wanken brachten. Affäre Nummer eins: Wickringen-Liwingen. Seit 2009 schwelte dieser Konflikt, 2011 wurde er öffentlich, 2012 brachte er die Regierung Juncker-Asselborn II fast zum Platzen. Der Hintergrund waren zwei unterschiedliche Bauprojekte. Der Unternehmer Joël Rollinger wollte in Wickringen ein Shoppingcenter bauen und erhielt dafür eine Genehmigung. Wenig später gab die Regierung bekannt, ein nationales Fußballstadion in Liwingen errichten zu wollen – gemeinsam mit dem Unternehmer Flavio Becca. Damit sich das Projekt, eine sogenannte Public-private-Partnership, auch finanziell auszahlen konnte, intendierten Regierung und Becca, ein Einkaufszentrum zu bauen. Das Problem: Nur wenige Kilometer entfernt sollte Rollingers Shoppingcenter entstehen.
Also intervenierten die Minister Jean-Marie Halsdorf (CSV) und Jeannot Krecké (LSAP) sowie Premier Juncker zugunsten von Becca. Rollinger sollte überredet werden, von seinem bereits genehmigten Projekt abzusehen und mit in das Stadionprojekt in Liwingen einzusteigen. Im Juni 2012 erhoben die beiden Abgeordneten François Bausch («déi gréng») und Claude Meisch (DP) schließlich schwere Vorwürfe. Sie sprachen von «Korruption» und «Erpressung». Man habe zunächst versucht, Rollingers Projekt nachträglich zu kippen, dann sollte ihm ein Angebot gemacht werden, was er nicht ablehnen konnte. Halsdorf soll einen besonderen Zinssatz für Rollinger direkt bei Sparkassen-Direktor Jean-Claude Finck ausgehandelt und Rollinger verbal gedroht haben, während die Regierung den Transfer der Geschäftsflächen von Wickringen nach Liwingen vorbei an allen administrativen Prozeduren beschlossen haben soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, konnte jedoch nicht ausreichend Beweise finden.
Für die CSV-LSAP-Regierung war diese Affäre eine Härteprobe. Sie hielt aber zusammen, da beide Parteien in einem Boot saßen. Doch dieses begann, zu bröckeln.
Luc Frieden
Ein weiterer Schritt in Richtung Koalitionsbruch waren die Affären um Luc Frieden. Zum einen die Cargolux-Geschichte. Frieden verkaufte 2012 im Alleingang ein Drittel der Cargolux-Aktien an Qatar Airways. Ohne Absprache mit dem Verwaltungsrat und den anderen Aktionären. Als der unorthodoxe Deal publik wird, muss sich Frieden vor dem Parlament verantworten. Im November desselben Jahres zieht sich Qatar Airways wieder aus dem Luxemburger Flugunternehmen zurück. Nur einen Monat später wird Friedens Haushaltsentwurf von Juncker und Jean Asselborn (LSAP) desavouiert.
Eine weitere Affäre um Frieden leitet Generalstaatsanwalt Robert Biever ein. Er beschuldigte den CSV-Minister der Einflussnahme auf die Justiz. Frieden habe in seiner Zeit als Justiz- und Polizeiminister Druck auf Biever und auf die Untersuchungsrichterin der «Bommeleeër»-Affäre Doris Woltz ausgeübt. Er soll damals über die Ermittlungen «nicht amüsiert» gewesen sein und unmissverständlich gefragt haben: «Habt ihr sonst nichts zu tun?»
Die LSAP war nach diesen Vorwürfen eigentlich gewillt, aus der Regierung zu treten, wie es aus Kreisen der LSAP-Spitze heißt. Am 13. Juni überbrachten Alex Bodry und Jean Asselborn Juncker die unfrohe Botschaft. Der Premier soll gefasst reagiert haben. Doch die Pressekonferenz von Robert Biever am selben Morgen kippte diese Entscheidung. Biever beteuert bis heute, dass er Frieden nicht entlasten wollte. Der Generalstaatsanwalt wollte lediglich betonen, dass Friedens versuchte Einflussnahme die Staatsanwaltschaft nicht beeindruckt habe. Aber seine Sätze werden von der Presse als Rückzieher gedeutet. Die Stimmung dreht sich, die LSAP auch.
Der Bruch
Warum Biever eine Pressekonferenz einberufen hat? Wegen der letzten und entscheidenden Affäre: der SREL-Affäre. Im November 2012 war bekannt geworden, dass der Geheimdienstchef Marco Mille ein Gespräch mit Jean-Claude Juncker mittels präparierter Armbanduhr aufgezeichnet hatte. Das Gespräch, in dem es um den Großherzog, den «Bommeleeër» und eine chiffrierte CD ging, gelang an die Presse und in die Öffentlichkeit. Wenig später beschloss das Parlament auf Initiative der Oppositionsparteien, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, um die Ungereimtheiten des Geheimdienstes aufzudecken. Und was dieser nach und nach ans Licht brachte, war ungeheuerlich. Der SREL hat ein Eigenleben geführt: illegale Abhör- und Beschattungsaktionen, Geldtransfers sowie Autoverkäufe. Zudem das gezielte Erstellen von Dossiers. Eines davon bezog sich auf den Generalstaatsanwalt Robert Biever, der in der «Bommeleeër»-Affäre ermittelte: Er sollte durch Pädophilie-Vorwürfe diskreditiert werden. Und so war Bievers Pressekonferenz am 13. Juni der Versuch eines Befreiungsschlags. Er wollte seine Ehre und nicht Frieden retten.
Der Untersuchungsausschuss konnte schließlich nachweisen, dass der Premier für sämtliche Verfehlungen des Geheimdienstes verantwortlich war. Denn Juncker wusste von vielen Rechtsbrüchen, wie er mittels «Salami-Taktik» – also scheibchenweise – dem Ausschuss gestand. Zudem untersteht der Geheimdienst dem Staatsminister – er ist also de jure immer verantwortlich. Deshalb das Fazit des Berichts: «La responsabilité politique du ministre d’Etat est engagée.» Und so kam es zur Sitzung am 10. Juli vor fünf Jahren, bei der das Parlament eigentlich der Regierung die Legitimation entziehen wollte. Dazu kam es nicht, es kam dennoch zu Neuwahlen.
Die CSV sprach damals von einem abgekarteten Spiel, von einem Kuhhandel und sah sich in der Opferrolle. Es sei einzig und alleine darum gegangen, sie zu stürzen. Und es stimmt: In allen politischen Kreisen war die Erkenntnis gewachsen, dass eine Regierung ohne CSV anzustreben sei. Eine Opposition, die nur mahnt, aber nicht zupackt, die lediglich bellt, aber nicht zubeißt, ist jedoch eine Farce. Vereinfacht ausgedrückt: In der Politik geht es immer auch um Politik. Doch eben auch um mehr: um Rechtstaatlichkeit und demokratische Prinzipien. Die Affären sind keine Erfindung von «Gambia». Sie sind Grundlage für den Bruch von 2013. Für den Neuanfang, die Stunde null.
Diese Wachablösung haben Juncker und seine CSV bis auf den heutigen Tag noch nicht überwunden!
Bravo.
Der Pfad von Machtausübung zum Machtmissbrauch scheint sehr schmal zu sein. Wenn der Souverän(das Volk resp. das Parlament) dabei hemmungslos umgangen wird und sogar die "unabhängige,unantastbare" Jurisdiktion angegriffen wird,befinden wir uns im Mafiamilieu. Aber die Christen vergeben ja sehr schnell ,so wie es in ihrer Fibel empfohlen wird , und dann wird brav weiter CSV gewählt. Diesmal ist die Rechnung nicht aufgegangen und vielleicht wiederholt sich das Ganze im Oktober.