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SchwangerschaftsabbruchNeue Debatte in Großbritannien: 44-jährige Mutter zu Gefängnisstrafe verurteilt

Schwangerschaftsabbruch / Neue Debatte in Großbritannien: 44-jährige Mutter zu Gefängnisstrafe verurteilt
Schwangerschaftstests: Ein besonderer Fall hat in Großbritannien zu neuen Diskusionen über Abtreibung geführt Foto: AFP/Jim Watson

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Tragisch sei der Fall, tragisch und sehr selten – darin immerhin sind sich alle einig: Zu Wochenbeginn hat das Krongericht im mittelenglischen Stoke eine 44-jährigen Frau wegen ihrer verspäteten Abtreibung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Heftig diskutiert wird nun auf der Insel darüber, ob sich aus dem ungewöhnlichen Fall Konsequenzen für die Strafverfolgungsbehörden ergeben, sogar das Parlament aktiv werden soll. Dieser Meinung ist die konservative Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses im Unterhaus: „Die Gesetzgebung ist veraltet und muss neu bedacht werden“, argumentiert Caroline Nokes.

Die derzeitige Situation in Großbritannien ist mit vielen Industriestaaten vergleichbar: Die Beendigung einer Schwangerschaft bleibt strafbewehrt, ist aber in der ersten Phase unter bestimmten Bedingungen praktisch freigegeben. Auf der Insel können Frauen nach ärztlicher Beratung bis zur 20. Woche abtreiben, ohne dass es dazu einer besonderen Indikation bedarf. Bei Gefahr für Leib und Leben der Mutter oder schweren Schädigungen des Kindes sind Abtreibungen auch später noch möglich. Der Statistik zufolge beendet durchschnittlich jede dritte Britin einmal im Leben eine Schwangerschaft vorzeitig.

Der jetzt in Stoke verhandelte Fall fiel in die allererste Phase des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020. Dem Urteil von Richter Edward Pepperall zufolge hatte die damals 41-jährige Carla F. erstmals im Dezember 2019 Anzeichen einer Schwangerschaft bemerkt. Weil ihr die Angelegenheit „peinlich“ war, suchte die Mutter von drei Kindern keine ärztliche Hilfe. Der Lockdown zwang sie dazu, wieder mit ihrem früheren Partner zusammenzuziehen; das ungeborene Kind stammte von einem anderen Mann.

In früherer Zeit basierte das Abtreibungsgesetz auf strafrechtlicher Verfolgung. Heutzutage sollten gesundheitliche Überlegungen im Vordergrund stehen.

Stella Creasy, Labour-Politikerin

Unter dem Druck der medizinischen Praktiker änderte der damalige Gesundheitsminister Matthew Hancock Ende März die Richtlinien für Abtreibungen: Erstmals war es nun möglich, die entsprechenden Medikamente nach einer telefonischen Beratung per Post zu erhalten anstatt wie bis dahin ausschließlich in einer Ambulanz und nach vorherigem persönlichem Gespräch. Carla F. ließ weitere fünf Wochen verstreichen, ehe sie bei der Hilfsorganisation BPAS anrief. Ihrer Gesprächspartnerin machte sie am Telefon weis, sie befinde sich in der siebten Woche der Schwangerschaft. Die daraufhin verschickten Medikamente führten wenige Tage später zu einer Fehlgeburt, das Kind kam tot zur Welt. Der Obduktion zufolge war die Schwangerschaft im achten Monat; das Mädchen namens Lily wäre also überlebensfähig gewesen.

Überparteiliche Allianz für Reform

Die Angeklagte habe sich in „emotionalem Aufruhr“ befunden, heute sei sie „von Schuldgefühlen geplagt“, räumte Richter Pepperall ein. Ihm bleibe aber nichts anderes übrig als eine Gefängnisstrafe zu verhängen, zumal Carla F. zunächst auf „nicht schuldig“ plädiert hatte. Eine Reihe von Medizinverbänden, darunter das Königliche Kollegium der Gynäkologen und Geburtshelfer, hatte ans Gericht appelliert, die etwaige Strafe wenigstens zur Bewährung auszusetzen. Diese Bitte sei „unangemessen“, fand der Richter: „Es ist die Rolle des Parlaments, nicht der Gerichte, die Gesetze zu ändern.“

Nun formiert sich eine überparteiliche Allianz von Abgeordneten, die eine Abtreibungsreform für England und Wales anstreben. Erstes Ziel müsse ein Moratorium der Strafverfolgung gegen Spät-Abtreibende sein, fordert die Labour-Vorsitzende des Innen-Ausschusses, Diana Johnson: „Ausgerechnet in Nordirland gibt es das schon seit 2019.“ Im britischen Teil der grünen Insel musste das Londoner Unterhaus damals die Gesetzgebung liberalisieren, weil sich die Politiker vor Ort einer Reform verweigerten.

Johnsons Labour-Kollegin Stella Creasy geht weiter und fordert eine Neufassung der beiden Gesetze von 1861 und 1967, die der Verurteilung als Grundlage dienten. „In früherer Zeit basierte das Abtreibungsgesetz auf strafrechtlicher Verfolgung. Heutzutage sollten gesundheitliche Überlegungen im Vordergrund stehen.“