Das Corona-Tagebuch (2)Montag, 16. März: Die Absage

Das Corona-Tagebuch (2) / Montag, 16. März: Die Absage
Kein Zuckerschlecken: Radtraining im Winter Foto: Editpress/Philip Michel

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Das Coronavirus beherrscht das Leben in Luxemburg. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Eigentlich  genau der richtige Zeitpunkt, um seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben. Was fällt uns auf, was empfinden wir und was erwarten wir? Das Corona-Tagebuch des Tageblatt gibt Einblick in diese Gedankenwelt.

Montagmorgen. Hallo Tagebuch. Du wirst dich wundern, dass ich mit meinen nun bald 50 Jahren den ersten Eintrag meines Lebens mache. Doch das hier muss ich einfach loswerden. Heute sollte mein einwöchiger Urlaub beginnen. Und damit die letzte Phase der Vorbereitung auf die „Ronde van Vlaanderen“, meine große  Herausforderung im Jahr des runden Geburtstags. 230 km auf dem Rennrad, auf der gleichen Strecke, die die Profis Tags drauf zu bewältigen haben. Mit all den berühmt-berüchtigten Kopfsteinpflaster-Anstiegen zum Schluss. Mit der rund 10-stündigen Nonstop-Quälerei im Sattel wollte ich mir beweisen, dass 50 nur eine x-beliebige Zahl ist und ich noch lange nicht zum alten Eisen gehöre.    

Tja, liebes Tagebuch. Allein die Tatsache, dass ich dir jetzt schreibe, zeigt, dass etwas dazwischengekommen ist. Und das ist dieses verfluchte Virus. 16.000 Hobby-Radler sollten bei „We Ride Flanders“ dabei sein. Zu viel potenzielle Opfer für Corona … Und so kam am letzten Donnerstag die Absage des Veranstalters.

Es ist schwierig, meine Gefühlslage zum Moment der Absage zu beschreiben. Der Winter war lang, nass und kalt. Mindestens einmal pro Woche musste ich laut Trainingsplan eine längere Ausfahrt unter freiem Himmel starten. Versteh mich nicht falsch, liebes Tagebuch, Rennradfahren ist die schönste Sportart der Welt. Aber bei Regen und maximal 5° Celsius stundenlang auf Luxemburgs überfüllten Straßen unterwegs zu sein, macht definitiv keinen Spaß. Auch gibt es ultimativ schönere Dinge, als im stickigen Keller Intervalltraining auf den Rollen abzuspulen. Und es ist auch viel netter, abends mit seinen Liebsten das ein oder andere Glas Wein zu trinken, anstelle an Mineralwasser zu nippen.

Die Enttäuschung über die Absage hielt sich dennoch in Grenzen. Warum? Weil geteiltes Leid halbes Leid ist. Wir sollten zu zehnt an den Start der Ronde gehen. Alle hatten im Winter kräftig Kilometer abgespult, um Anfang April fit genug für 200 Kilometer auf dem Rad zu sein. Und sie alle machten trotz aller Enttäuschung den Donnerstag zu einem Feiertag. Sie hatten denselben Reflex: Ab in den Weinkeller, und den Frust mit dem besten verfügbaren Stoff runterspülen.      

Der ganz normale Wahnsinn: Anziehen für eine Ausfahrt im Winter
Der ganz normale Wahnsinn: Anziehen für eine Ausfahrt im Winter Foto: Editpress/Philip Michel

Je länger der Abend dauerte, desto lustiger wurde also der Austausch in unserer WhatsApp-Gruppe. Am Samstag sollte dann eigentlich die (inzwischen überflüssige) Generalprobe über 160 Kilometer stattfinden. Von uns zehn rafften sich zwei auf und kletterten aufs Rad. Sie schafften 100 km. Zu mehr reichte die Motivation wohl nicht, Corona sei Dank.

Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Unser Rennen soll im Laufe des Jahres nachgeholt werden, wenn dieses idiotische Virus endlich wieder weg ist. Das Training geht also weiter. Nur jetzt bei viel besserem Wetter und auf schön leer gefegten Straßen. Ist doch auch was, oder? Und weißt du, was das Beste ist, liebes Tagebuch? Nicht etwa, dass ich so fit respektive dünn und wahrscheinlich auch gesund bin wie seit 20 Jahren nicht mehr. Nein, das Beste ist, dass der Weinkeller nach diesem Winter noch immer gut gefüllt ist. Da bleibt man nun doch ganz gerne zu Hause. In diesem Sinne. Gute Nacht, liebes Tagebuch.       

Das Tageblatt-Tagebuch

Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit Montag (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.

Nicht schön, aber warm: Bereit für eine Wintertour
Nicht schön, aber warm: Bereit für eine Wintertour Foto: Editpress/Philip Michel