Mit nichts als ihrem Rosenkranz und ihren zwei Papageien ist Sawsan Karapetian aus Rakka geflohen. Die armenische Christin hatte dort mit ihrer Familie drei Jahre unter der Herrschaft des Islamischen Staats (IS) ausgehalten, doch die jüngsten Kämpfe um die Stadt waren zu viel für sie. In der Nacht zu Dienstag floh die 45-Jährige mit ihrem Mann und fünf Angehörigen zu Fuß aus ihrer Heimatstadt in ein Gebiet unter Kontrolle einer christlichen Miliz. «Ich wollte nicht gehen, doch das Bombardement war so stark, dass wir fliehen mussten», sagt Karapetian, die noch immer den schwarzen Schleier trägt, den alle Frauen in der syrischen Hauptstadt der Dschihadistenmiliz tragen müssen.
Der Artilleriebeschuss, die Heckenschützen und die ständigen Luftangriffe der internationalen Anti-IS-Koalition hätten zuletzt das Leben unerträglich gemacht. «Während der Luftangriffe beteten wir zu Gott, dass es aufhört», sagt sie, während sie ihren Rosenkranz durch die Finger gleiten lässt. «Die letzten Tage waren die Bombardements unerträglich. Ich fürchtete um meinen Mann und meine Familie.» Wie die Tausenden anderen Flüchtlinge aus Rakka konnte sie praktisch nichts mitnehmen auf ihrer Flucht – außer ihren Rosenkranz und ihren beiden Papageien.
Heimliche Feste
«Ich habe alles zurückgelassen außer ihnen», sagt sie und weist auf die beiden grünen Vögel, genannt «Die Unzertrennlichen». Mit ihren Angehörigen hat sie vorübergehend Zuflucht bei einer christlichen Miliz gefunden, die als Teil der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) an der Offensive auf Rakka beteiligt ist. Das vom Westen unterstützte arabisch-kurdische Bündnis hat bisher die Hälfte der Stadt eingenommen. Während Karapetian in einem Haus der syrischen Miliz einen Tee trinkt, berichtet sie vom Leben unter der IS-Herrschaft. Vor der Eroberung der Stadt durch die Dschihadisten 2014 war rund ein Prozent der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung christlich. Sie stammten von den Armeniern ab, die im Ersten Weltkrieg vor den Massakern an ihren Glaubensbrüdern in der Türkei nach Syrien geflohen waren.
Unter den Dschihadisten hatten die Christen die Wahl, zum Islam zu konvertieren, eine hohe Steuer zu zahlen oder zu fliehen. Wie auch die Kurden entschieden sich die meisten für die Flucht. «Als der IS in die Stadt eingedrungen ist, haben seine Kämpfer die Kirchen angesteckt und die Gebetsbücher, die Engel, die Marien- und Jesus-Statuen verbrannt», sagt Alexej, die mit Karapetian geflohen ist. Sowohl die armenisch-katholische Kirche der Märtyrer als auch die griechisch-katholische Kirche von der Verkündung Maria wurden zerstört. «Wir feierten heimlich unsere Feste zu Hause», sagt die 50-jährige Alexej, die ebenfalls noch den schwarzen Schleier trägt, der vom IS vorgeschrieben war.
«Wir benutzten nur ein wenig Weihrauch, um das Gefühl zu haben, dass es ein Feiertag ist.» Von der Ortschaft Dschasra am Rande von Rakka wollen sie weiter nach Aleppo, wo eine große armenische Gemeinde lebt. Sie hoffen, dort einige Verwandte wiederzufinden, zu denen sie vor einem Monat den Kontakt verloren haben. Sie sind erleichtert, endlich der Herrschaft der Dschihadisten entronnen zu sein, doch nach den Strapazen der Flucht aus ihrer Heimatstadt auch erschöpft. «Wir haben alles in Rakka gelassen. Das schmerzt», sagt Alexej. «Wir wollten bleiben, aber es war nicht länger auszuhalten», sagt sie und begräbt das Gesicht in ihren Händen.
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