Das erklärte Vorhaben, Cannabis auch für den Freizeitgebrauch umfassend zu legalisieren, hat Luxemburg internationale Beachtung eingebracht, oft sogar Bewunderung. Kein Wunder: Das grüne Kraut gilt schließlich als die beliebteste Droge weltweit, was auch in Luxemburgs Straßen, Diskotheken und Parks nicht zu überriechen ist. Jahrzehntelang bestehende Behauptungen über die große Gefahr, die angeblich davon ausgeht, werden mittlerweile nicht nur von den Freunden des Hanfs selbst angezweifelt, sondern auch von vielen Wissenschaftlern als zumindest stark überzeichnet angesehen.
Die Zeichen der Zeit stehen jedenfalls nicht nur im Großherzogtum auf Entspannung: So sind beispielsweise in Kanada und vielen US-Staaten der Verkauf und Genuss von Cannabis und vielen Produkten daraus vollkommen freigegeben, viele andere Länder sehen zumindest von einer Strafverfolgung ab, wenn jemand entsprechend auffällt.
Schon vor einiger Zeit musste die Regierung aber erklären, dass sie ihre sehr ehrgeizigen Pläne stark eindampfen muss: So wolle man nicht mehr primär anstreben, in Luxemburg produziertes Cannabis über spezielle Ausgabestellen zu verkaufen. Stattdessen sollen die Bürger ihre grünen Daumen entdecken und zu Hause den Eigenanbau betreiben.
„Der kleine Hobbygärtner“
Während es im Kapitalismus eigentlich alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, fix und fertig zu kaufen gibt, soll das beim Cannabis anders sein. Das muss sich der Einwohner Luxemburgs nach der Legalisierung selbst herstellen – und zwar zu Hause: Denn wie Justizministerin Sam Tanson ebenfalls erklärte, soll es auch in Zukunft verboten sein, Cannabis „durch den öffentlichen Raum zu transportieren“. Gemeinsamer Anbau mit Freunden oder in einem Verein schlösse sich damit wohl aus.
Und wer keinen Garten direkt am Haus hat, müsste sein „Gras“ sogar in der Wohnung anbauen, lagern und konsumieren. Das könnte verantwortungsbewusste Hanffreunde vor ganz neue Herausforderungen stellen – zum Beispiel in Sachen Geruchsbelästigung oder Jugendschutz.
Laut den ursprünglichen Ideen sollte zwar gerade das verboten bleiben, aber immerhin können Cannabis-Konsumenten sich darauf freuen, bald zumindest nicht mehr justiziabel verfolgt zu werden – sollte man meinen. Eine kürzliche Erklärung der Justizministerin Sam Tanson zum Stand der Dinge lässt nämlich durchaus den gegenteiligen Schluss zu: Die rechtlichen Probleme werden für Cannabis-Freunde demzufolge nicht verschwinden.
„Fast nichts“
So beeilte sich Tanson etwa, zum Thema Cannabis im Straßenverkehr zu versichern, hier gelte weiterhin „null Toleranz“ – und das offenbar fast wortwörtlich: Aktiven Verkehrsteilnehmern sei „ein Nanogramm THC pro Milliliter Blut erlaubt“, erklärte Tanson – und brachte prägnant auf den Punkt, was der jetzt schon geltende Wert faktisch bedeutet: „Das ist quasi null.“
Genau das bringt aber Menschen, die sich analog zum Feierabendbier einen kleineren Rausch gönnen (oder zum Wochenende auch mal einen größeren) vor arge Probleme – aufgrund der besonderen Eigenschaften beim Abbau des berauschenden Wirkstoffs THC im Körper.
„Das Zeitfenster, in dem THC im Blut nachweisbar ist, hängt stark von der Dauer, der Regelmäßigkeit und dem Ausmaß des Konsums ab“, erklärt Dr. Michel Yegles vom Nationalen Gesundheitslabor (LNS) auf Anfrage des Tageblatt. Es liege bei Gelegenheitskonsumenten zwischen drei und zwölf Stunden und könne bei hohem und regelmäßigem Konsum bis zu zwölf Tage betragen.
Der Abbauvorgang ist sehr komplex und individuell unterschiedlich und verläuft auch nicht so linear wie beim Alkohol. Vereinfacht ausgedrückt steigt der THC-Gehalt im Blut beim Cannabis-Konsum erst sprunghaft an und fällt in den Stunden danach auch rasch wieder, allerdings nicht auf null: Vor allem bei mehr als nur ganz seltenem Konsum findet zusätzlich eine Wechselwirkung mit dem Fettgewebe statt, die dafür sorgt, dass ein sehr geringer Rest des THC weiterhin nachweisbar bleibt – und zwar über Tage oder sogar Wochen. Die dann zu messende Konzentration liegt nur unwesentlich über den derzeitigen Nachweisgrenzen und ist auch zu niedrig, um einen effektiven Rausch auszulösen.
Das jedenfalls ist die übereinstimmende Ansicht vieler Wissenschaftler, die dazu entsprechend geforscht haben. Doch das hat die Gesetzgeber in vielen europäischen Staaten bisher nicht angefochten: Sie zweifeln die Fahrtüchtigkeit an, sobald diese geringen Werte im Blut festgestellt werden.
Weiche Droge, harte Strafen
Selbst Menschen, die nur gelegentlich moderat Cannabis konsumieren, müssen als aktive Verkehrsteilnehmer praktisch jederzeit mit heftigen Sanktionen rechnen – sogar viele Tage nach dem letzten Konsum. Laut Straßenverkehrsordnung droht in Luxemburg bei festgestellter Überschreitung der Ein-Nanogramm-Marke (im „Vollblut“) eine „Freiheitsstrafe von acht Tagen bis zu drei Jahren und/oder Geldstrafe von 500 bis 10.000 Euro“. Zudem könne ein Richter je nach Umständen ein Fahrverbot aussprechen, das bei Übertretungen von acht Tagen bis zu einem Jahr dauern kann. Bei „Vergehen oder Verbrechen“ dürfte man das Auto sogar bis zu 15 Jahre lang stehen lassen.
In einem Bericht für das Gesundheitsamt der Schweiz des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Basel haben die Autoren internationale Grenzwerte verglichen. Demnach ist der luxemburgische Wert einer der niedrigsten weltweit. In Europa liegen die Grenzwerte teils dreimal höher. Manche Länder haben gar keine dedizierte Regelung, andere bestrafen vor allem solche Fahrer besonders hart, die gleich mehrere Drogen gleichzeitig im Blut haben: Solcher „Mischkonsum“, vor allem der von Alkohol und Cannabis, gilt nämlich als besonders unfallträchtig.
Sogar CBD knackt den Grenzwert
Die absurden Folgen der extrem niedrigen THC-Grenzwerte sind auch der Luxemburger Polizei nicht enthalten geblieben: Als 2018 das nicht berauschende CBD-Cannabis in Luxemburg erlaubt wurde, das nur extrem wenig THC enthalten darf, jubelte man noch regelrecht: „Autofahren nach Einnahme dieses legalen Produkts ohne psychoaktiven Effekt ist demnach erlaubt. CBD kann quasi mit alkoholfreiem Bier verglichen werden“, erklärte die Polizei im Tageblatt.
Inzwischen denkt man weiter und anders: „Je nach Menge und Häufigkeit des Konsums von CBD-Cannabis kann ein THC-Wert im Blut von 1 ng/ml oder mehr erreicht werden, was nach der luxemburgischen Straßenverkehrsordnung eine Straftat darstellt“, wird jetzt gewarnt. Ob es bereits CBD-Konsumenten gab, die eine entsprechend böse Überraschung machen durften, wird nicht mitgeteilt.
„Im Jahr 2015 wurden die gesetzlichen Schwellenwerte, ab denen das Führen eines Straßenfahrzeugs in Anwesenheit der genannten Substanzen als Verstoß gilt, an das belgische Recht angepasst“, erklärt eine Sprecherin des Transportministeriums auf Anfrage. Die belgische Gesetzgebung habe seinerzeit als Grundlage für die Einführung des rechtlichen Rahmens zur Bekämpfung von Drogen am Steuer in Luxemburg gedient. Somit sei man zu „einer harmonisierten und kohärenten Politik zur Bekämpfung des Fahrens unter Drogeneinfluss“ gelangt.
Wenig Harmonie
Wirklich angeglichen wurde die Werte aber nicht: In Belgien sind sie nämlich nochmal doppelt so streng wie in Luxemburg – und damit so wie in Deutschland. Und auch da wird ja derzeit eine Legalisierung von Cannabis vorangetrieben – was auch die Grenzwerte-Problematik bei den Nachbarn wieder auf die Agenda gebracht hat.
Die Prüfung auf THC ist nämlich noch von einer Reihe weiterer Maßnahmen flankiert, die dafür sorgen, dass schon einmal Menschen, die per Taxi zu einem Festival angereist sind, später trotzdem die „Fahreignung“ abgesprochen wurde, nachdem Cannabis bei ihnen gefunden wurde. Für die Wiedererlangung der Fahreignung muss oft eine langwierige und teure Begutachtung durch private Prüfungsanstalten (MPU) durchlaufen werden.
Der „Deutsche Hanfverband“ hat das Problem schon vor Jahren über die Kampagne „Klarer Kopf, klare Regeln“ thematisiert und Aussagen von Betroffenen gesammelt, deren berufliche und soziale Existenz praktisch zerstört worden sei, obwohl sie nicht einmal berauscht unterwegs gewesen seien. Der Verband fordert Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit für Cannabis-Konsumenten, die zumindest mit Alkohol-Konsumenten gleichgestellt werden sollten.
Tatsächlich sieht die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in einem Report zum Thema 2018 eine „Übereinstimmung mit Rechtsvorschriften über das Fahren unter Alkoholeinwirkung“ als wichtig an. Der Report zitiert wissenschaftliche Arbeiten, wonach „die ersten Anzeichen von Beeinträchtigung bei THC-Konzentrationen zwischen 2 und 5 ng/ml nachgewiesen wurden“. Eine Beeinträchtigung, die etwa einem Blutalkoholwert von 0,5 Promille entspreche, sei bei rund 3,7 Nanogramm festgestellt worden – also beim fast Vierfachen des Wertes, ab dem die Regierung bereits „null Toleranz“ gelten lassen will. Bei einer Anhörung vor dem Deutschen Bundestag erklärte eine Vertreterin der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), unter einem Wert von 2 ng/ml seien keine Beeinträchtigungen zu erkennen.
„Prohibitionsdenken“
Georg Wurth, Vorsitzender des Deutschen Hanfverbands, hält solche „doppelten Standards“ gegenüber Cannabis und Alkohol nicht für Zufall: Es sei doch auffällig, dass die entsprechenden Regeln oft erst installiert wurden, als die Gesetzgeber den reinen Besitz oder Konsum von Cannabis nicht mehr so stark bestraft haben. „Das ist eine Ersatzbestrafung, die aus einem Prohibitionsdenken heraus eingeführt wurde“, zeigt sich Wurth im Gespräch mit dem Tageblatt überzeugt. Einer der vielen Hinweise darauf sei etwa vor Jahren der ständige Hinweis offizieller Stellen gewesen, man wolle die Ergebnisse einer großen Studie zu „Fahren unter dem Einfluss von Drogen, Alkohol und Medikamenten“ (Druid) abwarten – deren Ergebnisse 2006 dann aber vollkommen ignoriert worden seien.
Er stellt erfreut fest, dass immerhin unter der aktuellen deutschen Regierung (deren Parteien-Zusammensetzung etwa der luxemburgischen entspricht) offenbar auch die Einsicht reife, dass die aktuellen Regelungen wenig mit der Verkehrssicherheit zu tun hätten. „Aber einzig und allein unter diesem Aspekt müssen die Grenzwerte begründbar sein!“ Aktuell gebe es jedenfalls wieder ermutigende Signale in der Sache. Immerhin hatte bereits 2015 hat die spezielle „Grenzwertkommission“ angeregt, eine erste Beeinflussung der Fahrtüchtigkeit überhaupt erst bei 3 ng/ml anzunehmen.
Das könnte auch Einwohnern Luxemburgs zugutekommen: Schließlich unterliegen auch sie den deutschen Regeln, wenn es etwa zum Shopping über die Grenze geht, und können also mit Sanktionen von der Geldstrafe bis zum Entzug der Fahrerlaubnis (für Deutschland) belangt werden. Und in Deutschland wird bereits die Eignung für die Teilnahme am Straßenverkehr abgesprochen, wenn auch nur „regelmäßiger“ Cannabiskonsum angenommen wird – wofür im Zweifelsfall sogar zwei Konsumvorgänge im Abstand von mehreren Monaten ausreichen.
Bei den deutschen Polizeibehörden haben jedenfalls offenbar schrille Alarmglocken geläutet angesichts der Legalisierungspläne in Luxemburg: „Dann sollte sich der Kontrolldruck erhöhen“, erklärte ein hochrangiger Polizist aus Bitburg kürzlich im Trierischen Volksfreund, während sein Vorgänger vor Jahren behauptete, die Luxemburger gingen „wesentlich offener und unbekümmerter mit Drogen um“ als die Deutschen.
Zumindest eine Droge, die auch in Bitburg hergestellt wird, darf in Deutschland und in Luxemburg durchaus weiterhin unbekümmert genossen werden, solange der Konsum moderat bleibt beziehungsweise ihm einige Stunden Enthaltsamkeit folgen. Hüben wie drüben gilt in Sachen Alkohol jedenfalls weiter mehr als trockene null Toleranz: „Eine Änderung der aktuellen Grenzwerte ist zurzeit nicht geplant“, heißt es vonseiten der Regierung. Alkohol war 2021 bei 33 Prozent aller tödlichen Unfälle in Luxemburg zumindest mitursächlich*.
* Statistik: Schwierige Datenlage
Auf Anfrage des Tageblatt kann die Polizei keine dezidierten Zahlen zur Unfallträchtigkeit von Cannabis im Straßenverkehr vorlegen und verweist auf das Ministerium für Mobilität. Dieses hat vor kurzem die Unfallstatistik für 2021 vorgelegt.
Darin werden zwar tödliche und schwere Unfälle jeweils auf Alkohol und „Drogen“ aufgeschlüsselt – wobei allerdings alle Drogenarten außer Alkohol komplett zusammengefasst sind (wie Kokain, Heroin, MDMA, LSD, Cannabis usw.) und gemeinsam abgehandelt werden.
2021 gab es demzufolge sieben tödliche und 40 schwere Unfälle, bei denen Alkohol eine Rolle spielte. Unter „Drogen“ zählt das Ministerium vier tödliche und zwölf schwere Unfälle. Es ist unklar, wo Unfälle eingeordnet werden, bei denen Mischkonsum von Alkohol und anderen Drogen festgestellt wurde.
Das sagt die „Sécurité routière“
Isabelle Medinger zeigt als Direktorin der „Sécurité routière“ Verständnis für die Nöte der Regulierenden, die immerhin mit einer komplexen Problematik bei dünner Datenlage konfrontiert seien: „Wenn man das Verfahren als ungerecht ansieht, muss man das vielleicht eher der Wissenschaft zuschreiben“, erklärt Medinger gegenüber dem Tageblatt – schließlich fehle es an objektiven Grenzwerten und viele Aussagen seien widersprüchlich. „Nur weil Drogen legalisiert werden, darf ja nicht der Eindruck entstehen, dass am Steuer alles egal sei.“
Während Medinger einräumt, dass man den Alkohol in Luxemburg lange Zeit verharmlost habe, habe man hier klar dazugelernt und auch vonseiten ihres Vereins entsprechende Kampagnen gestartet. Allerdings sei die „Sécurité routière“ nicht für eine weitere Verschärfung der Grenzwerte beim Alkohol – also auch nicht für null Toleranz (wie sie in manchen Ländern Europas gilt).
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