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Zeitgeschichtememorialshoah.lu: Was in Erinnerung bleibt, lebt

Zeitgeschichte / memorialshoah.lu: Was in Erinnerung bleibt, lebt

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Im prall gefüllten Edmond-Dune-Saal der Abtei Neumünster wurde am Mittwoch (12.10.) die digitale Gedenkstätte zur Shoah in Luxemburg vorgestellt, ein gemeinsames Projekt der „Fondation luxembourgeoise pour la Mémoire de la Shoah“ und des Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) der Uni Luxemburg.

Diese Gedenkstätte versteht sich als partizipatives Work in progress mit dem Ziel, gemeinsam in den nächsten Jahren die Biografien der Familien von etwa 5.000 Menschen zu schreiben, die 1940 in Luxemburg gelebt haben, die vor und während des Zweiten Weltkriegs aufgrund der 1935 erlassenen nationalsozialistischen Rassengesetze als Juden galten und von Nazi-Deutschland und seinen Kollaborateuren verfolgt wurden. Fast 40 HistorikerInnen aus Luxemburg und dem Ausland beteiligen sich bereits an diesem wichtigen Projekt.

Zum 81. Jahrestag der ersten Deportation von Juden aus Luxemburg und der Region Trier in das Ghetto Litzmannstadt veröffentlichen wir heute fünf Kurzbiografien von Familien. Sie gehörten zu jenen 513 Menschen, die in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 1941 von Luxemburg und Trier ins besetzte Polen verschleppt wurden. Die Geschichte dieser fünf Familien wird ausführlicher erzählt im Rahmen der ersten 50 Biografien, die seit dieser Woche online auf memorialshoah.lu zu lesen sind.

Was in Erinnerung bleibt, lebt. Damit wir gemeinsam das Leben dieser Menschen in Erinnerung rufen können, die ausgegrenzt, ihres Eigentums und ihrer Rechte beraubt, die verfolgt und ermordet wurden, rufen wir Sie auf, über die Mailadresse c2dh.memorial@uni.lu Kontakt mit uns aufzunehmen, falls Sie weitere Informationen und historische Dokumente mitteilen möchten.

Eisig Deutscher (1896-1942), Rischa Sessler (1891-1942), Simon Deutscher (1920-1942), Bernard Deutscher (1923-1942), Helene Deutscher (1924-1942), Rachel Deutscher (1928-?)

Das aus Galizien stammende polnische Ehepaar Eisig Deutscher und Rischa Sessler verließ seine polnische Heimat zu Beginn der 1930er Jahre, um sich mit seinen vier Kindern Simon, Bernard, Hélène und Rachel in Luxemburg niederzulassen. Eisig Deutscher arbeitete unter anderem als Hebräischlehrer und war zugleich „Kultusdiener“ der jüdischen Gemeinde Luxemburgs, seine Ehefrau führte den Haushalt. Aufgrund der antisemitischen Verfolgungen während der deutschen Besatzungszeit litt die Familie zunehmend unter Ausgrenzung und Armut. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden fast alle Familienmitglieder wochenlang vom Naziokkupant im Grund-Gefängnis in Luxemburg inhaftiert. Anfang September wurden Bernhard und Simon zur Zwangsarbeit an der Reichsautobahn nahe Wittlich abkommandiert, ihr Vater musste nun im Steinbruch von Nennig arbeiten. Am 16. Oktober 1941 wurde die Familie ins Ghetto Litzmannstadt deportiert. Bis auf die jüngste Tochter Rachel, die den Krieg auch nicht überlebt hat, wurden alle im April 1942 im Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) vergast.

Autor der Biografie: Marc Gloden, Fondation luxembourgeoise pour la Mémoire de la Shoah

Familienfoto von Rischa Sessler mit Simon, Rachel, Bernard und Helene auf ihrer Anmeldeerklärung in Luxemburg-Stadt 1931
Familienfoto von Rischa Sessler mit Simon, Rachel, Bernard und Helene auf ihrer Anmeldeerklärung in Luxemburg-Stadt 1931 Foto: Anlux, J-108-0367582
Foto von Eisig Deutscher auf seiner Anmeldeerklärung in Luxemburg-Stadt 1930
Foto von Eisig Deutscher auf seiner Anmeldeerklärung in Luxemburg-Stadt 1930 Foto: Anlux, J-108-0367582

Sprinca Dorflaufer (1907-1942)

Sprinca Dorflaufer stammte aus Galizien (Polen) und kam nach beruflichen Aufenthalten in Brüssel und Trier im Jahre 1930 nach Luxemburg, wo sie als Dienstmädchen bei mehreren jüdischen und nicht-jüdischen Kaufleuten in Luxemburg-Stadt arbeitete: bei Wonagus, Godin, Grossvogel, Eischen-Mootz, Kaufmann. Sprinca Dorflaufer wurde am 16. Oktober 1941 von Luxemburg aus nach Litzmannstadt deportiert und 1942 in Chelmno (Kulmhof) ermordet.

Autorin der Biografie: Maja Veyrat, geb. Andert, Gedenkstätte Münchner Platz Dresden

Foto der 25-jährigen Sprinca Dorflaufer auf ihrer Anmeldeerklärung in Esch/Alzette 1932
Foto der 25-jährigen Sprinca Dorflaufer auf ihrer Anmeldeerklärung in Esch/Alzette 1932 Foto: ANLux, J-108-0361307

Rebecca genannt Rely Levy (1898-1942)

Rely Levy stammte aus der benachbarten deutschen Grenzgegend (Kirf, Saarburg). Nach 13 Jahren in Neunkirchen, wanderte sie nach der „Saarabstimmung“ und der Rückkehr des Saarlandes zum Deutschen Reich 1936 nach Luxemburg aus, wo sie als Kinderpflegerin und Haushälterin bei verschiedenen Familien arbeitete: Wagmann und Elfriede Levy in Luxemburg-Stadt, Stoffgeschäft Ferdinand Wolf in Esch/Alzette. Im von den Nazis besetzten Luxemburg versuchte sie 1940-1941 vergeblich in die USA auszuwandern. Am 16. Oktober 1941 wurde Rely Levy von Luxemburg ins Ghetto Litzmannstadt deportiert. Im Mai 1942 wurde sie ins Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) verschleppt und dort ermordet.

Autor der Biografie: Denis Scuto, C2DH, Uni Luxemburg

Foto der 40-jährigen Rely Levy auf ihrem Antrag zur Erneuerung der Fremdenkarte in Luxemburg 1938
Foto der 40-jährigen Rely Levy auf ihrem Antrag zur Erneuerung der Fremdenkarte in Luxemburg 1938 Foto: ANLux, J-108-0389295

Bluma Schupak (1874-?), Joseph Kalinsky (1862-1937), Maria Kalinsky (1911-1942), Nathan Hirschbein (1911-1942), Betty Hirschbein (*1940)

Familie Hirschbein-Schupak stammte aus Polen in der Woiwodschaft Łódź. 1908 heiratete Bluma Schupak Joseph Kalinsky. Die beiden emigrierten im selben Jahr nach Luxemburg und ließen sich in Hollerich nieder. Kalinsky konnte schwer Fuß fassen, sodass sich Bluma um den Unterhalt der Familie – Tochter Maria kam 1911 zur Welt – kümmern musste. Sie war als fahrende Händlerin in Luxemburg und im grenznahen Deutschland unterwegs. Die Familie zog oft um und lebte zeitweilig in Ettelbrück. 1937 starb der inzwischen 75-jährige Joseph Kalinsky. Tochter Maria, die als Büroangestellte arbeitete, heiratete den ebenfalls aus Polen stammenden Schneider Nathan Hirschbein. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Luxemburg versuchte die Familie auszuwandern. Dies misslang. Im November 1940 wurden die Familien Schupak-Kalinsky-Hirschbein von der Luxemburger „Commission administrative“ in einer Liste von „unabgemeldeten Juden“ erfasst, die später der Gestapo übergeben wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt von Nathan im Zwangsarbeitslager der „Reichsautobahn“ in Greimerath bei Wittlich deportierten die Nazis das Ehepaar Hirschbein am 16. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt und ermordeten die beiden 1942 in Chelmno. Ihre am 10. Mai 1940, Tag der deutschen Invasion Luxemburgs, geborene Tochter Betty war zu diesem Zeitpunkt krank und konnte bei ihrer Großmutter Bluma Schupak in Luxemburg bleiben. Die beiden wurden 1942 nach einem Zwangsaufenthalt im Sammellager Fünfbrunnen ins Ghetto Theresienstadt deportiert und überlebten. Sie kehrten nach Luxemburg zurück und emigrierten 1960 nach Israel. Betty lebt heute in New York.

Autor der Biografie: Wolfgang Schmitt-Kölzer, Arbeitsgemeinschaft „Grenzenlos gedenken“ Luxemburg-Trier-Ettelbrück-Mondorf-Medernach-Neumagen-Schweich-Wittlich

Foto der 71-jährigen Bluma Kalinsky geb. Schupak auf ihre Anmeldeerklärung in Luxemburg-Stadt nach ihrer Repatriierung aus dem Lager Theresienstadt im Juni 1945
Foto der 71-jährigen Bluma Kalinsky geb. Schupak auf ihre Anmeldeerklärung in Luxemburg-Stadt nach ihrer Repatriierung aus dem Lager Theresienstadt im Juni 1945 Foto: ANLux, J-108-0461961
Foto der 19-jährigen Studentin Betty Hirschbein auf ihrem Antrag zur Erneuerung der Fremdenkarte in Luxemburg im Oktober 1959
Foto der 19-jährigen Studentin Betty Hirschbein auf ihrem Antrag zur Erneuerung der Fremdenkarte in Luxemburg im Oktober 1959 Foto: ANLux, J-108-0533209

Tobias Schlang (1902-1942), Anna Glaser (1895-1942), Sophie Schlang (1922-1942), Joseph genannt Josy Schlang (1924-2013)

Die Familie Schlang-Glaser kam 1922 aus Polen nach Luxemburg. Tobias arbeitete im Hüttenwerk Arbed Terre Rouge. Seine Kinder Sophie und Joseph, genannt Josy, gingen in die Lehre als Modistin und Frisör. Nach der Evakuierung der Familie nach Frankreich kehrte sie trotz des Rückkehrverbotes für Juden nach Luxemburg zurück. Sie verloren ihre Anstellung und wurden 1941 gezwungen, nach Luxemburg-Stadt zu ziehen. Tobias und Josy mussten fortan Zwangsarbeit im Steinbruch in Nennig (D) leisten. Wegen „deutschfeindlicher Agitation“ wurden Tobias und seine Frau Anna festgenommen und misshandelt. Auch Josy musste sich täglich bei der Gestapo melden. Die Familie Schlang wurde am 16. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert, wo Josy von seinen Eltern getrennt wurde. Während über dreieinhalb Jahren durchlebte Josy verschiedene Konzentrationslager, darunter Auschwitz. Er wurde im Mai 1945 bei Mauthausen befreit und kehrte nach Luxemburg zurück. 1942 wurden Tobias, Anna und Sophie mit hoher Wahrscheinlichkeit im Vernichtungslager Chełmno (Kulmhof) ermordet. Als KZ-Überlebender und Zeitzeuge versuchte Josy über Jahrzehnte auf das Schicksal der Juden Luxemburgs aufmerksam zu machen.

AutorInnen der Biografie: Jérôme Courtoy & Elisabeth Hoffmann, Musée national de la Résistance et des Droits humains, Esch/Alzette

Gruppenfoto der Familie Schlang (1936)
Gruppenfoto der Familie Schlang (1936) Foto: Musée national de la Résistance et des Droits humains
Foto der 19-jährigen Sophie Schlang (ca. 1941)
Foto der 19-jährigen Sophie Schlang (ca. 1941) Foto: Musée national de la Résistance et des Droits humains

Robert Hottua
16. Oktober 2022 - 15.47

Guten Tag Herr Scuto,
Die deutschen Psychiater Heinz HÄFNER und Wolfgang WERNER haben in Luxemburg darauf hingewiesen, dass es neben dem jüdischen auch einen medizinischen Euthanasie-Holocaust an als "biologisch minderwertigen" BürgerInnen gegeben hat. Auch diese Holocaust-Opfer brauchen eine (digitale) Gedenkstätte. Ein Ort im Herzen Luxemburgs eignet sich hierfür besonders.
MfG
Robert Hottua