«Sie waren noch nie hier im Büro?», fragt François Bausch und zeigt auf das große Fenster im «Héichhaus». «Die Sicht von hier oben ist fantastisch, vor allem jetzt an Herbsttagen.» Ein Gespräch mit dem Spitzenkandidaten François Bausch über Koalitionsgeflüster, Heimat und wieso er sein Büro noch nicht räumen will.
Tageblatt: Herr Bausch, lange Zeit sah es in den Umfragen danach aus, als würden «déi gréng» gemeinsam mit der CSV die nächste Regierung bilden. Täuscht der Eindruck, oder ist dieses Szenario wieder in weite Ferne gerückt?
François Bausch: Ich will mich überhaupt nicht an Gerüchten und Spekulationen beteiligen. Das Einzige, was für mich sicher ist: Wenn wir als Grüne nicht Stimmen hinzugewinnen, dann werden wir nicht mehr Teil einer Regierung sein.
Wenn Sie also bei sechs Sitzen bleiben, gehen Sie in die Opposition?
Ja, das müssten wir wohl. Denn dann werden andere in einer privilegierten Position sein, um eine Koalition zu schmieden. Erst bei einem Sitzgewinn werden wir deshalb von einem Wahlerfolg sprechen.
Im Idealfall soll die Dreierkoalition aber weitermachen?
Ja. Diese Regierung hat eine hervorragende Bilanz. Wenn die Wähler uns also bestätigen, ist es doch nur die logische Konsequenz, die gemeinsame Arbeit fortzuführen.
Das heißt auch bei 31 Sitzen?
Mehrheit ist Mehrheit.
Sie haben in dieser Legislaturperiode die Wachstumsdebatte angestoßen. Auch hier die Frage: Täuscht der Eindruck, dass man nur noch wenig davon hört?
Das stimmt nicht ganz. Wir stehen exzessivem Wachstum immer noch kritisch gegenüber. Allerdings differenzieren wir uns von denen, die auf populistische Methoden zurückgreifen und pure Angst verbreiten. Wir sagen hingegen, dass unser aktuelles Entwicklungsmodell zu Problemen führt und wollen Lösungen anbieten: durch Reorganisation, durch gezieltere Wirtschaftspolitik. Aber um das noch mal klar zu sagen: Wir sind nicht antiglobal und stehen für ein offenes Luxemburg.
Tatsächlich ist die Wachstumsdebatte irgendwann rechts abgedriftet; aus der Anti-Wachstums-Debatte ist eine Anti-Grenzgänger-Debatte geworden.
Ich glaube, dass es nicht im Interesse der Allgemeinheit ist, dass wir versuchen, das Land zu entwickeln, indem wir weiterhin «mordicus» Arbeitsplätze schaffen, die nur von Grenzgängern besetzt werden. Dazu stehe ich. Aber das ist keine Anti-Grenzgänger-Debatte, sondern bezieht sich auf die Frage, wie wir in Zukunft wirtschaften wollen.
Aber das klingt doch sehr nach einer Obergrenze für Grenzgänger.
Nein. Wir müssen vielmehr den größeren Kontext sehen und die gesamte Großregion entwickeln. Zwischen Luxemburg und seinen Nachbarregionen besteht ein ungesundes Ungleichgewicht, das auf Kosten von Natur, Umwelt und Gesellschaft geht. Und anstatt, dass diese Gegensätze weiter anwachsen, muss die Politik eine positive Vision entwickeln.
Sie scheuen bei dieser «positiven Vision» nicht davor zurück, Begriffe wie «Heimat» zu benutzen.
Nein. Denn emotionale Begriffe wie Kultur und Heimat dürfen nicht den Rechten überlassen werden. Meine Heimat, meine Kultur, mein Zuhause sind mir zu wichtig, als dass ich zusehe, wie sie von Rechten zweckentfremdet werden. Und ich bin auch überzeugt, dass diese Heimat auf Immigration und Vielfalt fußt und es auch bleiben soll.
Als die Grünen sich in den 1980er gegründet haben, war es noch eine linke Protestpartei. So wie Sie heute reden, klingt das aber schon eher nach Volkspartei?
Wir sind noch keine Volkspartei, haben jedoch den Anspruch, eine zu werden. Es reicht nicht, sich nur mit seinesgleichen abzugeben, selbstgerecht mit dem moralischen Finger auf andere zu zeigen und die reine Lehre zu predigen.
Das war lange das Image der Grünen – eine Besserwisserpartei.
Ja, das stimmt. Aber auch heute müssen wir noch zu unseren «besseren» Ideen stehen. Allerdings müssen wir auch dorthin gehen, wo es wehtut. Also sich auch mit Andersdenkenden auseinandersetzen.
Wenn man sich die Regierungspolitik anschaut, dann haben sich «déi gréng» jedoch vor allem auf die eigenen Kernthemen konzentriert und sind eben nicht dorthin gegangen, wo es wehtut. Gesetze zur Steuerpolitik, die eigentlich konträr zur Ihrem Wahlprogramm waren, haben sie ohne Murren mitverabschiedet.
Das stimmt leider. Aber eine Koalition bedeutet Kompromisse. Wir sind 2013 aus einer schwachen Position in die Regierung eingetreten. Deshalb haben wir entschieden, uns gezielt auf Kernthemen zu konzentrieren. Wir wollten uns nicht verzetteln. Und selbst dort gab es Widerstände. Denken Sie nur an die Tram …
Eigentlich wollte ich vermeiden, mit Ihnen über die Tram zu reden.
Ach, das fällt mir schwer.
Ist die Tram das, was von Ihnen bleibt?
Vielleicht. Aber ich würde mir wünschen, dass es vielmehr die Eigenschaft ist, politische Entscheidungen zu treffen.
Warum scheuen Sie denn eigentlich vor der Entscheidung zurück, den öffentlichen Transport kostenlos anzubieten?
Weil ich davon nicht überzeugt bin und es die falsche Debatte ist. Der Preis ist überhaupt nicht das Problem. Der öffentliche Transport in Luxemburg ist bereits jetzt am Limit. Wir brauchen mehr Qualität, mehr Kapazität, mit WiFi in Zügen und Brötchenläden an den Bahnhöfen.
Sie haben die Probleme aufgezählt. Warum ist diese Liste noch nicht abgearbeitet, nachdem Sie fünf Jahre lang Transportminister waren?
Weil wir über 35 Jahre gepennt haben. Die Zuglinien waren regelrecht vergammelt – und die Politik hat einfach zugeschaut.
Und jetzt gilt das Netz als hoffnungslos überlastet. Laut Statistik fallen an manchen Tagen 100 von 800 Zügen aus. Das führt zu Frustration bei Personal und Kunden.
Wir sind in einer Transitionsphase. Wir haben massiv in die Infrastruktur investiert und wollen etwa die Knotenpunkte entlasten. Aber das dauert mindestens bis 2023.
Ist das große Problem nicht, dass wir in Luxemburg eine S-Bahn bräuchten, um die Menschen zum Arbeitsplatz zu bringen, wir aber auf dem gleichen Schienennetz Fern- und Güterverkehr haben?
Das ist leider das wesentliche Problem. Eigentlich ist es ja verrückt, dass wir im Viertelstundentakt von Luxemburg nach Esch fahren, dazwischen noch die TGV-Linie quetschen sowie die Multimodalzüge. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.
Sie sind also noch lange nicht am Ende ihres Ziels?
Nein. Ich will noch sehr gerne in diesem Ministerium weiterarbeiten.
Ist das auch eine rote Linie in etwaigen Koalitionsverhandlungen?
Nein. Rote Linien klingen nach Drohkulisse. Jeder ist ersetzbar. Aber ich würde eine andere Voraussetzung für etwaige Koalitionsgespräche stellen.
Und die wäre?
Die nächste Regierung sollte sich, bevor sie über das Koalitionsabkommen verhandelt, für zwei Tage zusammensetzen und ein halbes Dutzend ethische Werte ausarbeiten.
Eine Art zehn Gebote?
Nein. Keine moralischen Standards, sondern ethische Werte, die einen Leitfaden für das gemeinsame Handeln bilden. Zum Beispiel stets im Interesse der Allgemeinheit zu handeln.
Nennt sich dieser Kodex nicht Verfassung? Was sollen solche Absichtserklärungen zusätzlich bringen?
Ich glaube, das würde die Koalition nach innen stärken und nach außen ein klares Signal senden jenseits von «politique politicienne».
Herr Bausch, am Schluss würde ich Sie gerne darum bitten, Ihr Talent in unterschiedlichen Rollen einzuschätzen. Von null Punkten, minimalem Talent, bis zehn Punkten, maximalem Talent. Ihr Talent als Revolutionär?
Sieben Punkte.
Als Trotzkist?
Sieben Punkte. Wobei ich mir die Punkte für die Ideen gebe, nicht für die radikalen Methoden.
Klimakämpfer?
Sechs Punkte.
Königsmacher einer Dreierkoalition?
Sieben Punkte.
Reformer des Staatsrats?
Acht Punkte.
Autobahneinweiher?
Null Punkte.
Mir sin zu e puer déi dat och sou gesinn.
Zesummen mam Här Wohlfart si mer schon zu méi.
Vollkommen Richtig @roger wohlfahrt
Mehrheit ist Mehrheit. Purer Opportunismus. So funktioniert Politik. Hauptsache man bleibt Minister. Die Verbündeten von gestern werden die Gegner von morgen und die Gegner von gestern werden die Verbündeten von morgen. Ob das jetzt Herrn Pol Schock gefällt oder nicht, sein Gesprächspartner war und ist ein Karrierist, für den der Posten wichtiger ist als die Sache. Im Gegensatz zu seinem, leider allzu früh verstorbenen, Parteikollegen und Staatssekretär Camille Gira, dem es nicht mehr gegönnt ist, die fantastische Sicht aus dem Hochhaus zu geniessen.