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Europa-RatLuxemburgs Umgang mit jungen Gefangenen: Antifolter-Komitee wiederholt teils 30 Jahre alte Kritik 

Europa-Rat / Luxemburgs Umgang mit jungen Gefangenen: Antifolter-Komitee wiederholt teils 30 Jahre alte Kritik 
Luxemburg ist längst kein Musterschüler in Sachen Einhaltung der Menschenrechte Foto: Editpress/Alain Rischard

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Luxemburg soll keine Minderjährigen mehr in der Haftanstalt Schrassig unterbringen, fordert das „Anti-Folter-Komitee“ des Europarates in seinem neuen Bericht. Diese und andere Vorwürfe sind allerdings nicht neu, sondern liegen zum Teil schon 30 Jahre zurück, ohne dass wirklich etwas unternommen wurde.

Besuchte Einrichtungen

Das CPT besuchte in Luxemburg diese Einrichtungen: das Zentralgefängnis in Schrassig, die geschlossene Abteilung (Unisec) des „Centre socio-éducatif de l’Etat“ (CSEE) in Dreiborn und die geschlossene Abteilung für Jugendpsychiatrie (OR3) im Neuro-Psychiatrischen Krankenhaus (CHNP) in Ettelbrück. Die siebenköpfige Delegation bestand aus drei Mitgliedern des CPT, zwei administrativen Vertretern des Europarats und zwei Psychiatern, teilte das CPT-Mitglied Vincent Delbos dem Tageblatt mit.

Dass das „Anti-Folter-Komitee“ (Committee for the Prevention of Torture, CPT) des Europarats im modernen und reichen Rechtsstaat Luxemburg überhaupt nennenswerte Missstände kritisieren muss, mag schon bemerkenswert erscheinen. Die jüngste Untersuchung brachte allerdings genug Material zusammen, um damit einen rund 80-seitigen Report zu füllen – und selbst die Kurzfassung sammelt auf mehr als vier Druckseiten allerlei teils fundamentale Kritik. Darin zeigt sich der Ausschuss „weiterhin besorgt darüber, dass mehrere seiner zum Teil
seit langem ausgesprochenen Empfehlungen von den Behörden noch immer nicht umgesetzt wurden“.

Schwerpunkt der Untersuchungen und Gespräche, die vom 27. März bis zum 4. April dauerten, war wieder „die Behandlung von Personen, die von der Polizei ihrer Freiheit beraubt wurden und von Personen, die in den beiden geschlossenen Strafvollzugsanstalten inhaftiert waren“, erklärt das CPT. Besonders (aber nicht ausschließlich) betrachtet wurde dabei die Situation von Kindern und Jugendlichen, denen die Freiheit entzogen wurde.

Die Delegation führte in aller Vertraulichkeit Gespräche mit sowohl Insassen als auch dem Personal der jeweiligen Anstalten. Neben den Einzelgesprächen machte die Delegation auch Rundgänge durch die Strafvollzugsanstalten. Am Ende ihrer Besuche übermittelte sie der Gefängnisleitung dann ihre ersten Erkenntnisse und Eindrücke der Lage vor Ort, berichtet das CPT-Mitglied Vincent Delbos dem Tageblatt.

Die verschiedenen Kritikpunkte reichen unterschiedlich tief – doch eine Folgerung steht allen anderen voran: Es solle endlich unterlassen werden, „Kinder“ im Gefängnis in Schrassig unterzubringen, fordert das CPT.

Die „materiellen Bedingungen“ seien „inakzeptabel und für Kinder ungeeignet, da sie nicht strikt von den erwachsenen Häftlingen getrennt werden“. Sowieso sei die Betreuung dort „unzureichend“, da die Betroffenen „sich selbst überlassen“ seien.

Sofortige Konsequenzen braucht Luxemburg allerdings nicht zu befürchten. Luxemburg habe zwar die Konvention gegen Folter unterschrieben, diese basiere aber auf dem Prinzip der Kooperation. Das CPT gibt Luxemburg eine Frist von vier Monaten, um besonders dringende Mängel zu beheben, wie etwa die Inhaftierung von Minderjährigen in Erwachsenenanstalten. Dem CPT sei allerdings bewusst, dass „strukturelle Veränderungen dieser Art ihre Zeit brauchen“, sagt Delbos. Nach Ablauf der Frist müsse die Luxemburger Regierung dem CPT schriftlich mitteilen, inwiefern oder ob die Empfehlungen umgesetzt wurden. Ist dies nicht der Fall, könne das CPT eine öffentliche Stellungnahme („déclaration publique“) herausgeben.

„Beklagenswerte Lebensbedingungen“

Der Ausschuss habe auch „beklagenswerte Lebensbedingungen“ für solche Minderjährigen festgestellt, die in der geschlossenen Abteilung (Unisec) des staatlichen sozialpädagogischen Zentrums (CSEE) untergebracht sind. Man habe überaltertes Material und unzureichende Betreuung festgestellt – insbesondere nach wiederholten Vorfällen mutmaßlicher Gewalt in der Einrichtung. Dabei habe es sich um Vorfälle zwischen den Bewohnern gehandelt. Generell kann das CPT nämlich festhalten: Es wurden keine Anschuldigungen über körperliche Misshandlungen von Häftlingen durch das Personal in den besuchten Gefängnissen zugetragen. Zudem seien die materiellen Bedingungen im neuen „Centre pénitentiaire d’Uerschterhaff“ sogar „ausgezeichnet“.

Psychiatrie: 72 Stunden gefesselt – ohne Kontrolle

Auch bei der Begutachtung der Bereiche von geschlossenen Psychiatrien habe man Besorgniserregendes festgestellt, etwa hinsichtlich des „Einsatzes mechanischer und chemischer Zwangsmaßnahmen“.
So habe man etwa mechanische Zwangsmaßnahmen über bis zu 72 Stunden Dauer festgestellt  – und das auch noch ohne dauerhafte Kontrolle durch das Pflegepersonal.
Hier fordere man ebenfalls stärkere Sicherheitsvorkehrungen (im Sinne der Patienten!) im Hinblick auf die nicht freiwillige Unterbringung. Aber: Kein Patient habe behauptet, vom Personal misshandelt worden zu sein, stellen die Gutachter fest – und: „Gewalt zwischen Patienten schien kein großes Problem zu sein.“ 

In der Unisec hätten dort untergebrachte Minderjährige der Delegation jedoch „mitgeteilt, dass sie Drohungen erhalten hätten, ins Zentralgefängnis geschickt zu werden, wenn sie sich nicht fügten“, heißt es in der Exekutivfassung des Reports. Zudem habe es Berichte über „stigmatisierende Äußerungen“ oder „diskriminierende Bemerkungen“ einiger Mitarbeiter gegeben – vor allem auf die Herkunft der Insassen abzielend. Und: „Kurz vor dem Besuch der Delegation kam es im Zentralgefängnis und in der Unisec zu mehreren Vorfällen von Gewalt zwischen Jugendlichen“, stellt der Report fest. Die Behörden sollten „ihre Anstrengungen verstärken, um diese Probleme anzugehen“. 

Generell seien in Dreiborn die materiellen Bedingungen für Jugendliche, die auf Grundlage einer Jugendschutzmaßnahme untergebracht wurden, „inakzeptabel“. Immerhin erkenne man aber an, dass die Leitung des sozio-edukativen Zentrums seit dem Besuch bereits „positive Veränderungen vorgenommen“ habe. 

Solches Lob erscheint als schwacher Trost angesichts der Abgründe, die sich im Report auftun – wenn etwa von Isolationshaft für Minderjährige die Rede ist: „Der Ausschuss kritisiert die Anwendung des Disziplinarsystems für erwachsene Häftlinge auf Kinder im CPL und die recht häufige Anwendung von Disziplinarmaßnahmen in der Unisec, einschließlich der Isolation von Kindern“, heißt es im Report. Eine solche Maßnahme dürfe Minderjährigen aber „niemals auferlegt werden“, finden die Berichterstatter, die sich auch an Prozeduren stören wie Nacktuntersuchungen oder dem offenbar systematischen Fesseln mit Handschellen, unabhängig von echten Risikoabwägungen.

Polizeigewalt bedingtes Problem

Auch mögliche überzogene Polizeigewalt war ein Thema für das Gremium des Europarats – und damit eine Sachlage, die derzeit hohe Aktualität hat. Schließlich sind vor kurzem vier Beamte einer hauptstädtischen Polizeiniederlassung festgenommen worden, als wegen mutmaßlicher Gewaltexzesse ermittelt wurde. In der Folge wurde die Station am Hauptbahnhof durch offensichtlich „demonstrative“ Krankmeldungen lahmgelegt. (Und dann kam noch heraus, dass man ausgerechnet im geplagten Bahnhofsviertel offenbar doch genug Energie übrig hatte, um ein fragwürdiges internes Belohnungssystem für den richtigen Korpsgeist zu betreiben.)

„Die meisten der von der Delegation befragten Personen gaben an, dass sich Polizisten ihnen
gegenüber angemessen verhalten hätten“, heißt es zwar anerkennend im Report. Aber auch hier folgt dann die Einschränkung: „Mehrere Personen beschwerten sich auch über exzessive Gewalt durch vermummte Polizeibeamte einer Einsatztruppe, die sie mit Gewalt festnahmen, nachdem sie bereits überwältigt worden waren“, heißt es etwa, sodass auch hier die Forderung ergeht: „Die Maßnahmen zur Verhinderung und wirksamen Bekämpfung von Misshandlungen durch die Polizei und übermäßiger Gewaltanwendung müssen verstärkt werden!“ Besonders verstörend fand das Komitee das Vorhandensein von nur zwei Quadratmeter großen Zellen („Sicherheitsräume“), die für Verhöre genutzt werden.

Romain
8. September 2023 - 11.29

Keiner ist gezwungen eine Straftat zu verüben. Diese Personen sind selbst schuld

Robert Hottua
7. September 2023 - 20.55

Jede Sekunde einer sitzwachenfreien Fixierung ist eine potentiell tödliche Situation! Es herrscht Erstickungs- und Herzinfarktgefahr. Genau darin, in der Zufügung von Lebensgefahr, besteht die Misshandlung. Die Betroffenen wissen um diese tödliche Gefahr. Die Professionellen wissen um ihre Todesangst erzeugende Allmacht. Bei den Betroffenen wird so ein Teufelskreis von Todesangst, (jahrelangen) Albträumen, Depressionen, Fremd- und Selbstaggressionen (Suizide) in Gang gesetzt.
Wenn PatientInnen sich panisch mit Bettlaken aus einer Hochhausklinik abseilen und andere, bis heute nicht aufgeklärte Maßnahmen dieser Kategorie vorliegen, dann müsste das eigentlich das Gewissen von vielen Menschenrechtsverfechtern in Erregung versetzen.
MfG
Robert Hottua, Psychologe