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StaatsfinanzenLuxemburger Politik reagiert auf Zwischenbilanz: Kein Grund zur Freude

Staatsfinanzen / Luxemburger Politik reagiert auf Zwischenbilanz: Kein Grund zur Freude
 Symbolfoto: Editpress/Julien Garroy

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Der Luxemburger Staat verzeichnet nach den ersten acht Monaten des Jahres einen Überschuss in den Staatsfinanzen von fast einer Milliarde Euro. Klingt zunächst gut – allerdings stehen noch viele Ausgaben für den Rest des Jahres an. Die Luxemburger Politiklandschaft sieht in dieser Zwischenbilanz jedenfalls keinen Grund zur Freude. Das Tageblatt hat mit Mitgliedern der parlamentarischen Finanzkommission gesprochen.

Gilles Roth, CSV

CSV-Co-Fraktionschef Gilles Roth ist davon überzeugt, dass die Mehreinnahmen des Staats aus einer zu hohen Steuerbelastung für die Bürger herrühren. „Über die ersten acht Monate sind im Vergleich zu 2021 insbesondere 495 Millionen Euro mehr Lohnsteuer reingekommen“, sagt er im Gespräch mit dem Tageblatt. „Das bestätigt, dass die Menschen übermäßig steuerlich belastet werden.“ Die Arbeitnehmer hätten so bereits die Hälfte der Tripartite-Maßnahmen vorfinanziert.

Gilles Roth, CSV
Gilles Roth, CSV Foto: Editpress

Die CSV habe schon lange die Forderung gestellt, die Steuertabelle an die Inflation anzupassen. Fünf Tranchen seien seit 2017 gefallen, ohne dass diese bereinigt worden sei. Ein Arbeitnehmer, der 4.000 Euro verdiene, bekomme bei einer Indexerhöhung 100 Euro Bruttogehalt mehr – nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungen blieben davon nur 20 Euro übrig. „Die Gadget-Politik der Regierung – hier gratis, dort gratis – das ist auf Kosten der Menschen gegangen“, sagt Roth. Der Sinn des Staates sei nicht, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen – sondern Mittel sicherzustellen, die gebraucht werden, um Verteidigung, Sozialmaßnahmen und öffentliche Infrastruktur zu finanzieren. Die Regierung habe sich die Maxime „Mat manner méi“ auf die Fahne geschrieben – stattdessen hätten die Menschen weniger mit mehr Steuern. „Was bringt einem der Gratis-Transport, wenn man aufs Auto angewiesen ist?“, sagt Roth. 

André Bauler, DP

André Bauler, DP
André Bauler, DP Foto: Editpress

Bei dieser Bilanz handelt es sich laut Finanzkommissionspräsident Andé Bauler (DP) nur um eine Momentaufnahme. „Die finanzielle Situation beim Staat ist momentan solide, aber in den nächsten Monaten werden die Ausgaben wegen der Beschlüsse der Tripartite steigen“, sagt Bauler gegenüber dem Tageblatt. Die Ausgaben des Budgets würden noch bis in den April 2023 laufen. Das dürfe man auch nicht vergessen – die 969.000.000 Euro werden also noch schrumpfen. „Ich fürchte, dass am Ende des Jahres ein Defizit dabei herauskommt“, sagt Bauler.

Der Staat halte seine Investitionen weiter sehr hoch, aber es gebe auf EU-Niveau bereits eine technische Rezession. „Wir werden wahrscheinlich eine Winter-Rezession bekommen – schwer zu sagen, was das für Luxemburg bedeutet, wir sind bis jetzt immer einigermaßen da durchgekommen“, sagt der Politiker.

Der Vorwurf, dass die Lohnsteuer-Einnahmen nur wegen der Steuertabelle so hoch ausgefallen seien, lässt Bauler nicht gelten. Das sei zwar ein Teil davon, spiegele aber nicht die komplette Wahrheit wider. „Wenn man ökonomisch ehrlich ist, ist das nur ein Teil der Erklärung, weil wir auch so einen dynamischen Arbeitsmarkt haben“, sagt Bauler. Die aktive Bevölkerung Luxemburgs sei gewachsen, wodurch die Einnahmen durch die Lohnsteuer wiederum gestiegen seien. Und: Wir würden auch die Corona-Krise jetzt nach zwei Jahren etwas weniger spüren.

Sven Clement, Piraten

Sven Clement, Piraten
Sven Clement, Piraten Foto: Editpress

„Ich weiß, dass wir noch jeden Herbst, seit ich gewählt wurde, einen dicken Überschuss verzeichnet haben, und wenn wir dann fertig waren mit Rechnungen bezahlen, war davon nicht mehr viel übrig“, sagt Sven Clement. Es sei etwas unverantwortlich, jetzt zu behaupten, es sei für alles Geld da. „Zweckoptimismus“, nennt Clement die Einstellung. Der Staat könne bis Ende April Rechnungen bezahlen. „Die Einnahmen hören am 31. Dezember auf, die Ausgaben gehen allerdings bis Ende April weiter“, sagt der Politiker. Die Ausgaben, für die Tripartite-Maßnahmen seien absolut nötig, aber das Bild, das von der Regierung gezeichnet werde, stimme nicht.

„Vergangenes Jahr hatten wir bis zum 31. August 74,9 Prozent der Einnahmen des ‚budget voté‘ erwirtschaftet, dieses Jahr sind wir bei 70,8 Prozent – das heißt das Staatsbudget hat weniger eingenommen wie geplant“, sagt Clement. Für den Piraten sei klar, dass Luxemburg laut Tabellen, die Finanzministerin Yuriko Backes (DP) am Montag vorgelegt hat, bei den Einnahmen wesentlich schlechter dastehen würde als vergangenes Jahr um diese Zeit. Zwar habe der Luxemburger Staat 9,6 Prozent mehr Einnahmen als im Vorjahr zu verzeichnen, aber „sie vergessen zu sagen, dass sie im Budget, das gestimmt wurde, ein sehr positives Bild gezeichnet haben“. „Wir haben damals schon kritisiert, das Budget sei viel zu positiv – und darin scheinen wir bestätigt worden zu sein“, sagt Clement.

Auch die Piraten würden schon lange eine Änderung der Besteuerung fordern. So müsse laut Clement mindestens der Mindestlohn – und auch die Mindestrente – steuerfrei gemacht werden. Dadurch sei es möglich, diejenigen zu entlasten, die am wenigsten haben.

Josée Lorsché, „déi gréng“

Josée Lorsché, „déi gréng“
Josée Lorsché, „déi gréng“ Foto: Editpress

Für Josée Lorsché („déi gréng“) zeige die Zwischenbilanz klar, dass nicht komplett gespart werden müsse. Trotzdem würden aus dem Tripartite-Abkommen weitere Ausgaben entstehen. Es sei wichtig, jetzt weiter zu investieren und so die Wirtschaft anzukurbeln. „Wir sind ja auch erst bei 24,7 Prozent Verschuldung im Vergleich mit dem BIP – es wurde ewig das Schreckgespenst von 30 Prozent Schuld ins Fenster gehängt“, sagt Lorsché. Man dürfe jetzt nicht anfangen, Projekte, die Sinn ergeben – wie etwa der Ausbau des öffentlichen Transports –, zu streichen. „Die Investitionen sind auch wichtig, um die Zukunft des Landes nachhaltiger zu gestalten“, sagt Lorsché.

Jetzt allerdings auf die Schnelle eine Steueranpassung einzuführen, sei nicht die richtige Lösung. „Das wäre in unseren – oder meinen – Augen ein Teil einer strukturellen Steuerveränderung, die als Gesamtsteuerreform diskutiert werden muss“, meint die Politikerin. Eine Anpassung der Steuertabelle eins zu eins an die Inflation sei jedenfalls keine soziale Lösung. Die untersten Lohnkategorien müssen laut Lorsché eine größere Gewichtung bekommen, sonst würden diejenigen mit den dicken Gehältern besonders von so einer Anpassung profitieren. „Ich habe immer ein Problem damit, wenn man von großen Reformen redet und dann pflückt man ein Element raus und macht, als wäre das die Wunderlösung“, sagt Lorsché.

Fernand Kartheiser, ADR

Fernand Kartheiser, ADR
Fernand Kartheiser, ADR Foto: Editpress

„Frau Backes hat ja selbst gesagt, dass das Geld jetzt wegschmelzen wird“, sagt Fernand Kartheiser (ADR) dem Tageblatt gegenüber. Es handele sich also nur um eine „glückliche Momentaufnahme“. Die Einnahmen durch die Lohnsteuer seien nicht wegen einer guten Verwaltung des Staates zustande gekommen. Diese seien nur wegen des Wachstums der aktiven Bevölkerung und der „Nicht-Anpassung“ der Steuertabelle entstanden. Dadurch dass die Steuertabelle seit Jahren nicht angepasst wurde, nehme der Staat mehr Steuern ein, als er eigentlich zugute habe. „Es ist praktisch eine Situation, die noch in einem Automatismus weiterläuft“, sagt Kartheiser.

„Was uns am meisten Sorgen bereitet, ist die permanente Tendenz der Verschuldung“, sagt Kartheiser. Natürlich könne man sich über jede Mehreinnahmen freuen, aber: „Ohne die Verschuldung wäre diese nicht da.“ Man könne sich also nicht wirklich über die Bilanz freuen.

LSAP: Keine Rückmeldung

Selbstverständlich haben wir auch versucht, mit einem LSAP-Mitglied der Finanzkommission zu sprechen. Leider war niemand bis Redaktionsschluss erreichbar.