Tageblatt: Sie waren Hofmarschallin und sind seit bald einem Jahr Finanzministerin. Ist ein Unterschied spürbar?
Yuriko Backes: Die Welt des Finanzministeriums ist auch ein Sprung ins Politische. Es liegen Welten zwischen der Cour Grand-Ducale und dem Ministerium. Ich habe Jean-Claude Juncker früher zwar als Eurogruppenchef nach Brüssel und Washington begleitet und kenne die europäischen Institutionen und politische Welt aus meiner diplomatischen Karriere. Aber ich hatte nie eine Parteikarte während meiner Karriere …
… das heißt?
Ich war politisch neutral. Das hat es mir erlaubt, für verschiedene Außenminister und für zwei Premierminister zu arbeiten. Heute stehe ich stärker in der Öffentlichkeit. Das ändert aber nicht viel daran, dass ich mich immer auf meinen Job konzentriere. Ich tue alles im Interesse meines Landes, der Bürger und der Unternehmen. Dabei scheue ich keine Kritik. Ich mag offene Gespräche und konstruktive Kritik. Das hilft mir. Fast jedes Dossier, das in den Regierungsrat kommt, hat eine budgetäre Komponente. Das Thema Finanzen ist extrem facettenreich und umfasst sehr viel.
Wie gehen Sie mit dieser neuen politischen Dimension Ihrer Arbeit um?
So wie bei jedem Job: Ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Und achte nicht darauf, wo mich etwas hinführt. Ich mache den Job vor allem aus Überzeugung. Mit der Parteimannschaft auf Regierungsebene habe ich natürlich am meisten zu tun, also mit dem Premier und den verschiedenen DP-Ministern. Ich bringe mich mit aller Energie ein und werde mich dann den Wahlen stellen.
Neben dem Wahlkampf bleibt die Energiekrise aktuell. Sie waren Jean-Claude Junckers diplomatische Beraterin: Haben Sie den Krieg kommen sehen?
Niemand hat erwartet, dass die Russen am 24. Februar in die Ukraine einmarschieren. Wobei … ich kann mich an eine meiner letzten Reisen mit Jean-Claude Juncker erinnern. Das war nach Vilnius zum „partenariat oriental“-Gipfel. Da hat man bereits die Einflusssphären erkannt, sprich wie akut das war, und die Russen es nicht zulassen wollten, dass die Ukraine im Herbst 2013 ein Abkommen mit der EU unterschreiben sollte. Wenn man zurückblickt, ist eigentlich alles – außer dem Krieg – so verlaufen, wie ich mir das damals fast erwartet hatte.
Wie verliefen die Gespräche mit Juncker?
Ich habe mich damals sehr viel mit Jean-Claude Juncker darüber unterhalten. Unsere Diplomaten haben es kommen gesehen: Das geht nicht gut aus. Aber Krieg, das konnte sich wirklich niemand vorstellen. Ich glaube, da fehlen den meisten die Worte.
Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden?
Die Folgen für die ukrainische Wirtschaft sind absolut desaströs. Aber die Auswirkungen, die dieser Krieg auf Europa und auch auf die Entwicklungsländer hat, sind ebenfalls dramatisch. Die Inflation ist wegen des Krieges explodiert und hat eine weltweite Nahrungsmittelkrise ausgelöst.
Kann sich die Beziehung zwischen Luxemburg und Russland wieder normalisieren?
Die Beziehung war eigentlich immer gut. Heute, mit allem, was passiert ist, ist das Vertrauen gebrochen. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass irgendein Land gegen Russland in den Krieg zieht. Der Westen konnte sich deshalb vielleicht genauso wenig vorstellen, dass Russland ein anderes Land überfällt. Diese Beziehung wiederherzustellen, wird schwer. Irgendwann ist Putins Ära auch vorbei, man muss schauen, was danach kommen wird.
Wie groß ist der aktuelle Impakt auf den Luxemburger Finanzplatz?
Obschon wir immer versucht haben, unsere Beziehungen zu Russland zu pflegen, ist das „Exposure“ unseres Finanzplatzes relativ limitiert, sowohl bei den Investmentfonds als auch bei den Bankenaktiva. Heute sage ich: zum Glück.
Was heißt das konkret?
Der Anteil russischer Investitionen in luxemburgischen Anlagefonds macht zum Beispiel weniger als 0,3 Prozent aus. Bei den Bankenaktiva beläuft er sich auf lediglich 0,45 Prozent. Es ist auch das erste Mal, dass in der Europäischen Union so schnell Sanktionen gegen ein Land verhängt wurden. Heute sind wir beim neunten Sanktionspaket, das ist enorm. Wir brauchen uns als Land nicht zu schämen: 5,5 Milliarden Euro sind eingefroren worden. Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht …
… da hat es ein wenig länger gedauert.
Hier in Luxemburg wurde eher konservativ reagiert. Niemand wollte ein Risiko eingehen, etwas nicht einzufrieren. Wir haben „onse Match gemaach“, auch weil wir eine Verantwortung als Finanzplatz haben.
Luxemburg ist weniger von russischem Gas abhängig, aber trotzdem indirekt stark betroffen. Die Amerikaner sind Energie-Exporteure, wir sind Energie-Importeure.
Wie schlimm wird die Energiekrise?
Der Energiemix ist von Land zu Land in Europa unterschiedlich. Luxemburg ist weniger von russischem Gas abhängig, aber trotzdem indirekt stark betroffen. Die Amerikaner sind Energie-Exporteure, wir sind Energie-Importeure. Hohe Energiepreise treiben jedoch die Inflation in Europa. Auch wenn sich die Inflation in den USA auf dem gleichen Niveau befindet, wie in Europa, sind die Gründe, die die Inflation antreiben, andere. Wir sind in Europa abhängiger von russischer Energie, haben aber auch gesehen, wie wir in sehr kurzer Zeit den Anteil von russischem Gas von 40 auf unter 10 Prozent reduzieren konnten. Jeder Krise wohnt gleichzeitig eine Chance inne: Wenn wir unsere Energieeffizienz jetzt nicht steigern und die Energiewende jetzt nicht schaffen, schaffen wir das nie.
Denn auch, wenn wir von Krise zu Krise stolpern, bleibt die Klimakrise immer noch die existenzielle Krise unserer Zeit
Inwiefern?
Die Zukunft liegt in erneuerbaren Energien. Wir müssen uns besser aufstellen. Das bringt Wandel innerhalb der Gesellschaft mit sich und diesen Wandel muss die Politik intelligent begleiten. Das kostet, aber genau das sind Prioritäten, die wir im Budget 2023 festgehalten haben. Denn auch, wenn wir von Krise zu Krise stolpern, bleibt die Klimakrise immer noch die existenzielle Krise unserer Zeit. Und nur mit sauberer Energie können wir den Klimawandel stoppen.
„déi gréng“ besetzen dieses Thema seit jeher. Welche Rolle wird das Thema im Wahlkampf spielen?
Politik machen ist für mich ein Ganzes, dazu gehören sowohl Klima- als auch Sozialpolitik. Mir ist in der liberalen Partei auch wichtig, dass unser Land kompetitiv bleibt. Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist unabdingbar, wenn wir unseren Lebensstil weiterfinanzieren wollen. Wenn wir Unternehmen haben, die ihre Steuern bezahlen, können Menschen weiterhin arbeiten und ihr Einkommen ist gesichert. Sozial und solidarisch handeln bleibt eine Priorität.
Der Premierminister spielt in solchen Fragen eine wichtige Rolle. Wie arbeiten Sie zusammen?
Wir sind offen und transparent miteinander. Ich frage Ihn oft um seinen Rat, weil er politisch viel mehr Erfahrung hat als ich. Aber er kennt mich inzwischen auch lange genug: Er weiß, dass ich auch ganz stur sein kann. Das ist eine Sache des gegenseitigen Vertrauens und des Respekts. Wir vertrauen einander und das klappt gut.
Zur Person
Yuriko Backes wurde am 22. Dezember 1970 in Japan geboren. Aufgewachsen ist sie in Deutschland und im Land der aufgehenden Sonne. Backes studierte in London und Brügge internationale Beziehungen, Japanologie und europäische Studien. Backes hat ihre berufliche Laufbahn 1994 als Referentin im Außenministerium begonnen und verschiedene Posten besetzt. Sie war unter anderem bei der Ständigen Vertretung Luxemburgs bei den Vereinten Nationen (UNO) in New York, bei der Ständigen Vertretung Luxemburgs bei der Westeuropäischen Union in Brüssel und bei der Luxemburger Botschaft in Japan. Sie wurde 2001 als Beamtin bei der Abteilung für internationale wirtschaftliche Beziehungen und europäische Angelegenheiten des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten in Luxemburg als Attachée vereidigt. Die Berufsdiplomatin wurde von 2001 bis 2006 an die Ständige Vertretung der EU entsandt. Backes war von 2006 bis 2008 stellvertretende Missionschefin an der Luxemburger Botschaft in Japan und von 2008 bis 2010 stellvertretende Direktorin der Abteilung für internationale wirtschaftliche Beziehungen im Luxemburger Ministerium für auswärtige Angelegenheiten.
Sie wurde 2010 von Ex-Premier Jean-Claude Juncker als diplomatische Beraterin ins Staatsministerium berufen und 2013 vom neuen Regierungschef Xavier Bettel in ihrem Amt bestätigt. Was auffiel: Dass sie selbst im Beisein der Presse nicht zögerte, dem Premier unbequeme Wahrheiten zu sagen, mit viel diplomatischem Geschick und einer Prise Humor. Diese Qualität hilft ihr heute als Finanzministerin, den Haussegen in der Dreierkoalition aufrechtzuerhalten. Ihr Amtsvorgänger Pierre Gramegna betonte, dass er als Ex-Diplomat oft um Konsens ringen musste. Ein gutes Beispiel hierfür sind die letzten Verhandlungsrunden rund um die Tripartite, die zunächst scheiterten, im Herbst aber über die Bühne gingen. Backes übernahm 2016 die Vertretung der EU-Kommission in Luxemburg, war von Juni 2020 bis zu ihrem Regierungsantritt Hofmarschallin am großherzoglichen Hof und wurde nach Pierre Gramegnas Rücktritt am 5. Januar 2022 Finanzministerin. Backes ist Mutter von zwei Kindern.
@ DanV
Merci fir dës Reaktioun. D’EU muss seng Hoffnung leider praktesch komplett op d’USA setzen, well mer an der EU politesch Totalausfäll hunn, wéi de Scholz an de Macron, déi sech weiderhin an engem Diplomatiemodus befannen, deen eigentlech net méi zäitgeméiss ass.
@ dmp
Bravo! Di westeuropäesch Diplomaten si fatzeg un der Nues ronderëm gefouert ginn - an drop gefall.
Si hate gedued, si kéinten de Putin an der Gitt halen an de Länner am Oste beweisen, dass et och anescht geet.
Mee heiansdo ass een, dee "geféierlech" genannt gëtt, einfach nëmme geféierlech, ouni psychologesch oder humanistesch Excusen. Deem kann ee just mat mat Muecht/Autoritéit entgéint trieden, anstatt ze diskutéieren - well ee soss iwwerrannt gëtt.
Elo ass just nach ze hoffen, dass d‘Diplomaten hir Lektioun geschwë !!! léieren an sech net fir d’zweet op dat Spillchen aloossen.
O-Ton Yuriko Backes:
“Niemand hat erwartet, dass die Russen am 24. Februar in die Ukraine einmarschieren.“ Und: “Aber Krieg, das konnte sich wirklich niemand vorstellen. Ich glaube, da fehlen den meisten die Worte.“
Niemand hat also einen Angriffskrieg gegen die Ukraine kommen sehen? Hier wird wieder einmal die Arroganz westlicher Diplomaten deutlich. Es ist schon arg vermessen, 300 Tage nach Kriegsbeginn immer noch solche Kommentare abzusondern. Es ist erschreckend, dass wohl nicht wenige „unserer“ Westdiplomaten vor Jahren sich taub stellten, wenn Kollegen aus anderen Ländern, wie u.a. Polen und den baltischen Staaten, explizit vor möglichen kriegerischen Handlungen Russlands gegen die Ukraine warnten, und auch heute sich weiterhin weigern, die Realitäten ihres Versagens zu erkennen. Diese unerträgliche Diplomaten-Ignoranz trägt im übrigen Mitschuld an diesem furchtbaren Krieg gegen die Ukraine und die westliche Demokratie. Hätte man die vielfältigen warnenden Stimmen aus Ländern, die eingehende Erfahrungen mit Russland haben, wahrgenommen, wären prophylaktische Maßnahmen möglich gewesen.
Verbohrtheit und Lernresistenz gehören nicht zu den Tugenden, die ernstzunehmende Politiker und Diplomaten mit sich bringen sollten …