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EditorialLuxemburg hat ein erhebliches Demokratiedefizit

Editorial / Luxemburg hat ein erhebliches Demokratiedefizit
Beim konsultativen Referendum vor fünf Jahren lehnte die Mehrheit der Luxemburger die Teilnahme von Nicht-Luxemburgern an den Parlamentswahlen ab Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Am 8. Mai 1919 hat die Abgeordnetenkammer das allgemeine Wahlrecht für alle Luxemburger und Luxemburgerinnen ab 21 Jahren eingeführt. Bis dahin galt das Zensuswahlrecht, das nur einer reichen, männlichen Minderheit den Gang zur Urne erlaubte. Mit einer großen Ausstellung im Nationalen Geschichts- und Kunstmuseum wird an dieses historische Ereignis erinnert, das die Demokratie in Luxemburg gefestigt hat.

Doch wie sieht die Situation heute aus? Kann von Demokratie überhaupt noch die Rede sein? Fast die Hälfte der Luxemburger Bevölkerung ist von den Legislativwahlen ausgeschlossen. Als das aktive Wahlalter 1972 von 21 auf 18 Jahre gesenkt wurde, lag der Anteil der Nicht-Luxemburger an der Gesamtbevölkerung unter 20 Prozent. Seitdem ist die Zahl der Einwanderer kontinuierlich gestiegen. Das hohe Wirtschaftswachstum zog viele Arbeitnehmer aus Portugal, Italien und den drei Nachbarländern nach Luxemburg. Ohne sie hätte sich Luxemburg nicht als eigenständiger Staat etablieren und halten können. In den beiden anderen Kleinstaaten der EU, Malta und Zypern, ist die Situation ähnlich.

2019 hatten 47,5% der Einwohner Luxemburgs eine andere Nationalität als die luxemburgische. Insgesamt ist die Zusammensetzung der Bevölkerung sehr heterogen. 2017 wurde der Zugang zur Luxemburger Nationalität vereinfacht und der Anteil der Nicht-Luxemburger ist konstant geblieben. Ohne die Reform des Nationalitätengesetzes läge er heute wahrscheinlich bei 50%.

Auf die Frage, ob sie die Idee befürworten, dass ausländische Mitbürger unter besonderen Bedingungen das Recht erhalten, sich fakultativ in die Wählerlisten einzutragen, um sich als Wähler an den Wahlen zur Abgeordnetenkammer zu beteiligen, antworteten beim konsultativen Referendum vor fünf Jahren 163.362 der 245.092 abstimmungsberechtigten Luxemburger mit Nein und verwehrten damit rund 258.700 Mitbürgern die potenzielle Teilnahme am legislativen Entscheidungsprozess. Zwei Drittel der wahlberechtigten Luxemburger akzeptierten ihre „ausländischen“ Mitbürger vielleicht als Nachbarn, Arbeitskollegen, Sportkameraden oder Schüler, aber nicht als vollwertige Staatsbürger mit allen fundamentalen Rechten (unter Berücksichtigung nur der gültigen Stimmzettel lehnten 78,02% das Wahlrecht für Ausländer beim Referendum von 2015 ab).

Auch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts vor über 100 Jahren stieß lange Zeit auf reaktionären Widerstand. Im Laufe des 19. Jahrhunderts musste das Zensuswahlrecht erst nach und nach aufgeweicht werden. Luxemburg war zwar nicht das erste europäische Land, das nach Ende des Ersten Weltkriegs das allgemeine Wahlrecht einführte, doch insbesondere beim Wahlrecht für Frauen gehörte es zu den Vorreitern.

Im Zuge der fortschreitenden Europäisierung dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich das sogenannte „Ausländerwahlrecht“ durchsetzen kann. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Europäer aus ihrer Geschichte gelernt haben und es nicht wieder erst zu Weltkriegen und Revolutionen kommen muss, bis die Demokratie schließlich an die aktuelle demografische und politische Entwicklung angepasst werden kann.

Vor fünf Jahren hat Luxemburg es verpasst, wieder Vorreiter bei der Öffnung des Wahlrechts zu sein. Vielleicht wird die kommende Generation mehr Verständnis dafür haben, dass es ein erhebliches Demokratiedefizit darstellt, wenn fast die Hälfte der Bevölkerung von den wichtigsten Wahlen ausgeschlossen ist.

Tom
10. Februar 2020 - 17.52

Die Wähler haben so entschieden und dies nur zu Recht. Dies ist mit Sicherheit kein Demokratiedefizit, denn gerade dann wenn ein Referendum der Politik nicht passt, ist es ein Zeichen der Demokratie.
Was man aber durchaus als Defizit bezeichnen könnte wäre, dass öffentliche Zeitungen die ja auch an sich eine Funktion als Repräsentant der Demokratie erfüllen soll, dieser nicht gerecht zu werden scheint sondern Meinungen der Positionen von Parteien unterstützt. So bleibt die Frage der sogenannten freien Presse weiter im Raum stehen.

Pierre Wollscheid
30. Januar 2020 - 9.03

Es ist doch einfach die Luxemburger haben der Politik gesagt was sie nicht wollen, man kann darüber geteilter Meinung sein, aber Demokratie ist nun mal eben so, eine Mehrheit sollte man respektieren.
Und wenn Die Ausländischen Mitbürger wirklich Interesse hätten würden sie sich naturalisieren lassen.
Man kann aber nochmals ein Referendum machen, dann fallen unsere Politiker eben nochmals auf den Boden der Tatsachen.
Das wir auch nicht besser wenn man immer wieder dieses Thema aus dem Keller holt

KTG
17. Januar 2020 - 6.09

@werner: Dann sollen sie auch nicht die Entscheidungen treffen, die diejenigen betreffen, die etwas länger bleiben.
Ansonsten bekommt die Staatsbürgerschaft so ziemlich jeder, der sie will. Und ein wenig vorher in Luxemburg zu wohnen und das Land zu kennen, bevor man einen Wahlzettel "an de Grapp gedréckt kritt" sollte dann schon sein.

Alltagsfliege(r)
15. Januar 2020 - 13.15

@Wester Gust
Sie dürfen uns gerne weitere Gründe liefern, über die man "nachdenken" sollte. Nach dem fünfzigsten "Ich will meine Wurzeln zu meinem Heimatland nicht aufgeben", sah ich keinen Grund mehr, noch weiter nachzuhaken.
Vertrauen in aktuelle Politiker haben viele nicht mehr, sicherlich auch viele unter den Staatsbürgerschaft-Befürwortern. Gerade deshalb geht man ja doch wählen. Und das wiederum ist die beste Motivation, sich die Staatsbürgerschaft zuzulegen.

Marcel Gillander
15. Januar 2020 - 11.11

Man kann lange und freundschaftlich über das Konzept des Ausländerwahlrechtes diskutieren und dabei sowohl praktische als auch philosophische Argumente ins Feld führen. Ich möchte in diesem Zusammenhang zu bedenken geben, dass das Ausländerwahlrecht eine Entkoppelung von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht bedeutet - wobei Staatsbürgerschaft nicht bloss
ein anderes Wort für Nationalismus ist sondern ein gewisses Verantwortungsgefühl beinhaltet für das Gemeinwesen in dem man lebt und zu dem man sich zugehörig fühlt. In dieser Logik würde das Ausländerwahlrecht zur Entwertung sowohl der Staatsbürgerschaft als auch des Wahlrechtes führen. Es stellt sich auch die Frage aus welchen Beweggründen ausländische Mitbürger überhaupt in unser Land kommen? Vielleicht ganz profan weil es ihnen bessere Lebens- und Erwerbsmöglichkeiten bietet als ihre Herkunftsländer? Und würden sie auch in unserem Lande bleiben falls sich diese Grundlagen ändern, zum Beispiel in Folge einer Wirtschaftskrise? Würde ihr Wahlverhalten nicht vielleicht von der Tatsache beeinflusst, dass sie unser Land zu jeder Zeit wieder verlassen könnten und sie nicht unbedingt zu den (langfristigen) Konsequenzen ihrer Wahl stehen müssten? Bedeutet das Ausländerwahlrecht in diesem Sinne nicht einfach nur die Möglichkeit A sagen zu können ohne B sagen zu müssen?

Henry Edward
15. Januar 2020 - 8.46

@CESHA

"Und mir ist nicht bekannt, dass es in irgendeinem anderen Land auf der Welt eine Diskussion gibt, welche das Wahlrecht auch für Nichtbürger des betreffenden Landes fordert."

In Schottland z.B. konnten Ausländer sogar mitwählen für den Brexit.
Wahrscheinlich ist Ihr Google mal wieder defekt.

Wester Gust
15. Januar 2020 - 8.44

Das Problem ist aber tiefgreifender:
Hier leben Menschen die bald über 50% unserer Bevölkerung darstellen, und nicht Luxemburger sind, oder sein wollen. So werden wir zu einem Staate, wo die Mehrzahl der Bürger kein Mitspracherecht hat. Die Politiker und jene die hier für die Annahme unserer Staatsbürgerschaft plädieren, sollten mal darüber nachdenken, warum diese nicht Luxemburger werden wollen. Das hat seine Gründe, und bedingt durch einen Mangel an Vertrauen in unsere Politiker und Verwaltungen. Ein Kandidat von VOLT sagte seine Kinder hätten 4 Nationalitäten, er deren 2.

Alltagsfliege(r)
14. Januar 2020 - 20.07

@HeWhoCannotBeNamed
Da habe ich also tatsächlich nun das Wort "Nationalität" benutzt...und nun? Was schließen Sie nun daraus? Dass ich in potentiell "nationalistischem" Denken festgefahren bin? Ich lasse dieses Herumgereite auf Begriffen aber nun mal bei Seite, um auf das eigentliche Thema einzugehen.
Alles, was Sie bisher geäußert haben, ist, dass in Ihren Augen der Prozess der Einbürgerung veraltet und unnötig ist. Ihre Begründung läuft in dieselbe Richtung. Man muss entweder wahnsinnig dreist oder realitätsfremd sein, eine offen zugängliche Staatsangehörigkeit aus Bequemlichkeit bzw. persönlichem Empfinden abzulehnen und danach den Staat des "demokratischem Defizits" zu beschuldigen.

HeWhoCannotBeNamed
14. Januar 2020 - 17.00

@Alltagsfliege(r) : ich bin sicherlich nicht der Einzige, der den Begriff "Nation" bzw. "Nationalität" benutzt hat (cf. Kommentar des Users "Alltagsfliege(r)"). Auch habe ich nicht den Begriff des "Staatsbürgers" verwendet (der sich tatsächlich auf Einwohner bezieht, die dem Staat "angehören" und somit diese Nationalität besitzen), sondern lediglich den des "Bürgers" (oder "citoyen", une "personne jouissant du droit de cité"). Der Unterschied liegt in der problematischen Definition der "Nation" als eine Gruppe von Menschen, die eine gemeinsame Abstammung und damit gemeinsame Sprache, Traditionen, Werte usw hätten (es sei denn, man definiere die Nation nun anders, z.B. über den gemeinsamen Willen einer menschlichen Gruppe, aber darum geht es eben hier nicht - und der Begriff des Bürgers, der bürgerlichen Pflichten und Rechten nachgeht, wäre dann ausreichend).
Und nein, ich bin auch nicht über die Pflicht einer Führerscheinprüfung empört... aber der Vergleich hinkt.

Urbain
14. Januar 2020 - 16.52

@Jerome

"Decken Quatsch
Wann se wellen mad wielen kommen dann sollen se dei letzebuergesch Nationaliteit hun an ferdeg. Se wunnen an liewen zanter Joeren hei dann kennen se och Nationaliteit unhuelen an dei ganz Tester machen dei menger Meenung no sou wie sou vill ze liicht sinn."

Ee wéi Dir, dee méi wéi eng Dose Feeler an ären 2 Sätz mécht, de géing am Test duerchfalen.

werner
14. Januar 2020 - 16.49

@CESHA
"Ich kann da beim besten Willen kein Demokratiedefizit entdecken: Schliesslich hat jeder Eingewanderte das Recht, die luxemburgische Staatsbürgerschaft und damit auch das Wahlrecht zu erwerben."

Heutzutage bleiben die Menschen nicht für ewig sondern bloss für ein paar Jahre, das rentiert sich nicht.

BillieTH
14. Januar 2020 - 13.47

Le vraie problème démocratique c’est que
la classe politique et ses allies pensent encore toujours que c’est a eux de decider comment les citoyens doivent penser du droite de vote des étrangers.

Alltagsfliege(r)
14. Januar 2020 - 12.51

@HeWhoCannotBeNamed
Der einzige, der bisher das Wort "Nation" in den Mund nahm, sind Sie gewesen. Alle anderen reden bisher nur über die von Ihnen akzeptierte "Staatsbürgerschaft" (und nein, Staat ist nicht exakt dasselbe wie Nation). Was wollen sie eigentlich mit der (angeblichen) Relevanz des Begriffes "Nation/Nationalität" unterstellen?
Genau so schleierhaft ist es für viele, warum es immer wieder (erwachsene) Menschen gibt, die sich vor jeder noch so kleinen Regelung sträuben wie vor Salzsäure. Oder empören Sie sich auch darüber, dass man von Ihnen einen Führerschein verlangt, damit sie auf der Autobahn fahren dürfen?

monique
14. Januar 2020 - 12.08

Sucht hier eine Partei, (Oups ich nenne keinen Namen), eine neue Wählerschaft?? Und die 16 Jährigen, wählen die sozial? LOL

Grober J-P.
14. Januar 2020 - 10.50

Hier gibt es viele Meinungen. Mein Schwager war stolzer Italiener, jetzt noch stolzer Luxemburger. Mein Arbeitskollege war stolzer Portugiese, jetzt stolzer Luxemburger. Beide gingen zur Wahl, haben aber über ihre früheren Landsleute gemeckert, haben also auch ein Demokratiedefizit, oder? Mein sehr guter Nachbar, Italiener ist seit 1959 im Lande, versteht fast kein Luxemburgisch, meckert auch über die Luxemburger, hat auch Demokratiedefizit, oder ?

HeWhoCannotBeNamed
14. Januar 2020 - 9.38

Es bleibt mir schleierhaft, wieso das vage und konstruierte Konzept der "Nation" (ein kaum benutzter Begriff im Europe vor dem 18.Jhdt) weiterhin ein Kriterium für viele Menschen bleibt : wenn es so einfach ist, die luxemburgische Nationalität zu erlangen wie viele hier angeben - welchen Stellenwert sollte es dann noch haben? Wäre der Begriff des "Bürgers" nicht ein passenderes Kriterium (lebt und arbeitet hier, darf sich an politischen Entscheidungen beteiligen)? Demokratiedefizit - ja. Danke für das Editorial, Herr Laboulle!

Alltagsfliege(r)
14. Januar 2020 - 9.28

Erstens kann ich hier kein Demokratiedefizit erkennen. Zweitens ist jedem das Wahlrecht gegeben, sobald er die Staatsbürgerschaft erhält, deren Zugang ja offensichtlich (aus welchen Gründen auch immer) vereinfacht wurde. Diese Staatsbürgerschaft lehnen aber scheinbar viele bewusst ab (Hauptargument: "Ich will die Wurzeln meines Heimatlandes nicht verlieren"). In einem Land, das die doppelte Nationalität anbietet, erschließt sich mir dieses "Dilemma" nicht. Es gibt einfach kein Dilemma. Das einzige, was sich mir erschließt, ist die Tatsache, dass jene Menschen offensichtlich ihre Gefühle über ein konkretes Recht in einem realen Staat stellen. Wie soll man dann von diesen Menschen erwarten, dass sie bei wichtigen politischen Entscheidungen die richtigen Prioritäten setzen und sich nicht auch dort bloß von Gefühlen leiten lassen?

Jemp
14. Januar 2020 - 9.26

Luxemburg hat, vergichen mit anderen Ländern, eine einfache und billige Prozedur um die Nationalität zu erlangen. Ohne den Verlust seiner Herkunftsnationalität! Wenn man die Ausländer ermutigt sich in die Wählerlisten einzutragen, ist die Quote gleich null. Wenn sie dann begriffen haben, daß nach der Einschreibung WahlPFLICHT besteht, lassen sich viele wieder von der Wahlliste streichen. Habe deshalb kin Verständnis für ASTI & Cie.

HappySteierzueler
14. Januar 2020 - 8.48

Wenn 80% der Wahlberechtigten sich per Referendum ausdrücken, diese Entscheidung anschliessend von der Politik respektiert wird und von den Nichtwahlberechtigten sich ohnehin kaum einer dafür interessiert, erschliesst sich mir nicht, worin das "Demokratiedefizit" bestehen soll.

Jerome
14. Januar 2020 - 8.29

Decken Quatsch
Wann se wellen mad wielen kommen dann sollen se dei letzebuergesch Nationaliteit hun an ferdeg. Se wunnen an liewen zanter Joeren hei dann kennen se och Nationaliteit unhuelen an dei ganz Tester machen dei menger Meenung no sou wie sou vill ze liicht sinn.

CESHA
14. Januar 2020 - 8.17

Ich kann da beim besten Willen kein Demokratiedefizit entdecken: Schliesslich hat jeder Eingewanderte das Recht, die luxemburgische Staatsbürgerschaft und damit auch das Wahlrecht zu erwerben.
Und mir ist nicht bekannt, dass es in irgendeinem anderen Land auf der Welt eine Diskussion gibt, welche das Wahlrecht auch für Nichtbürger des betreffenden Landes fordert.