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Interview„Leute sollen die Hemmung gegenüber Kunst verlieren“: Théid Johanns zur neuen Cueva-Ausstellung und seiner Rolle in der Kunstszene

Interview / „Leute sollen die Hemmung gegenüber Kunst verlieren“: Théid Johanns zur neuen Cueva-Ausstellung und seiner Rolle in der Kunstszene
Der Kopf hinter Cueva: Künstler Théid Johanns Foto: Editpress/Alain Rischard

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Durch das sommerliche Grün des Ellergronn schimmern orangefarbene Holzplanken. Es ist eine der Skulpturen der neuen Ausstellung „Land Art“ des Kollektivs Cueva um Théid Johanns, die am Freitag startete. Warum es ihn dieses Mal in den Wald gezogen hat und was das mit der Ausstellungskultur Luxemburgs zu tun hat, verrät der Künstler im Gespräch.

Tageblatt: Herr Johanns, normalerweise bespielen Sie mit Ihrem Kollektiv Cueva leerstehende Häuser oder verlassene Industriestätten. Jetzt stehen wir hier mitten im Wald. Was verändert das?

Théid Johanns: Erst mal ist es einfach etwas anderes. Wir hatten sieben Ausstellungen in Gebäuden oder Industriehallen. Jetzt sind wir zum ersten Mal komplett im Freien. Das andere ist ein bisschen zur Routine geworden. Routine ist gut, aber ich brauche manchmal auch Abwechslung.

Die früheren Ausstellungsorte waren menschengemachte Räume. „Land Art“ findet in einem natürlichen Raum statt.

Und der wird sich auch verändern mit der Zeit. Der Herbst wird kommen, dann der Winter, ohne Blätter. Der Background der Skulpturen wird sich andauernd ändern. Das macht das Ganze sehr spannend.

Gerade sticht die Farbe Orange der Skulpturen besonders durch das grüne Laub hervor.

Das Orange ist immer das Dominierende. Deshalb haben wir auch diese Farbe gewählt.

Das ist auch neu in diesem Jahr. Alle Künstler hatten die Vorgabe, mit demselben Material zu arbeiten, Tannenholz und die Farbe Orange.

Das ist das Konzept, das uns verbindet. Wenn ich gesagt hätte, jeder macht, was er will, dann wäre die Chance groß gewesen, dass zu viel Farbe ins Spiel kommt. Ich wollte die Farbe reduzieren, damit nicht nur auf Farbe aufgebaut wird, damit das Objekt an sich die wichtige Rolle einnimmt. Das Tolle ist: Wir haben jedem das gleiche Material gegeben und es ist keine Skulptur wie die andere geworden. Jeder konnte sein persönliches Gesicht zeigen. Und die Leute mussten aus ihrer Komfortzone heraus. Für die einen war es leichter, andere mussten kämpfen. Maler sind dieses Mal wenige dabei. Wir haben mehr Leute rausgesucht, von denen wir wissen, dass sie im dreidimensionalen Raum arbeiten.

Ich bin kein Diktator, der alles bestimmt. Wenn es der Sache guttut, ist alles erlaubt.

Théid Johanns, Künstler

Ganz streng ist die Vorgabe aber nicht? Hier sieht man auch Skulpturen mit Seilen, Schallplatten, ein altes Transistorradio.

Vier Fünftel oder drei Viertel müssen aus Holz und orange sein. Alles, was dazukommt, muss auch orange sein. Ansonsten kann man nehmen, was man will. Wenn es Sinn ergibt, dann ergibt es Sinn. Ich bin kein Diktator, der alles bestimmt. Wenn es der Sache guttut, ist alles erlaubt.

38 Künstler stellen bei „Land Art“ aus, die sind aber nicht alle Teil des Kollektivs Cueva?

Nein, Cueva ist kein Verein. Wir haben bis jetzt 180 Künstler ausgestellt. Wir schauen uns die Plätze an und fragen uns, wer mit diesem Platz am besten etwas anfangen könnte. Man muss ein Gefühl haben für die Leute. Und natürlich kommen immer wieder neue dazu. Cueva ist kein festes Kollektiv, kein Zigarrenclub.

Wie ist Cueva neben Ihrer Person organisiert?

Ich habe bis jetzt niemanden gefunden, der diesen Idealismus aufbringt. Und für den Rest bin ich schon sehr eng im Kopf, mit der Vorstellung von dem, was ich will. Wenn man zu viel zusammenarbeitet, das sieht man ja in vielen Bereichen, dann diskutierst du dich tot. Viele Häuptlinge, keine Indianer, das ist auch nichts.

Kollektive sind gerade sehr angesagt in der Kunstwelt. Bei der vergangenen documenta 15 hat man gesehen, dass das auch zu Verantwortungsdiffusion führen kann.

So ist das. Einer muss koordinieren und das Ganze zusammenhalten. Beraten lassen? Sehr gerne. Aber entscheiden muss eine Person. Oder maximal zwei.

Wie positioniert sich Cueva in der Luxemburger Kunstlandschaft?

Daran denke ich überhaupt nicht. Die Künstler machen alles gratis. Dieses Mal haben wir das Material gestellt. Die Hälfte der Kosten hat die Escher Gemeinde übernommen. Die andere Hälfte das „Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“. Die Künstler arbeiten nicht gegen Geld. Aber verschiedene Stücke sind zu verkaufen. Wenn jemand interessiert ist, kann er mit dem Künstler ausmachen, was er dafür verlangt.

Der kommerzielle Gedanke spielt aber keine große Rolle bei Cueva? International sind Kunstwelt und Kapitalismus eng miteinander verflochten. Immer höhere Preise, die großen Kunstmessen, die mehr Verkaufsmessen sind als Kunstschauen.

Genau das wollte ich nicht. Dass es eine Rote-Punkte-Ausstellung wird. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Ich glaube, das gibt es genug.

Wir glauben immer, wir wären der Mittelpunkt Europas. Und so wird auch Kunst eingekauft.

Théid Johanns, Künstler

Wie erleben Sie die Kunstszene in Luxemburg?

Die ganze Kunstszene hier in Luxemburg ist aufgebaut auf Connections. Du musst jemanden kennen, der jemanden kennt und dich ein bisschen nach Verlangen biegen. Aussagen darfst du nichts. Es sei denn, du stellst etwas hin und machst zehn Plakate mit Beschreibung dazu. Dann bist du dabei. Weil du den Entscheidern dieses Hochintellektuelle geben kannst, um dich auszustellen. Aber wir sind ein bürgernahes Kunstkollektiv.

Was bedeutet das?

Ich sag’s immer so: Es gibt Ausstellungen, wo viele „Hobbymaler“ ausstellen. Und es gibt ganz elitäre Ausstellungen oben auf dem Penthouse. Wir bilden einen Lift von unten nach oben. Damit die Leute die Hemmung gegenüber Kunst verlieren. Wir sind auch gesprächsbereit. Wenn die Leute fragen, was soll das, dann reden wir mit ihnen. Damit sie sehen können, dass da nichts Elitäres ist. Dass das jeder könnte, wenn er wollte.

Haben es lokale Künstler in Luxemburg schwerer in die Institutionen zu kommen?

Luxemburg ist Provinz, aber wir setzen zu viel auf Berlin. Wir glauben immer, wir wären der Mittelpunkt Europas. Und so wird auch Kunst eingekauft. Aber wo sind die Zuschauer? Die kommen nicht her. Die bleiben in Berlin oder in den größeren Ausstellungsorten. Wir versuchen immer, diese Leute hierher zu locken. Hat man gesehen bei Esch2022. Ich möchte nicht gegen diese Art von Kunst sprechen, die ist schon gut, aber das Publikum dazu wird fehlen.

Nach Ausstellung Nummer sieben sagten Sie, dass vielleicht Schluss sei. Was sagen Sie heute?

Das habe ich nach jeder Ausstellung gesagt, weil ich echt müde war. Ich bin monatelang am Arbeiten. Ich bin jetzt 68, die Müdigkeit und die Schmerzen fangen an. Aber wir beweisen dieses Jahr, dass wir es können. Dass „Land Art“ vielleicht ein Publikumsmagnet wird, da bin ich mir fast sicher. Und dann werden wir weiterschauen. Mein Wunsch wäre, dass wir einen festen Sitz haben. Am besten etwas Ruinenhaftes. Außen Ruine, innen warm. Wohin man immer wieder zurückkehren könnte, wo sich immer wieder etwas ändert. Das würde dann Cueva heißen. Und wenn das nach zwei Jahren richtig läuft, dann habe ich meine Arbeit getan. Dann kann irgendjemand anderes die Idee weiterverfolgen, und ich kann als Gast dazukommen.