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ReiseberichtKultur und Geschichte in der Hauptstadt Kambodschas

Reisebericht / Kultur und Geschichte in der Hauptstadt
Kambodschas
Blick auf Phnom Penh Foto: Laila Bintner

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Die Inseln im Süden, die Tempelanlage Angkor Wat, der Genozid unter den Khmer Rouge: Bevor ich nach Kambodscha reise, verbinde ich nicht viel mehr mit dem Land. Meine ersten Tage verbringe ich in der Hauptstadt Phnom Penh. Dort gewöhne ich mich langsam an das Land und lerne viel über seine erschreckende Geschichte.

Von oben sieht Phnom Penh aus wie ein Wimmelbild. Ich beobachte von der Dachterrasse meines Hostels aus, wie sich unten auf den Straßen alles gleichzeitig abspielt. Tuctucs und Autos fahren vorbei, Boote setzen auf dem Fluss über, Passanten eilen vorbei oder bleiben kurz stehen, um sich einen Essensstand, einen Laden, ein Restaurant anzuschauen. Es ist mein erster richtiger Tag in Kambodscha und das Land ist noch fremd für mich. Ich vertue mich noch bei der Währung, weiß nicht, welches Essen ich bestellen soll, und bin jedes Mal noch ein wenig verwundert, wenn ich Schilder in der Khmer-Schrift sehe. Besonders überrascht hat mich der Verkehr in Kambodscha, der im Vergleich zu Vietnam deutlich weniger chaotisch ist. Hier scheinen Tuctucs und nicht Motorräder das beliebteste Verkehrsmittel zu sein.

Abschalten im Katzencafé
Abschalten im Katzencafé Foto: Laila Bintner

Bisher mag ich Phnom Penh nicht besonders. Zwar habe ich einige schöne Tempel gesehen und den imposanten Königspalast besucht, habe aber insgesamt nur wenige hübsche Ecken gefunden. Die Stadt wirkt, als ob sie unter einer gelblichen Schicht Schmutz liegen würde. Es ist schwer, Ruhe in ihr zu finden – überall werden mir penetrant Tuctuc-Stadttouren oder Taxifahrten angeboten. Sobald ich die eine ablehne, wird mir schon eine andere aufgedrängt. Zudem fühlt sich die Stadt nicht besonders sicher an. Ich habe von unzähligen Backpackern gehört, die ihr Handy hier gestohlen bekommen haben. Diebstähle sind so häufig, dass mir sogar bei jeder Tuctuc-Fahrt der Fahrer rät, mein Handy nicht zu benutzen.

Gegensätze

Aber auch in Städten wie Phnom Penh gibt es Platz für schöne Momente: Ich sehe M., die ich in Vietnam kennengelernt habe, nach zwei Wochen hier wieder. Wir haben das Gefühl, alte Freunde zu sein, die sich nach Monaten wiedersehen. Ich finde auch ein kleines Katzencafé, wo ich eine Stunde abseits der Hektik der Stadt damit verbringe, mit Katzen zu kuscheln. Ich lese auf einem Flyer in einem Café eine Werbung für einen französischsprachigen Theaterkurs. Ich beschließe, spontan hinzugehen – ich habe nichts zu verlieren, denn der erste Besuch des Kurses ist kostenlos. Ich bin die einzige Person dort, die nicht aus Frankreich kommt und nicht in Phnom Penh lebt. Die Teilnehmer applaudieren, als ich sage, es sei meine zweite Nacht in Phnom Penh. Als ich hinzufüge, es sei auch meine zweitletzte, hören sie wieder auf und schauen leicht verwirrt, bleiben aber sehr herzlich.

Besichtigung der sogenannten „Killing Fields“
Besichtigung der sogenannten „Killing Fields“ Foto: Laila Bintner

Als ich nach dem Kurs zurück ins Hostel gehe, fühle ich mich fast ein wenig melancholisch. Ich habe eine weitere Gruppe Menschen verlassen, mit denen ich ein ganz kleines bisschen von meinem Leben geteilt habe. Ich weiß, ich werde sie nie wiedersehen. Trotzdem denke ich mir: Vielleicht ist Phnom Penh doch keine so schlechte Stadt. Vor weniger als 50 Jahren sah alles ganz anders aus. Von 1975 bis 1979 übernahmen die Khmer Rouge die Macht in Kambodscha und schrieben das wohl blutigste Kapitel in der Geschichte des Landes.

Ich weiß wenig darüber, bis ich zwei Gedenkstätten besuche. Dort lerne ich, dass die Khmer Rouge eine radikale kommunistische Bewegung war, die Kambodscha in einen rückschrittlichen Agrarstaat verwandeln wollte. Innerhalb von wenigen Tagen wurden alle Städte des Landes entvölkert, indem die Bewohner dazu gezwungen wurden, tagelang aufs Land zu marschieren und dort in den Reisfeldern zu arbeiten. Privatbesitz, Geld, Religion und das Gesundheits- und Bildungssystem wurden abgeschafft. Die Khmer Rouge verfolgten nicht nur Regimegegner, sondern auch ethnische und religiöse Minoritäten und Intellektuelle. Zu Letzterem zählten auch Menschen, die eine Fremdsprache beherrschten oder auch nur eine Brille trugen.

Kaum vorstellbare Grausamkeit

Felder, die zu Massengräbern wurden
Felder, die zu Massengräbern wurden Foto: Laila Bintner

Schätzungen zufolge starben ungefähr 2 Millionen Menschen während des Khmer-Rouge-Regimes, was ein Viertel der kambodschanischen Gesamtbevölkerung ausmacht. Das Genozid-Museum Tuol Sleng befindet sich im ehemaligen S-21-Gefängnis, dem größten Foltergefängnis der Khmer Rouge. Von ungefähr 17.000 Insassen überlebten nur zwölf. Es ist schwer, durch die langen Gänge des Gefängnisses zu gehen. Hier sieht man nicht nur die ehemaligen Gefängniszellen und Foltergeräte, sondern auch Fotos und Gemälde, die die Grausamkeiten darstellen. Nach dem Besuch bin ich so mitgenommen, dass ich mich für einige Minuten auf eine Bank im Innenhof des Gefängnisses setze. Auf der Bank neben mir sitzt eine Frau und weint leise.

Danach besuche ich die Choung-Ek-Gedenkstätte. Sie ist das bekannteste der sogenannten „Killing Fields“, Feldern, die zu Massengräbern wurden. Dort wurden die von den Khmer Rouge als „schuldig“ befundenen Menschen hingerichtet. Heute sieht die Erinnerungsstätte grün und friedlich aus. Es ist kaum zu glauben, dass sie ein Schauplatz solcher Gewalt war. Doch der Audioguide erzählt mir von den Knochen, die auch heute noch bei Regen aus dem Boden geschwemmt werden, von den Menschen, die den Tod im See gefunden haben, von den Babys, die an einem Baum zerschmettert wurden.

Schätzungen zufolge fielen zwei Millionen Menschen dem Genozid der Khmer Rouge zum Opfer
Schätzungen zufolge fielen zwei Millionen Menschen dem Genozid der Khmer Rouge zum Opfer Foto: Laila Bintner
Das S-21 war das größte Foltergefängnis der Khmer Rouge. Heute wird dort an die schrecklichen Verbrechen erinnert.
Das S-21 war das größte Foltergefängnis der Khmer Rouge. Heute wird dort an die schrecklichen Verbrechen erinnert. Foto: Laila Bintner

Der Genozid kommt mir unvorstellbar vor. Noch nicht oft zuvor wurde ich von der Geschichte eines Landes derart schockiert. Der Besuch der Gedenkstätten ist belastend, aber sehr lehrreich. Das Wissen über das Regime der Khmer Rouge hilft mir, das heutige Kambodscha besser zu verstehen. Dafür bin ich dankbar. Reisen soll mehr sein als bloß hübsche Orte.

Zur Person

Laila Bintner wurde im November 2002 geboren und ist in Lintgen aufgewachsen. Sie ist am Fieldgen zur Schule gegangen und hat während ihrer Schulzeit ein Praktikum beim Tageblatt absolviert. In Berlin hat sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Politikwissenschaft als Nebenfach studiert. Seit April reist sie auf eigene Faust durch Südostasien und berichtet über ihre Erfahrungen. 

Von ihrer Reise sind bisher folgende Artikel erschienen: 
One-Way-Ticket ins große Abenteuer (18. Juli 2023)
Spaziergänge durch Hanoi (24. Juli 2023)
Vollmond in Nordvietnam: Weiterreisen in den Bergen Vietnams (31. Juli)
Zwei Wochen, 1.600 Kilometer: Vietnam von oben nach unten (7. August)

HeWhoCannotBeNamed
17. August 2023 - 9.41

Wenn man weit weg von zuhause ist und einem alles "chaotisch" und "schmutzig" erscheint, ist es vielleicht an der Zeit, mal innezuhalten und sich bewusst zu werden, wie sehr die persönlichen Werte von der eigenen Lebenswelt sowie der damit verbundenen Gesellschaft und Kultur geprägt sind. Und dass man vielleicht nicht die ganze Welt daran messen soll...